Windkraft in der Krise: Jobabbau und Kritik an der Regierung

dpa Berlin/Hannover. Die Pläne für einen größeren Mindestabstand für Windräder bringen der Bundesregierung eine Menge Kritik aus der Branche ein. Der Anlagenbauer Enercon ist mit seinem geplanten Abbau von 3000 Jobs nur das prominenteste Gesicht der Windkraft-Krise.

Arbeiter des Windkraftbauers Enercon bei Wartungsarbeiten im niedersächsischen Gestorf. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Arbeiter des Windkraftbauers Enercon bei Wartungsarbeiten im niedersächsischen Gestorf. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Stockender Ausbau, Jobabbau und umstrittene schärfere Regeln für den Bau von Windrädern: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gerät wegen der Krise der Windbranche zunehmend unter Druck.

In einem Brandbrief an den CDU-Politiker machten Energie- und Wirtschaftsverbände sowie der DGB Front gegen den geplanten Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windrädern und Wohnsiedlungen. Dies werde die Windenergie an Land „dramatisch schwächen“, heißt es in dem Schreiben. Altmaier selbst verteidigte die Pläne am Mittwoch. Es gehe um Akzeptanz.

Der Ausbau der Windkraft an Land war in diesem Jahr fast zum Erliegen gekommen. Als Hauptgründe gelten lange Genehmigungsverfahren, zu wenige nutzbare Flächen und viele Klagen von Bürgerinitiativen. Nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall stehen Zehntausende Jobs in strukturschwachen Regionen auf dem Spiel.

Die Krise war noch einmal verschärft worden, weil Enercon, einer der größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, eine umfassende Neuausrichtung angekündigt hatte - mit der auch rund 3000 Jobs wegfallen sollen.

Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig sagte am Mittwoch nach einem Treffen mit der Politik in Hannover: „Letztendlich müssen wir jetzt für uns ganz klar festhalten, dass an dem Schritt, den wir am Freitag angekündigt haben, kein Weg vorbeigeht.“ Ein wesentlicher Grund sei, dass in Deutschland in letzter Zeit kaum noch neue Windkraftanlagen errichtet worden seien. „Es bricht etwas weg, was wir nicht auffangen können.“ Mögliche Schritte der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Windenergie könnten den Jobabbau nicht mehr verhindern.

„Die Maßnahmen, die wohlwissend jetzt angepackt werden können und die kurz- und mittelfristiger Natur sind, kommen jetzt zu spät“, sagte Kettwig. „Die Messe ist gelesen.“ Die Verlagerung der Produktion von Rotorblättern ins Ausland, mit der der Jobabbau zusammenhängt, sei alternativlos. Kettwig wollte mit den Wirtschaftsministern von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt über Möglichkeiten von Kurzarbeitergeld, Transfergesellschaften und Umschulungen reden. Für Montag ist in Magdeburg ein zweites Krisentreffen mit der Unternehmensleitung geplant.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte vom Bund eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren für neue Windräder. Insbesondere an Standorten, wo ausgediente Windanlagen durch neue ersetzt werden, müssten die Planungshürden gesenkt werden, ansonsten drohe faktisch ein Rückbau der Windenergie.

Zugleich kündigte Weil an, Niedersachsen werde von der bundesweit geplanten Abstandsregelung von 1000 Metern abrücken. Die Regelung werde noch einmal zu einer drastischen Reduzierung der verfügbaren Flächen führen.

Dies sehen die Verbände in ihrem Brandbrief an Altmaier genau so. Das Schreiben stammt vom Industrieverband BDI, dem Gewerkschaftsbund DGB, dem Energieverband BDEW sowie dem Windenergie-Verband (BWE), dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) und dem Maschinenbauverband VDMA.

Auf den Mindestabstand hatten sich Union und SPD nach langem Streit geeinigt. Geplant sind bundeseinheitliche Regelungen, bisher gibt es von Land zu Land unterschiedlich strenge Vorgaben. Länder und Kommunen sollen aber entscheiden können, die Regel nicht anzuwenden. Umstritten ist weiterhin die genaue Ausgestaltung der neuen Regelung - einem aktuellen Entwurf aus dem Hause Altmaiers zufolge würden schon fünf Wohnhäuser reichen, damit der Mindestabstand eingehalten werden muss.

In dem Brief schreiben die Verbände: „Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird, obwohl klar ist, dass damit das Ziel von 65 Prozent Erneuerbare Energien in 2030 nicht gehalten werden kann.“

Eigentlich hat die Koalition aus Union und SPD sich das Ziel gesetzt, dass bis 2030 der Anteil von Ökostrom in Deutschland auf 65 Prozent steigen soll. In den ersten neun Monaten dieses Jahres waren es nach Zahlen der Energiewirtschaft rund 43 Prozent. Da 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht und bis 2038 mit dem Strom aus Kohle Schluss sein soll, ist ein schneller Ausbau von Windrädern und Solaranlagen notwendig, um auf Zielkurs zu kommen.

Die Verbände wandten sich neben Altmaier auch an Staatssekretäre im Wirtschafts-, Umwelt- und Finanzministerium. Zuständig für den Mindestabstand, der den Widerstand gegen neue Windräder verringern soll, ist Bauminister Horst Seehofer (CSU).

Altmaier verteidigte den geplanten Mindestabstand. Er verwies im Bundestag darauf, dass die Länder die Möglichkeit erhalten sollten, abweichende Regelungen zu treffen. Zugleich sagte der Ressortchef, der Widerstand vor Ort gegen Windkraftanlagen sei enorm gestiegen, damit müsse sich die Politik auseinandersetzen.

Das Hauptproblem derzeit sei, dass es nicht genügend genehmigte Standorte für Windräder gebe. Die Genehmigungsverfahren dauerten oft Jahre. Es gehe darum, zusammen mit den Ländern Verfahren zu beschleunigen. Man arbeite mit Hochdruck daran, das Maßnahmenpaket umzusetzen. Der Erhalt von Jobs in der Branche liege im Interesse Deutschlands.

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Erstellt:
13. November 2019, 16:33 Uhr

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