Evolution geht immer weiter

Wie sich Menschen an ihre Umwelt ständig anpassen

Die evolutionäre Anpassung der Menschen ist ein anhaltender Prozess. Das belegen abweichende Merkmale von Bewohnern unterschiedlicher Weltregionen.

Sherpas haben sich aufgrund ihres Lebens in der Himalaya-Region hervorragend an große Höhen angepasst.

© Lakpadendi Sherpa/dpa

Sherpas haben sich aufgrund ihres Lebens in der Himalaya-Region hervorragend an große Höhen angepasst.

Von Doreen Garud (dpa)/Markus Brauer

Menschen leben auf hohen Bergen, wo der Sauerstoffgehalt der Luft geringer ist, am Wasser, wo Tauchen für sie eine zentrale Rolle spielt, in Wüsten sowie in eisigen Gebieten, wo sie kaum Landwirtschaft betreiben können. Ihre Fähigkeit, sich an die jeweilige Umgebung anzupassen, beruht oft auf kultureller Adaption. Aber nicht nur: Tatsächlich finden sich auch in den Genen Unterschiede.

Die Evolution verändert Menschen, und das oft erstaunlich schnell. „Das kann innerhalb von zehn Generationen geschehen, aber in 100 Generationen kann man auf jeden Fall eine Veränderung erkennen“, sagt Diethard Tautz.

Er beschäftigte sich am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön mit den molekularen Grundlagen der Evolution und genetischen Prozessen der natürlichen Selektion. „Evolution findet kontinuierlich um uns herum statt - bei Pflanzen, Tieren und Menschen.“

Sherpas in den Bergen: pH-Wert des Blutes

Zwei kürzlich erschienene Studien untersuchen Effekte, die sich – evolutionär gesehen - wohl erst vor Kurzem herausbildeten. Eine befasst sich mit den Sherpas im Himalaja. Diese Gruppe lebt seit einigen Tausend Jahren auf dem tibetischen Hochplateau, in einer Höhe von etwa 4000 bis 4500 Metern. Ihre Mitglieder arbeiten oft als Bergführer und Träger für Bergsteiger aus anderen Teilen der Welt.

Wie Forscher im Fachjournal „PNAS“ berichten, konnten sich die untersuchten Sherpas bei einem Aufstieg auf 4300 Meter schneller an die Höhe anpassen als Menschen aus dem Tiefland.

Sowohl die Sauerstoffaufnahme als auch der pH-Wert des Blutes müssten dabei ausgeglichen werden, erläutert Studienleiter Trevor Day von der Mount Royal University im kanadischen Calgary.

Wenn Menschen in größere Höhen kommen, führt der geringere Sauerstoffgehalt der Luft zu einer verstärkten Atmung - so wird weiter ausreichend Sauerstoff aufgenommen. Dies hat laut Day aber zur Folge, dass der CO2-Gehalt im Blut sinkt. Das störe den Säure-Basen-Haushalt. Die Nieren können diese Störung beheben, indem sie Chemikalien über den Urin ausscheiden, wodurch sich der pH-Wert des Blutes wieder normalisiert.

Schon bekannt war, dass die Atemwege der Sherpas besser an den Sauerstoffgehalt in großen Höhen angepasst sind. Die Forscher zeigten nun zusätzlich, dass die Nieren ebenfalls an der schnellen Akklimatisierung beteiligt sind. Dies könnte auf einen Selektionsdruck auf die Fähigkeit zur Anpassung an Höhenlagen der tibetischen Hochlandpopulationen hindeuten, meint Day.

Inuit in Grönland: Fett- und proteinreiche Ernährung

Die zweite Studie befasst sich mit Menschen in Grönland. Eine Genanalyse von fast 6000 Menschen der Insel legt nahe, dass die Vorfahren der heutigen Bevölkerung vor weniger als 1.000 Jahren dorthin kamen. Einige Genvarianten scheinen Anpassungen an das Leben in der Arktis zu sein, heißt es in der Studie im Fachblatt „Nature“.

Viele grönländische Inuit haben etwa eine Variante, die am Stoffwechsel von Fettsäuren beteiligt ist. Das könne mit dem Verzehr von Lebensmitteln zusammenhängen, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind, heißt es, etwa Robben- oder Walfleisch.

„Die traditionelle, fett- und proteinreiche grönländische Ernährung hat zu einer natürlichen Selektion in einer genomischen Region auf Chromosom 11 geführt.“ Die spezifischen Gene beeinflussten auch die Art der Krankheiten in der grönländischen Bevölkerung.

Europäer: Milchzucker kann oft verdaut werden

Evolutionsforscher Tautz nennt ein weiteres Beispiel, an dem deutlich wird, wie die Weitergabe von kulturellen Gepflogenheiten Auswirkungen auf den Genpool von Menschen haben. So haben viele Europäer heutzutage die Fähigkeit, auch nach dem Babyalter noch Milchzucker zu verdauen. Diese Laktosetoleranz war vor etwa 10.000 Jahren nicht so weit verbreitet.

Doch dann ermöglichte die zunehmende Domestizierung von Rindern, Schafen und Ziegen Menschen, täglich Milch zu trinken. Das könnte ein Selektionsvorteil für jene Menschen gewesen sein, die eine Genvariante aufwiesen, welche sie auch als Erwachsene befähigt, Milch zu vertragen. „Diese Genvariante ist jetzt bei Europäern besonders häufig, und sie ist ein Modellbeispiel einer genetischen Signatur für eine schnelle Evolution“, sagt Tautz.

