„Wir standen plötzlich vor dem Nichts“
Jacqueline und Jürgen Schwinger haben durch einen Brand über Nacht ihre Wohnung verloren. Sie berichten von der schwierigen Situation nach dem Ereignis. Wo kommt man unter? Wen muss man kontaktieren? Und wie geht man mit dem traumatischen Erlebnis um?

© Alexander Becher
Jürgen Schwinger, seine Frau Jacqueline und Hündin Lily sind nach dem Brand in ihrer Wohnung nun vorerst in einer Ferienwohnung untergekommen. Ob und wann sie wieder in ihrer Wohnung leben können, ist noch unklar. Foto: A. Becher
Von Kristin Doberer
Backnang. Das Piepsen eines Feuermelders hat das Leben von Jacqueline und Jürgen Schwinger komplett auf den Kopf gestellt. Nachts um 3.30 Uhr reißt das Geräusch Jacqueline Schwinger aus dem Schlaf, der Esstisch und die Stühle im Ess- und Wohnbereich ihrer Dreizimmerwohnung stehen in Flammen, der Rauch sammelt sich unter der Decke. „Erst wollte ich versuchen, das selbst zu löschen. Aber ich hatte keine Chance“, berichtet Jacqueline Schwinger. Dann habe sie nur noch ihren Mann aus der Wohnung bringen wollen. Er selbst erinnert sich nicht mehr genau an die Nacht. Denn Jürgen Schwinger muss wegen einer Lungenkrankheit nachts künstlich beatmet werden. Zeit, dass seine Lungenmuskulatur sich ans selbstständige Atmen gewöhnen kann, blieb in der Nacht nicht. „Ich bin froh, dass ich ihn überhaupt nach draußen bekommen hab“, erzählt Jacqueline.
Für das Paar geht es noch relativ glimpflich aus. Jacqueline erleidet eine leichte Rauchvergiftung, ihr Mann atmete den giftigen Rauch durch die Sauerstoffmaske, die ihn im Schlaf versorgt, zum Glück kaum ein. Beide sind froh, dass niemand verletzt wurde und das Feuer auf keine weiteren Wohnungen in dem Haus übergegriffen hat. Für die Feuerwehr haben beide großes Lob übrig: „Die waren alle auf Zack und schnell vor Ort“, meint Jürgen Schwinger.
Als die beiden dann am nächsten Morgen aus dem Krankenhaus entlassen wurden, mussten sie sich plötzlich mit Fragen beschäftigen, die sie sich vor einem Wohnungsbrand niemals zu stellen glaubten: Wohin jetzt? Wohin morgen und danach? Welchen Part übernimmt welche Versicherung? Was ist von wichtigen Dokumenten und Erinnerungsstücken noch übrig? Geht der beißende Geruch jemals wieder weg? Was lässt sich reinigen? „Ich dachte zuerst, wir können ein bisschen was sauber machen und dann geht das schon“, erzählt Jürgen Schwinger. Doch die Realität sah anders aus. Obwohl das tatsächliche Feuer nur im Ess- und Wohnbereich brannte, liegt auch in Bad und Schlafzimmer eine dicke Rußschicht auf allem. Die schwarze Schicht aus feinstem Staub überziehe alles und sei auch in kleinste Ritzen eingedrungen, auch die Möbel und Oberflächen seien von dem Ruß geschädigt. Der vorläufige Schaden wird auf rund 10000 Euro geschätzt, als Auslöser wird ein Kabel vermutet (wir berichteten).
