„Kein Respekt“ von Reichinnek
Wie sich Politiker im Umgang mit dem Tod des Charlie Kirk schwer tun
Als würde es sich um zwei verschiedene Menschen handeln: Auch in Deutschland betrauern manche Politiker den umstrittenen US-Aktivisten Charlie Kirk, andere weinen ihm keine Träne nach.

© IMAGO/HMB-Media/dpa/Collage: StZN
Linken-Chefin Heidi Reichinnek (links) zeigt „keinen Respekt“ gegenüber dem erschossenen Charlie Kirk (rechts).
Von Sascha Maier
Es fängt schon bei der Frage an, wie man Charlie Kirk bezeichnen soll. „Ultrarechts“ nennen die einen den US-Aktivisten und Trump-Unterstützer, der am 10. September bei einem öffentlichen Auftritt im US-Bundesstaat Utah erschossen worden ist, „konservativ“ nennen ihn andere, manche sogar „liberal“, Zeitungen nennen ihn, möglicherweise um Ausgleich ringend, häufig „rechtskonservativ“.
Auch fünf Tage nach seinem Tod beschäftigt der Fall Politiker, zuletzt hatte sich die Linken-Chefin Heidi Reichinnek am Sonntag im TV bei Caren Miosga zum Tod Kirks geäußert. Sie sagte zwar, man solle sich nie über den Tod von irgendjemandem freuen, „aber man muss auch an der Stelle kein Mitleid oder keinen Respekt vor dieser Person haben.“ Stattdessen brachte sie ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass die Junge Union ihn nun so betrauere.
Aus dem rechten und konservativen Lager hagelte es in sozialen Medien einen Shitstorm, auf X etwa wurde Reichinnek noch am Montag nach der Ausstrahlung am Sonntag im Minutentakt beschimpft.
Bemerkenswert: Ganz ähnlich erging es der CDU-Politikerin Caroline Bosbach nur wenige Tage zuvor, als sie Kirk auf Instagram als „Kämpfer für westliche Werte“ würdigte, jemanden, der für „freie Debatte“ stehe, eine der „einflussreichsten jungen konservativen Stimmen weltweit.“ Nachdem auch ihr eine Welle von mal mehr, mal weniger sachlicher Kritik entgegen geschlagen war, löschte sie den Beitrag wieder – mit der Begründung, dass viele Kommentare darunter „am Thema vorbeigingen.“
Linke Jugend in Hanau: Verrotte in der Hölle
Dass Die Linke und die CDU bei wenigen Themen auf einer Linie sind, sollte nicht verwundern. Doch gerade die Einlassungen der Jugendverbände beider Parteien zum Tod des Aktivisten zeigen die Tiefe der Gräben auf, welche die Lager trennen. Während die Junge Union – wie ganz richtig von Reichinnek wiedergegeben – zum Tod des 31-Jährigen sagte: „Meinungsfreiheit lässt sich nicht erschießen. Ruhe in Frieden, Charlie Kirk“, schrieb die Jugenorganisation der Linken in Hanau „Rot in hell“ („Verrotte in der Hölle“).
Die Journalistin und Politik-Chefreporterin beim „Stern“ Miriam Hollstein analysierte dazu: „Kirk ist zu einer Projektionsfläche geworden, in die alle Seiten vorzüglich ihre eigenen Motive projizieren.“ Beide Seiten würden wichtige Fakten zu Kirk ausblenden; das linke Lager, dass Kirk sehr wohl auf Dialog setzte, das Land bereiste und direkte Debatten mit politischen Kontrahenten führte. Konservative bis Rechte hingegen ignorierten tatsächlich problematische Ansichten des Gründers der Organisation Turning Point USA, dessen homophobe Positionen und rassistischen Äußerungen sie ausblendeten und ihn stattdessen zur Lichtgestalt verklärten.
Özdemir: Die Demokratie stirbt
Der „Spiegel“-Kolumnist Sascha Lobo äußerte sich ähnlich. „Die sozialen Medien sind randvoll mit Beiträgen, die den Mord am rechtsradikalen Aktivisten Charlie Kirk beklatschen.“ Das sei nicht nur erschreckend, sondern auch „komplett undemokratisch.“
Es finden sich in der deutschen Politik aber auch gemäßigtere Stimmen zum Tod des Charlie Kirk. Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, schrieb jüngst auf der Plattform X: „Wo Gewalt das Mittel politischen Auseinandersetzung wird, stirbt die Demokratie.“ Einerseits sei die Freiheit des Andersdenkenden zu verteidigen. Andererseits hält es Özdemir für wichtig, „friedlich, aber bestimmt Widerspruch leisten, wo unsere liberalen Werte angegriffen werden.“ Im Gegensatz zu den polasierenderen Wortmeldungen kommt Özdemirs Beitrag dazu in den Kommentarspalten überwiegend gut an – auch bei Nutzern, deren Profile nahelegen, den Grünen nicht gerade nahezustehen.
Wo Gewalt das Mittel polit. Auseinandersetzung wird, stirbt die Demokratie. Jeder von uns ist verantwortlich, dass wir die Freiheit des Andersdenkenden verteidigen +friedlich, aber bestimmt Widerspruch leisten, wo unsere liberalen Werte angegriffen werden.https://t.co/nBqbL5K0zI — Cem Özdemir (@cem_oezdemir) September 11, 2025
Während sich viele Politiker an Charlie Kirk die Finger verbrennen und die Witwe des durch ein Attentat Getöteten eine Eskalation des Kulturkampfs in den USA befeuert, sind viele Einzelheiten zum Täter noch völlig unklar. Reichinnek hatte den 22-Jährigen mutmaßlichen Schützen bei Miosga etwa als Republikaner bezeichnet – und damit insinuiert, Kirk sei womöglich von jemandem aus dem eigenen politischen Lager erschossen worden. Laut US-Behörden sei lediglich gesichert, dass der Verdächtige Tyler R. aus Utah familiär aus einem republikanisch geprägten Umfeld komme.
Utahs republikanischer Gouverneur Spencer Cox erklärte zur Motivation des Schützen, dass dieser sich einem Familienmitglied gegenüber kritisch zum bevorstehenden Auftritt von Kirk in Utah und dessen „ultrarechten Ansichten“ geäußert habe. Ermittler fanden am Tatort Patronenhülsen, auf die„Hey, Faschist! Fang!“ geritzt gewesen sein soll. Laut Cox schweige der Tatverdächtige bislang zu den Vorwürfen. Um im Bild der Journalistin Hollstein zu bleiben: Je weniger gewiss ist, desto größer dürfte im Fall Kirk die Projektionsfläche sein.