Naturschützer haben Zweifel an Windkraftziel

dpa/lsw Stuttgart. Angesichts der ehrgeizigen Klimaschutzziele im grün-schwarzen Koalitionsvertrag kommen Naturschützern Zweifel am erfolgreichen Ausbau der Windkraft. Die bisherigen Pläne reichen nicht aus, geben sie zu bedenken. Sie zeigen sich aber auch offen beim Artenschutz.

Windräder stehen in einem Windpark. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild

Windräder stehen in einem Windpark. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild

Nach dem ersten Applaus für die ehrgeizigen Klimaschutzziele im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Regierung kommen bei Naturschützern Zweifel am erfolgreichen Ausbau der Windkraft auf. Vor allem das Vorhaben, bis zu 1000 Windräder allein auf Staatswald- und Landesflächen aufzustellen, sei kaum zu schaffen. „Das halte ich für unrealistisch, solange man sich auf Landesflächen beschränkt“, sagte die neue BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch der Deutschen Presse-Agentur.

Sie sehe im Koalitionsvertrag zudem keinen Ansatz, wie sich das Ziel bereits in den kommenden Jahren umsetzen lassen könne. „Das Ausweisen von Flächen und der Landesentwicklungsplan sind zeitraubende Vorgänge und Abläufe“, sagte die Landeschefin des Bunds für Umwelt und Naturschutz der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn es gelingt, in fünf Jahren einen guten Schritt zu gehen, dann ist das schnell gewesen.“

Der Nabu, der zweite große Naturschutzverband des Landes, hält das Vorhaben zwar ebenfalls für ehrgeizig, erinnert aber auch an das übergeordnete Ziel: „Mag sein, dass diese Zahl unrealistisch ist“, sagt der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle der dpa. „Leider ist sie aber auch notwendig, wenn wir uns anschauen, wo wir eigentlich hinkommen müssen, wenn wir klimaneutral werden wollen.“

Die Landesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, in den kommenden Jahren bis zu 1000 Windräder aufzustellen. Dazu soll der Staatswald stärker für den Ausbau geöffnet und dort jede zweite Anlage errichtet werden. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sagte den „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“: „Bei der Windkraft haben wir die Möglichkeit, schnell Flächen im Staatswald auszuweisen und dafür eine Vermarktungsoffensive zu starten.“

Rund 320 000 Hektar oder etwa ein Viertel des baden-württembergischen Waldes gehören dem Land, 40 Prozent sind in Besitz von Städten und Gemeinden. Bis heute drehen sich im Staatswald allerdings erst 85 Windräder.

Nach Ansicht von Pilarsky-Grosch müssen deshalb neben Staatswald- und Landesflächen auch weitere Gebiete als mögliche Standorte stärker in den Blick genommen werden. „Es gibt ja auch private Flächen außerhalb des Staatsforsts und andere Flächen ohne Bewaldung, wie zum Beispiel Felder“, sagte sie. „Mir ist egal, wo gebaut wird, ob auf staatlichen oder auf privaten Flächen.“

Ökostrom aus Wind ist ein zentraler Pfeiler der Energiewende, er ist in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren aber stark ins Stocken geraten. Als wesentliche Gründe gelten lange Genehmigungsverfahren, viele Klagen und Vorgaben des Bundes, die Baden-Württemberg im Vergleich zu Norddeutschland benachteiligen. Außerdem müssen Artenschutz und Windkraft kompliziert zusammengedacht werden.

Darauf verweist auch der für den Staatswald verantwortliche Forstminister Peter Hauk (CDU), der sich wegen dieser Frage seit Jahren mit dem Umweltministerium auseinandersetzt. „Wenn es derzeit zu Verboten beim Ausbau der Windkraft kommt, liegt es häufig an Konflikten mit dem Artenschutz, hier müssen Lösungen gefunden werden, denn wir brauchen beides“, sagte er der dpa. „Klar ist aber, wenn schon der Verdacht des Brütens eines Schwarzstorchs ausreicht, um Windräder zu verhindern, werden wir im Klimaschutz nicht weiterkommen.“

Hauk fordert eine Reform des Artenschutzes, um den Ausbau der Windkraft zu forcieren. Es gebe einen Konflikt innerhalb der Umweltpolitik zwischen Artenschutz und Klimaschutz. „Das muss das Umweltministerium klären. Es wird am Ende nicht am Forst liegen, dass zu wenig Flächen bereit stehen“, versicherte er.

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz betonte, man setze sich für schnellere und einfachere Genehmigungsverfahren ein. „Das Ziel sind unkomplizierte und rechtlich wasserdichte Regelungen, um den Weg für mehr Windkraftanlagen in Baden-Württemberg zu ebnen“, sagte er. Eine Task Force solle den notwendigen Ausbau beschleunigen. „Artenschutz allein ist nicht der einzige Punkt - wir nehmen hier auch die Bereiche Windenergie, Denkmalschutz und Flugsicherung in den Blick.“

Die Naturschützer zeigen sich offen für Gespräche zum Artenschutz. Es könnten Ausnahmen erteilt werden, um Windenergieanlagen zu erlauben, sagte Pilarsky-Grosch. „Aber dafür braucht es Artenstützungsprogramme, ein Konzept also, wie diese Art außerhalb der Windenergiegebiete gestützt werden kann“, sagte sie. Es könne auf einzelnen Flächen auch Windenergie ermöglicht werden, ohne den Artenschutz aufzugeben. „Wir akzeptieren, wenn das Recht flexibler angewendet wird, wir wollen es aber nicht ändern. Wir sind Artenschützer und nicht Tierindividuenschützer für jedes einzelne Tier.“

Das sieht Nabu-Landeschef Enssle ähnlich. „Wir brauchen klar definierte Vorranggebiete für die Windenergie und gleichzeitig Tabuflächen, in denen der Artenschutz Vorrang hat“, sagte er. Es werde sonst immer wieder zeitraubende Konflikte mit dem Artenschutz geben. „Die Energiewende wird daher nur mit, nicht gegen den Artenschutz zu schaffen sein“, sagte Enssle. Er kündigte zudem ein eigenes Konzept zu Windkraft und Artenschutz an, das in den kommenden drei Monaten vorgelegt werden soll.

Im Südwesten waren Ende dieses Jahres 731 Anlagen in Betrieb, das sind gerade mal 12 mehr als 2019. Zum Vergleich: In Niedersachsen drehen sich mehr als 6350 Windräder. Dabei hatten die Grünen noch 2012 gemeinsam mit der damals mitregierenden SPD das Ziel ausgegeben, 1200 Windanlagen zu bauen, um bis 2020 mindestens zehn Prozent des Energiebedarfs aus heimischer Windenergie zu erzeugen.

© dpa-infocom, dpa:210603-99-842628/7

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Erstellt:
3. Juni 2021, 05:44 Uhr

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