Vom Militär- zum Testgelände

Wie Immendingen zum Herzstück der Mercedes-Entwicklung wurde

Wo früher Panzer rollten, testet Mercedes-Benz heute Assistenzsysteme, Antriebe und automatisiertes Fahren. In Immendingen gibt es eine Miniaturwelt, die reale Bedingungen simuliert.

Auf dem Testgelände von Mercedes-Benz in Immendingen waren davor Soldaten stationiert.

© Mercedes-Benz

Auf dem Testgelände von Mercedes-Benz in Immendingen waren davor Soldaten stationiert.

Von Veronika Kanzler

Vor ziemlich genau zehn Jahren hat die Bundeswehr Immendingen im Kreis Tuttlingen verlassen. Während vielerorts die Sorge vor wirtschaftlichen Einbußen nach einer Kasernenschließung überwog, zeigt ein Blick in die Archive: In Immendingen war das Gegenteil der Fall.

Der damalige Bürgermeister Markus Hugger setzte sich 2011 gar aktiv dafür ein, dass die seit 1958 bestehende Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne aufgegeben wird. Dabei war der Standort keineswegs unbedeutend: Rund 970 Soldaten der deutsch-französischen Brigade waren dort am Schluss noch stationiert, zusätzlich zu den etwa 120 zivilen Beschäftigten. Warum also bat Hugger den damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière um die Schließung?

Mercedes suchte Testgelände nahe Sindelfingen und Stuttgart

Zwischen 2009 und 2012 war die damalige Daimler AG auf der Suche nach einem neuen Prüf- und Testgelände. Es sollte zwingend in der Nähe der Hauptstandorte Sindelfingen und Stuttgart liegen – und ausreichend Fläche bieten. „120 potenzielle Standorte haben wir damals angeschaut und analysiert“, erzählt Nils Katzorke, Projektmanager bei Mercedes-Benz, der auch das Testgelände in Immendingen mit aufbaute (eine Stunde entfernt von Sindelfingen und 520 Hektar groß).

Immendingen erkannte die Dimension dieser „Jahrhundert-Chance“ – und nutzte sie für einen Aufbruch in dem 7000-Einwohner-Ort. Mit Erfolg: Statt Panzern rollen seit September 2015 Fahrzeuge von Mercedes über das Gelände. Das erste Modul war die sogenannte Schlechtweg-Verschmutzungsstrecke, auf der Fahrzeuge unter besonders schlechten Straßenbedingungen getestet werden.

Was testet Mercedes in Immendingen?

Heute umfasst das Gelände 86 Straßenkilometer mit mehr als 30 verschiedenen Teststrecken, auf denen unterschiedlichste Fahrbedingungen simuliert werden können. Dazu zählen unter anderem:

  • kurvenreiche Pass- und Bergstraßen
  • Straßen mit extremer Steigung von bis zu 100 Prozent
  • Verschiedene Straßenmarkierungen von Japan, USA, Frankreich oder China
  • Off-Road-Gelände und Feldwege
  • Aquaplaning-Strecken
  • Automatisiertes Fahren
  • Stadtstraßen mit Kreuzungen und Stop-&-Go-Verkehr
  • Autobahnfahrten, die auf einem Ovalrundkurs simuliert werden
  • Kälte- und Hitzekammern mit Temperaturen von minus 35 bis plus 40 Grad

Testgelände in Immendingen spart Mercedes Geld

„Wir haben es geschafft, die Dauererprobung von öffentlichen Straßen auf unser Gelände zu verlagern. Immendingen bildet einen Querschnitt der realen Welt“, sagt Katzorke. Tatsächlich finden laut Mercedes-Benz mittlerweile rund 80 Prozent aller Testfahrten auf dem Gelände in Immendingen statt. Zum Start stellte der Konzern rund 300 Arbeitsplätze in Aussicht. Zehn Jahre später hält man an dieser Perspektive fest: Derzeit arbeiten etwa 250 Menschen vor Ort.

Das Gelände gilt im Unternehmen als Herzstück der Fahrzeugentwicklung – nicht nur wegen der Vielfalt an Teststrecken, sondern auch wegen seiner digitalen Infrastruktur. Immendingen funktioniert als sogenannter digitaler Zwilling: Daten aus den realen Fahrversuchen fließen direkt in virtuelle Entwicklungsprozesse ein. Seit der Eröffnung wurden hier rund 30 000 Fahrzeuge erprobt – mit einer kumulierten Fahrleistung von über 100 Millionen Kilometern.

Das gesamte Testgelände von Mercedes in Immendingen ist 520 Hektar groß. Das entspricht etwa 728 Fußballfelder.

© © Mercedes-Benz AG

Das gesamte Testgelände von Mercedes in Immendingen ist 520 Hektar groß. Das entspricht etwa 728 Fußballfelder.

Extreme Steigungen von bis zu 100 Prozent können dort getestet werden.

© Mercedes-Benz AG

Extreme Steigungen von bis zu 100 Prozent können dort getestet werden.

Dieser Mercedes CLA fährt  auf einer Straße mit amerikanischer Fahrbahnmarkierung – und das in Immendingen.

© Mercedes-Benz

Dieser Mercedes CLA fährt auf einer Straße mit amerikanischer Fahrbahnmarkierung – und das in Immendingen.

Steile und unbefestigte Straßen gibt es im Off-Road-Gelände des Testzentrums in Immendingen

© Mercedes-Benz

Steile und unbefestigte Straßen gibt es im Off-Road-Gelände des Testzentrums in Immendingen

Von dem Testgelände in Immendingen gibt es einen digitalen Zwilling – der eine milimetergenaue Simulation davon ist.

© Mercedes-Benz

Von dem Testgelände in Immendingen gibt es einen digitalen Zwilling – der eine milimetergenaue Simulation davon ist.

Ein spezielles Konstrukt, um heftige Regenfälle zu simulieren

© © Mercedes-Benz Group AG

Ein spezielles Konstrukt, um heftige Regenfälle zu simulieren

Der neue Lichtkanal ist 135 meter lang. In einer Halle steht dort eine Landstraße.

© © Mercedes-Benz Group AG

Der neue Lichtkanal ist 135 meter lang. In einer Halle steht dort eine Landstraße.

Auch Fahrassistenzsysteme wie zum Beispiel Bremsmanöver werden in Immendingen getestet, etwa wenn sich plötzlich ein anderer Verkehrsteilnehmer nähert.

© Mercedes-Benz AG

Auch Fahrassistenzsysteme wie zum Beispiel Bremsmanöver werden in Immendingen getestet, etwa wenn sich plötzlich ein anderer Verkehrsteilnehmer nähert.

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Erstellt:
11. Oktober 2025, 06:12 Uhr
Aktualisiert:
11. Oktober 2025, 10:14 Uhr

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