Wochenbettdepression: Eigentlich sollte man doch glücklich sein

Die Hälfte bis drei Viertel der Mütter zeigen nach der Geburt Symptome des sogenannten Babyblues. Während dieser normalerweise nach wenigen Tagen auch ohne Behandlung vorübergeht, schaffen es etwa 10 bis 20 Prozent der Mütter nicht mehr alleine aus dem Tief heraus.

Wochenbettdepressionen sind durch Traurigkeit, Verletzbarkeit und Schlaflosigkeit der Wöchnerin charakterisiert. Foto: stock.adobe.com/tiagozr

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Wochenbettdepressionen sind durch Traurigkeit, Verletzbarkeit und Schlaflosigkeit der Wöchnerin charakterisiert. Foto: stock.adobe.com/tiagozr

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Eine schwangere Frau, die mitten im Leben steht. Sie ist gut strukturiert, auch was ihre Familie betrifft, freut sich auf den Familienzuwachs. Doch dann ist das Kind da – und nichts läuft wie gedacht. Die junge Mutter kommt überhaupt nicht zurecht, sie ist nicht fähig, sich um das Kind zu kümmern. Am Schluss kommt sie in die Notaufnahme, wird in die Psychiatrie eingewiesen, damit sie „runterfahren“ kann. Nur langsam wird sie an einen normalen Alltag herangeführt. Das Baby ist zu Hause bei ihrem Mann, sie sieht es zunächst nur stundenweise. Schließlich darf sie wieder nach Hause, es geht ihr wieder gut.

Von dieser Begegnung erzählt Kirstin Moede, Hebamme aus Kirchberg an der Murr. Die beschriebene Mutter litt an einer postpartalen Depression (PPD), auch bekannt als Wochenbettdepression. Diese Erkrankung betrifft, je nach Studie, etwa 10 bis 20 Prozent aller Mütter. Woher kommt diese Krankheit, die selbst von Fachkräften nicht immer ernst genommen wird?

Nach der Geburt, so erklärt Moede, sei die frischgebackene Mutter aufgrund der ausgeschütteten Endorphine zunächst euphorisch. Das kann sich in den folgenden Tagen jedoch ändern und bietet zunächst keinen Anlass zur Sorge. Die „Heultage“, wie der Babyblues auch genannt werde, treten häufig aufgrund der nachfolgenden Hormonumstellung auf. „Diese kurzzeitige postpartale Wochenbettverstimmung ist durch Traurigkeit, Weinen, Unruhe, Verletzbarkeit und Schlaflosigkeit der Wöchnerin charakterisiert. Wichtig sind positiver Zuspruch und eine gute Wochenbettbetreuung“, so die Hebamme. Das häufige Weinen hat dabei sogar einen Nutzen, denn unter anderem dadurch wird die Bildung des „Kuschelhormons“ Oxytocins angeregt, das wiederum den Milchfluss aktiviert.

Traumatische Geburtserfahrungen sind oft die Auslöser

Doch die PPD hat nicht immer ihren Ursprung im Babyblues. Oft ist der Auslöser eine traumatische Geburtserfahrung, zudem erkranken häufiger Frauen, die vorbelastet sind oder ein krankes Kind auf die Welt bringen. Um Mütter zu unterstützen, ist nicht nur vor, sondern insbesondere auch nach der Geburt eine gute Begleitung essenziell. „Die Hebamme ist die erste, die die ambulante Betreuung im Wochenbett macht“, so Kirstin Moede. Sie sei nicht nur Ansprechpartnerin für die körperlichen, sondern auch für die psychischen Bedürfnisse der Wöchnerin und sei so auch in der Lage, erste pathologische Anzeichen zu erkennen. „Wenn die Wochenbettdepression frühzeitig erkannt und gut betreut wird, dann ist die Prognose sehr gut“, weiß sie. „Eine Depression muss auf jeden Fall behandelt werden.“

So weiß sie etwa von Frauen, die noch nach Jahren aus irgendeinem Anlass heraus getriggert werden und wieder in eine Depression verfallen. Daher ihre Bitte: „Wenn man eine schwere Geburt hatte, soll man sich sofort an die damaligen Geburtshelfer wenden, wenn man merkt, dass die Erlebnisse wieder hochkommen.“ Sie rät zudem dazu, mit dem Arzt und der Hebamme darüber zu sprechen oder auch in einer Selbsthilfegruppe.

Oft stellt sich eine Erkrankung erst nach Jahren heraus

Wie viele Frauen im Kreis an der postpartalen Depression erkranken, sei schwierig abzuschätzen, so Lisa Gebhardt, Fachbereichsleiterin Frühe Hilfen beim Kreisjugendamt. Oft stelle sich eine Erkrankung erst nach Jahren heraus. „Die Mütter kommen mit ihren Kindergartenkindern und später im Gespräch wird das thematisiert“, hat ihre Kollegin Susanne Grießhaber-Stepan festgestellt. „Schwierigkeiten in dieser Lebensphase werden oft mit etwas Abstand anders betrachtet und bewertet. Es passiert unheimlich viel Neues.“ Es sei sehr viel Anpassungsleistung von allen Beteiligten erforderlich. Gleichzeitig fehle die Zeit, sich zu reflektieren. „Manche reduzieren sich da aufs Funktionieren.“