„Es gibt eine kontinuierliche Anpassung, auch jetzt noch“, konstatiert er. So habe es in den vergangenen Jahrzehnten in jenen Teilen Afrikas, wo die Immunschwächekrankheit Aids viele Todesopfer forderte, einen Vorteil für Menschen mit Resistenzen gegen das HI-Virus gegeben. Noch sei es etwas früh, um die Effekte zu messen. „Aber in fünf bis zehn Generationen kann man die sicher feststellen“, ist er überzeugt.

Relikt der Evolution: der Blinddarm

Körper stellten immer einen Kompromiss dar, sagt Axel Meyer, der an der Universität Konstanz den Lehrstuhl für Zoologie und Evolutionsbiologie innehat.

Es sei mitnichten so, dass Evolution nach Perfektion strebe. Sondern natürliche Selektion führe lediglich dazu, dass aus der Auswahl der zur Verfügung stehenden Genkombinationen eine bestimmte Kombination mehr Nachkommen hinterlasse als eine andere. Nämlich jene, die sich unter den jeweiligen Bedingungen besonders bewährt.

Das zeige auch die Tatsache, dass die Menschen heute noch evolutionäres Gepäck mit sich herumtragen. Also Überbleibsel, die keinen Vorteil mehr bringen, aber die auch nur wenig Einfluss auf das Sterberisiko haben. Ein Beispiel sei der Blinddarm, meint Meyer. „Das ist sehr wahrscheinlich ein Relikt der Evolution, wir haben ihn wohl aufgrund unserer Pflanzen-fressenden Vorfahren.“

Keine Gene für langes Sitzen und Scrollen

Es entstünden auch keine neuen Mutationen, nur weil es von Vorteil wäre, bestimmte Mutationen zu haben. Also in der modernen Welt beispielsweise welche, die den Menschen beim Sitzen und Scrollen helfen statt beim Jagen und Sammeln. „Sondern es funktioniert so, dass bestimmte Varianten vorhanden sind und dann eher vererbt werden, weil sie einen Vorteil bieten, als die, die von Nachteil sind“, erläutert Meyer.

Allerdings könne die moderne Medizin einen gewissen Einfluss nehmen. „Im reichen Westen haben wir die Selektion zu einem gewissen Teil ausgeschaltet“, betont Meyer. „Woran die Menschen vor zwei, drei oder vier Generationen noch gestorben sind, das überleben wir heute.“

Dazu gehören auch Krankheiten, die vererbt werden können, etwa die Bluterkrankheit Hämophilie, die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose oder auch multifaktorielle Krankheiten mit genetischer Veranlagung, wie Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese können heute häufiger vererbt werden, weil sie seltener zum vorzeitigen Tod führen.

Große Babys durch viele Kaiserschnitte

Über ein weiteres Beispiel von evolutionärer Veränderung durch medizinischen Fortschritt schreibt der Evolutionsbiologe Philipp Mitteröcker von der Universität Wien. Er beschäftigt sich etwa mit dem menschlichen Becken, das auch den Geburtskanal bildet. Je größer ein Neugeborenes ist, desto höher sei die Überlebenschance nach der Geburt, aber desto größer sei auch das Risiko, dass der Kopf des Kindes zu groß sei, um durch das Becken zu passen.

Da es seit Mitte des 20. Jahrhunderts viele Kaiserschnitte gebe, könnten auch schmale Frauen relativ gefahrlos große Kinder gebären. Mitteröcker schätzt, dass durch Kaiserschnitte die Rate an Schädel-Becken Missverhältnissen in den vergangenen 60 Jahren um etwa einen halben Prozentpunkt zugenommen hat.

Selektion durch Samen- und Eizellspenden

Außerdem habe die Reproduktionsmedizin möglicherweise Auswirkungen auf die Gene einer Bevölkerung, unterstreicht Meyer. So würden Samen- und Eizellspenden von besonders intelligenten oder athletischen Spendern und Spenderinnen bevorzugt.

Diese hätten also häufiger Nachwuchs als weniger intelligente und athletische Menschen. „Da findet schon eine Selektion statt“, zumindest bei den Spendern und Spenderinnen, sagt der Evolutionsbiologe.

Die In-vitro-Fertilisation ermögliche auch, dass Menschen, die sonst auf natürlichem Weg wohl keine Kinder bekommen hätten, nun welche bekommen könnten, fügt Frank Rühli vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich hinzu. „Das führt möglicherweise, wenn das erbliche Faktoren sind, zu Veränderungen im Genpool.“

Warnung: Evolution nicht bewusst steuern

Der Mensch beeinflusst die Evolution also bereits, indem er der natürlichen Selektion teilweise entkommt. Und was ist andererseits mit der Medizin, mit der sich theoretisch verhindern lässt, dass bestimmte Erbkrankheiten weitergegeben werden. Also mit Präimplantationsdiagnostik und ähnlichen Methoden? Jenen Untersuchungen, die dazu dienen, um zu entscheiden, ob ein Embryo aus dem Labor eingesetzt werden soll oder nicht?

„Diese hat noch sehr geringe Effekte“, sagt Meyer, denn sie werde nur sehr vereinzelt angewandt. Der Einfluss auf die Menschheit sei deswegen bisher nur sehr langsam sichtbar.

Zur Frage des evolutionären Effekts der Ansammlung von Mutationen wurde letztes Jahr eine Studie an Mäusen in „PLOS Biology“ veröffentlicht, an der Tautz beteiligt war. Sie zeigte, dass die Ansammlung potenziell schädlicher Genvarianten nur sehr langsam zu einem evolutionären Fitnessverlust in Populationen führt.

Auf den Menschen übertragen bedeuten diese Ergebnisse, dass der mögliche Verlust an Fitness durch die Errungenschaften moderner Medizin „in absehbarer Zukunft“ kein Anlass zu Sorge sein muss.

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Erstellt:
24. August 2025, 17:56 Uhr
Aktualisiert:
24. August 2025, 19:04 Uhr

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