Die traumatische Erfahrung wird das Paar wohl noch lange beschäftigen
„Wir standen dann vor dem Krankenhaus plötzlich vor dem Nichts. Wir wussten überhaupt nicht, was wir machen und wohin wir gehen sollen“, erzählt der 53-Jährige. Welche Unterstützungsmöglichkeiten das Rechts- und Ordnungsamt in der ersten Zeit hätte bieten können (siehe Infokasten), war dem Paar nicht bewusst. Zu Familienmitgliedern konnten sie nicht – die eine Seite war zu dem Zeitpunkt in Quarantäne, die andere Seite lebt in Thüringen. Das Paar suchte sich ein Hotelzimmer und dann wurde erst bewusst, was nun alles auf sie zukommt. Sie hatten nur die Kleidung, die sie in der Nacht trugen, Schlüssel waren in der Wohnung und auf allem lag die Last, was alles organisiert werden musste. „Seitdem sind wir nur im Stress“, sagt Jürgen Schwinger. Versicherungen informieren, Aussagen bei der Polizei abgeben, Listen mit allen Dingen in der Wohnung erstellen, möglichst schnell neue Sauerstoffbehälter und die dazu benötigten Schläuche organisieren. Auch viele wichtige Dokumente und Medikamente seien verbrannt. Von Impfausweis bis Krankenhaus- und Rentenpapieren sowie auch emotionalen Erinnerungsstücken. „Das ist der Horror. Eigentlich hat man gar keine Kraft, aber man muss sich dann um so viel kümmern.“
Das größte Problem sei eine Unterkunft gewesen. Mit Hund und dem Pflegegrad von Jürgen Schwinger sei es ein reiner Glücksfall gewesen, so schnell eine passende Ferienwohnung mit Aufzug zu finden. Die notwendige Renovierung werde wohl mindestens drei Monate dauern, das habe ein Gutachter dem Paar berichtet. Im Moment sei aber ohnehin alles in der Schwebe. Ob sie sich in der alten Wohnung überhaupt sicher fühlen werden, bezweifeln die beiden im Moment. „Wenn dann müssen wir vermutlich alles etwas anders einrichten, sonst erinnert das nur an die traumatische Erfahrung“, erzählt Jacqueline Schwinger. Sie habe aktuell noch große Probleme mit dem Einschlafen, abends ziehe sie alle Stecker der Elektrogeräte heraus. „Und immer wenn ich die Augen zumache, sehe ich die Rauchwolke vor mir“, erzählt die 53-Jährige.
Trotzdem hat das Paar in den vergangenen zwei Wochen auch positive Erfahrungen gemacht: Die Pizzeria nebenan, die angeboten hat, auch mal ein kostenloses Essen anzubieten, die Kollegin, die spontan Handtücher und einen Gutschein vorbeigebracht hat, die Nachbarin, die auf den Hund aufgepasst hat, während beide im Krankenhaus waren, oder der Vermieter, der sie am Folgetag zu einem Kaffee eingeladen hat, „damit wir einfach kurz einen Ort zum Durchschnaufen haben“, sagt sie. Für die Hilfe seien sie sehr dankbar, gerade auch, weil nicht sicher ist, wie es weitergeht, und nun alles an der Versicherung hänge. Nicht nur emotional, sondern auch finanziell sei die Situation gerade eine große Belastung.
Zuständigkeit Bei Bränden, Hochwasser oder sonstigen schweren Schadensereignissen ist bei der Stadtverwaltung das Rechts- und Ordnungsamt der erste Ansprechpartner für Betroffene. Was nach einem Schadensereignis passiert, hängt von der Situation ab.
Beratung Direkt nach einem solchen Ereignis stünden die Mitarbeiter auch unterstützend und beratend zur Seite, so sagt die Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts, Gisela Blumer. „Wenn es nötig ist, gehen wir auch mal mit Kleidung oder Lebensmittel einkaufen.“
Überbrückung Ist die Wohnung nur kurzzeitig nicht betretbar, zum Beispiel solange die Feuerwehr lüftet oder das Gebäude überprüft, kümmere man sich um eine Aufenthaltsmöglichkeit. „Geht es nur um drei bis vier Stunden, setzen wir Betroffene zum Beispiel in eine Gaststätte und besorgen dort Frühstück oder Mittagessen“, sagt Blumer.
Erste Unterbringung Wenn allerdings ersichtlich wird, dass die Wohnung vorerst nicht mehr bewohnbar ist, kommen viele Betroffene meist bei Freunden oder der Familie unter, so Blumer. Für viele sei das in einer traumatischen Situation der bevorzugte Ort, weil man Menschen dort vertraut. „Ist das nicht der Fall, helfen wir dabei, ein Hotel oder eine Ferienwohnung zu finden, sofern das mit der Versicherung abgesprochen ist.“
Notfallunterkunft Wenn diese Varianten nicht möglich sind, habe die Stadt auch Unterbringungsmöglichkeiten in Notunterkünften. Dafür halte man eine gewisse Zahl an Betten und Bettwäsche vor. „Bisher konnten wir die Obdachlosigkeit immer vermeiden“, sagt Blumer.