Zugunglück in Riedlingen
Wie Rettungskräfte nach Unglücken mit dem Erlebten zurechtkommen
Wer bei Unglücken im Einsatz ist, den lässt das Erlebte nicht kalt. Wie man damit umgeht, erzählt ein THW-Mitarbeiter, der beim tödlichen Zugunglück in Riedlingen vor Ort war.

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Nach dem Zugunglück bei Riedlingen: Inzwischen sind die letzten Waggons abtransportiert.
Von Bettina Hartmann
Sie sind meist als die Ersten am Unglücksort: Rettungssanitäter, Notärzte, Feuerwehrleute, Polizisten - und die ehrenamtlichen Helfer vom Technischen Hilfswerk (THW). So auch beim Zugunglück in Riedlingen im Kreis Biberach mit drei Toten und mehr als 40 Verletzten. Doch wie kommt man als Helfer nach so einem dramatischen Einsatz mit dem Erlebten klar? „Da ist man zunächst fix und fertig“, sagt Stefan Rademacher (37), der ab Sonntagabend als Zugführer mit seinem Team vom THW-Ortsverband Ehingen fast 15 Stunden lang im Einsatz war. Am Montagmorgen sei er gegen 10 Uhr heimgekommen – und erst mal erschöpft ins Bett gefallen.
Die Bilder, so erzählt er weiter, „gehen einem nicht aus dem Kopf“. Seit 16 Jahren ist er in Ehingen beim THW. Einsätze hatte er schon viele: „Doch so was Desaströses habe ich noch nie erlebt.“ Mit 25 weiteren Männern und Frauen aus dem Ortsverband war er die komplette Nacht von Sonntag auf Montag vor Ort.
Zugunglück: „Man kann das alles kaum glauben“
Kurz nach 19 Uhr sei der Anruf gekommen, erinnert sich Rademacher. Der Riedlinger THW-Ortsverband habe Unterstützung angefordert: „Wir sind raus - und standen plötzlich mitten in den Trümmern.“ Die Aufgabe des Teams war vor allem, die Unglücksstelle auszuleuchten. Schließlich dämmerte es bereits.
„Man sieht das alles - und kann es kaum glauben“, fasst der Zugführer seine Gefühle in Worte. Dass es nicht noch mehr Tote und Verletzte gab, grenze „an ein Wunder“. Sein Team habe hauptsächlich den Einsatzort beleuchtet, so Rademacher: „Ein großes Gelände. Die Rettungskräfte mussten ja überall schauen, ob noch Passagiere eingeklemmt sind oder Verletzte entlang der Gleise liegen.“ Bei der Suche, bei der man „einfach funktionieren muss“, seien auch Wärmekameras und Rettungshunde zum Einsatz gekommen.
„Als dann klar war, dass die Menschen alle versorgt sind, haben wir unser Material abgebaut“, berichtet Rademacher. Am Morgen ging es zurück nach Ehingen, zunächst in die THW-Zentrale, „wo wir noch kurz zusammensaßen“.
Aufgabe eines Zugführers sei dabei auch, zu schauen, welchen Eindruck die Teammitglieder machen – jetzt, wo der Adrenalinausstoß nachlässt, der einen die Nacht über getragen hat. „Braucht jemand schnell Unterstützung, bekommt man die auch“, sagt Rademacher. Etwa von psychologisch geschulten Mitarbeitern des THW-internen Einsatz-Nachsorgeteams. „Es geht dabei um Nähe, ums Zuhören, um Beistand“, so der 37-Jährige. Alleine gelassen werde keiner.
Früher gab’s Schnaps, heute Gespräche
Am Montagabend, nachdem jeder ausgeruht und geschlafen hatte, „haben wir uns dann zuerst ans Aufräumen und Putzen gemacht, das Material muss ja wieder einsatzbereit sein“, erzählt der Zugführer. Dann habe man im Aufenthaltsraum gemeinsam gegessen und sich ausgetauscht über das Erlebte.
„Man denkt natürlich an die Angehörigen der Toten, wie schlimm es sein muss, wenn ein geliebter Mensch so plötzlich aus dem Leben gerissen wird“, sagt Rademacher. Und: Einst sei bei solchen Runden Bier und eine Pulle Schnaps ausgeschenkt worden – „groß geredet“ habe man selbst nach dramatischen Einsätzen nicht. Doch er sei froh, dass sich die Zeiten geändert haben: „Bei und sind alle offen. Keiner schämt sich, die Hosen runterzulassen und über Gefühle zu sprechen.“
Unterstützung der Familie ist wichtig
Dennoch nehme man seine Eindrücke mit heim. „Klar, man tauscht sich teils auch mit der Partnerin oder dem Partner und mit Freunden über Einsätze aus.“ Überhaupt sei die Arbeit von Rettungskräften, ob ehrenamtlich oder hauptberuflich, ohne die Unterstützung der Familie undenkbar.
„Unsere ehrenamtlichen Mitglieder bringen zwischen 100 und weit mehr als 1000 Stunden pro Jahr ein – für Übungen, Besprechungen, Weiterbildungen, Einsätze“, erklärt Rademacher. Somit sei nicht nur den Helfern zu danken, sondern auch deren Familien. „Sie stärken ihnen tagtäglich den Rücken, tragen die Arbeit mit, werden aber leider viel zu oft vergessen.“