Wie wird Backnang klimaneutral?

Im Wahlkampf um den Posten des neuen Oberbürgermeisters haben sich so gut wie alle Kandidaten ein Thema auf die Fahnen geschrieben: Den Klimaschutz. Doch wie wird eine Stadt klimaneutral? Und wie steht es aktuell um den Klimaschutz in Backnang?

Sie hätten die Klimaneutralität lieber heute als morgen: Junge Aktivisten der Initiative „Rems-Murr for Future“ bei einer Klimaschutzdemonstration in Backnang. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Sie hätten die Klimaneutralität lieber heute als morgen: Junge Aktivisten der Initiative „Rems-Murr for Future“ bei einer Klimaschutzdemonstration in Backnang. Foto: J. Fiedler

Von Melanie Maier

BACKNANG. Auf den Wahlkampfpostern von Maximilian Friedrich, aktuell noch Bürgermeister der Gemeinde Berglen, steht es Blau auf Weiß: Backnang soll bis 2035 klimaneutral werden. Aber auch die anderen OB-Kandidaten möchten etwas für den Klimaschutz tun. Marco Schlich etwa bewirbt sich überhaupt nur wegen dieses Themas auf den Posten des Rathausobersten und verzichtet konsequent auf Wahlkampfplakate aus Kunststoff.

Der Professor Andreas Brunold hat vor, „den Interessenkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie zu überwinden“, Julia Papadopoulos von der Tierschutzpartei möchte Backnang mit umweltfreundlichem Bauen und weniger Autos klimafreundlicher machen. Für Stefan Neumann, Bürgermeister von Künzelsau, ist die klimaneutrale Stadt ein Ziel, das er schrittweise erreichen möchte. Roland Stümke plant, nachhaltigen Umweltschutz zu betreiben und die Bürger dabei mitzunehmen. Dennoch ist das Wort Klimaneutralität ist für den Bankfachwirt ein Reizwort. „Null Emissionen kann ich mir einfach nicht vorstellen“, sagt er.

Aber bedeutet klimaneutral wirklich, dass in einer Stadt überhaupt keine Treibhausgasemissionen mehr verursacht werden dürfen? Dürfen wir uns Backnang 2035 – oder vielleicht schon früher – ohne Autos mit Verbrennungsmotor, dafür mit mehr Grünflächen und Schutzräumen für Wildtiere vorstellen? Mit Gebäuden, die energetisch auf dem neuesten Stand sind, ohne Müllaufkommen?

Klingt realitätsfern. Und das ist es auch. Denn Klimaneutralität bedeutet nicht, dass keine Kohlenstoffemissionen mehr produziert werden. Es geht vielmehr darum, ein Gleichgewicht zwischen den Emissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff in sogenannten Kohlenstoffsenken herzustellen. Das sind Systeme, die mehr Kohlenstoff aufnehmen als sie abgeben. Die wichtigsten natürlichen Kohlenstoffsenken sind nach Angaben des Europäischen Parlaments Böden, Wälder und Ozeane. Laut Schätzungen entfernen natürliche Senken zwischen 9,5 und 11 Gigatonnen CO2 pro Jahr. 2019 betrugen die jährlichen globalen CO2-Emissionen 38 Gigatonnen.

Künstliche Kohlenstoffsenken, die den Kohlenstoff in dem Umfang aus der Atmosphäre entfernen können, wie es zur Bekämpfung der globalen Erwärmung nötig wäre, gibt es bisher noch nicht. Und da der in den natürlichen Senken gespeicherte Kohlenstoff regelmäßig wieder in die Atmosphäre abgegeben wird – zum Beispiel durch Brände oder durch Abholzung – müssen die CO2-Emissionen drastisch verringert werden, um das Ziel Klimaneutralität zu erreichen. Ist ein Gleichgewicht zwischen der Aufnahme der Senken und den Emissionen erreicht, ist von Netto-Null-Emissionen die Rede.

Das Umweltbundesamt (UBA) spricht im Zusammenhang mit Städten und Kommunen lieber von Treibhausgasneutralität denn von Klimaneutralität, da Letztere genau genommen über die Treibhausgasneutralität hinausgeht. „Bei der Klimaneutralität müssen neben den Treibhausgasemissionen auch alle anderen Effekte des menschlichen Handelns auf das Klima berücksichtigt werden – zum Beispiel die Flächenversiegelungen durch Straßen“, führt Lizzi Sieck vom UBA aus. Bei der Treibhausgasneutralität gehe es für Städte und Kommunen dagegen darum, dass die Treibhausgasbilanz Netto-Null-Emissionen aufweise „Das bedeutet, dass alle in der Kommune verursachten Treibhausgasemissionen der Sektoren – private Haushalte, Verkehr, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen, Industrie sowie kommunale Einrichtungen – vollständig gemindert werden müssen“, erklärt Sieck. Es müssen also sehr ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen vor Ort umgesetzt werden, von denen die Stadt nicht alle beeinflussen kann; etwa die Sanierung von Privathäusern.

Doch welche Schritte hat Backnang bisher überhaupt in Richtung Treibhausgasneutralität getan? Die Stadtverwaltung habe schon viel unternommen, sagt der Baudezernent Stefan Setzer. So sei die Stadt dabei, die kommunalen Gebäude zu sanieren, um Energie und CO2 zu sparen. Diese Maßnahme soll bis 2022 abgeschlossen sein. Setzer geht davon aus, dass zirka 80 Prozent des kommunalen Gebäudebestands saniert werden können. „Bei denkmalgeschützten Gebäuden ist das nicht möglich“, erklärt er.

Die Ansage, dass Backnang klimaneutral werden soll, hat die Stadt bisher noch nicht getroffen. „Ein klassisches Klimaschutzkonzept haben wir nicht“, sagt Setzer. Dafür habe man ein Radinfrastrukturkonzept. Mit den darin enthaltenen Maßnahmen – unter anderem sollen Lücken im Radwegenetz geschlossen und unsichere Stellen beseitigt werden – sollen die Bürger dazu gebracht werden, „das Auto auch mal stehen zu lassen“.

Mittelfristig soll Backnang ein Klimaschutzkonzept bekommen, doch wann genau der Zustand der Klimaneutralität beziehungsweise Treibhausgasneutralität erreicht werden soll, kann Setzer nicht sagen: „Das muss letztendlich der Gemeinderat entscheiden.“ Das Jahr 2035 findet er aber „extrem ambitioniert“.

2035 ist das erklärte Ziel der Gruppe „Klimaentscheid Backnang“. Den rund 20 Bürgern gehen die Bemühungen der Stadt zu langsam. „Die Sanierung von städtischen Gebäuden ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Bertram Ribbeck, Mitgründer der Gruppe, die als Ableger des bundesweiten Vereins Germanzero entstanden ist. Er und seine Mitstreiter fordern ein Gesamtkonzept für Backnang, damit die Stadt bis 2035 klimaneutral wird. Die Weichen dafür, die kann auch Backnangs zukünftiger Oberbürgermeister legen.

Wie wird Backnang klimaneutral?
Wieso eigentlich klimaneutral?

Der Klimawandel betrifft den gesamten Globus. Extreme Wetterbedingungen wie Hitzewellen treten immer häufiger auf, auch in Europa. Steigende Meeresspiegel, versauernde Ozeane und weniger Biodiversität sind weitere Folgen der sich rasch verändernden klimatischen Bedingungen.

Von Menschen verursachtes Kohlendioxid – eines der wichtigsten Treibhausgase, die den Klimawandel vorantreiben – entsteht etwa bei der Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas). Quellen sind vor allem die Strom- und Wärmeerzeugung, Haushalte und Kleinverbraucher, der Verkehr und die industrielle Produktion.

Die Klimaneutralität bis Mitte des 21. Jahrhunderts ist nötig, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen– ein Schwellenwert, der vom Weltklimarat als sicher eingestuft wird. Dieses Ziel wurde auch im Pariser Klimaabkommen, das von 195 Ländern, inklusive der Europäischen Union, unterzeichnet wurde, festgelegt.

2019 stellte die Europäische Kommission den Europäischen Grünen Deal vor, Europas Fahrplan zur Klimaneutralität bis 2050. Mit dem neuen europäischen Klimagesetz soll das Klimaneutralitätsziel auf EU-Ebene rechtlich verankert werden. (Quellen: Umweltbundesamt, Europäisches Parlament)

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Erstellt:
6. März 2021, 06:00 Uhr

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