Lisa Gebhardt hat die Erfahrung gemacht, dass es sich häufig um einen schleichenden Prozess handele, die Krankheitsbilder seien vielfältig: „Wir haben häufig damit zu tun, dass gar nicht diagnostiziert ist, was es tatsächlich ist. Manche Mütter hatten bereits in ihrer Kindheit und Jugend depressive Phasen und etwa durch den Hormonumschwung tritt es wieder auf.“

„Man merkt, dass die postpartale Depression zu wenig thematisiert wird“

Etwa 50 Prozent der Familien, die mit den Frühen Hilfen begleitet werden, melden sich selbst. Meist stehe gar nicht eine mögliche depressive Symptomatik im Vordergrund, es gehe vor allem um ein Gefühl der Überforderung, etwa wenn das Kind schlecht schlafe. Erst im Laufe der Beratung kristallisiere sich häufig heraus, dass noch etwas anderes dahinter stecke als etwa Fragen zur kindlichen Entwicklung oder zur Alltagsgestaltung. Dabei wirkt sich eine unerkannte und unbehandelte PPD auch auf die Mutter-Kind-Beziehung und die Kindesentwicklung aus.

„Wir machen häufig die Erfahrung, dass es leichter ist, sich an eine Stelle zu wenden, wenn das Kind bestimmte Anzeichen zeigt, und darüber zu sprechen. Da bedarf es viel Fingerspitzengefühl, um dahinter zu kommen, dass die Anzeichen des Kindes vielleicht auch von der Situation der Mutter herrühren könnten“, so Gebhardt. „Man merkt, dass die postpartale Depression zu wenig thematisiert wird. Die Frauen sind oft mit dem Stigma konfrontiert: Man hat ein Kind bekommen und nun wird erwartet, dass man glücklich ist mit seiner Situation und sich gut zurechtfindet.“ Daraus resultiere oft eine große Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen. Denn die betroffene Frau verstehe selbst nicht, warum sie diese Erwartungen, die sie auch an sich selbst hat, nicht erfüllen könne. Übrigens können auch Väter daran erkranken, die Zahlen sprächen dafür, dass es ähnlich häufig wie bei Frauen geschehe, weiß Gebhardt. „Das beeinflusst das ganze Familiensystem.“ Und Susanne Grießhaber-Stepan stellt klar: „Man muss sich bewusst machen, dass so etwas passiert und es kein persönliches Versagen ist.“

Depressionen wirken sich negativ auf die Mutter-Kind-Bindung aus

Depression Eine der häufigsten Erkrankungen während der Schwangerschaft ist die Depression, nach Bluthochdruck und Diabetes belegt sie Platz 3. Das hat verschiedene Ursachen. Die Frau ist unsicher, macht sich Sorgen, ob sich das Kind richtig entwickelt, zweifelt womöglich, ob sie den Anforderungen und Erwartungen, die an eine Mutter gestellt werden, erfüllen kann. Eine Depression während der Schwangerschaft kann direkte Auswirkungen auf den Fötus haben, etwa durch ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt oder ein geringeres Geburtsgewicht.

Risikofaktoren Prinzipiell kann die PPD jede treffen. Begünstigend wirken sich vorhergehende depressive Erkrankungen aus. Studien weisen auf hormonelle Zusammenhänge hin. Eine weitere Ursache könnte eine dysfunktionale HPA-Achse sein. Dabei handelt es sich um eine Verbindung zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Neben- nierenrinde. Stehen Menschen unter Stress, wird diese Achse aktiv. Ihre Funktionsweise ist während der Schwangerschaft zunächst gedämpft und stellt sich erst nach der Geburt innerhalb von drei Monaten wieder um. Bei Frauen, die von PPD betroffen sind, könnte diese Umstellung nicht optimal verlaufen sein. Depressionen wirken sich negativ auf die Mutter-Kind-Bindung aus. Zudem erhöht sich das Risiko, bei einer weiteren Schwangerschaft depressiv zu werden, um 50 Prozent.

Anzeichen Viel weinen, große Müdigkeit, extreme Schlafstörungen, körperliche Beschwerden wie beispielsweise Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit können Anzeichen einer Wochenbettdepression sein. Unterstützung bietet etwa die Selbsthilfegruppe „Schatten und Licht“, unter www.schatten-und-licht.de.

Hilfe Eine gute Betreuung auch nach der Schwangerschaft ist für junge Mütter in dieser neuen Lebenssituation essenziell. Perfekt geeignet dafür sind die Hebammen, doch oft sind deren Kapazitäten bereits ausgelastet.

Das Famfutur bietet beispielsweise eine Hebammensprechstunde an. Das Gespräch ist kostenlos und vertraulich. Hebamme Mona Landsgesell steht montags von 8 bis 10 Uhr im Famfutur zur Verfügung, Anmeldung empfohlen. Weitere Informationen unter Telefon 07191/3419-125, E-Mail beratungsstelle@kinderundjugendhilfe-bk.de.

Hebammennotstand „So kann es nicht weitergehen“, mahnt Jutta Eichenauer, erste Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. „Hebammen arbeiten seit Jahrzehnten am Limit – mit gravierender Sogwirkung, denn je härter der Beruf wahrgenommen wird, desto weniger sind bereit, sich darauf einzulassen. Die Folge ist eine weitere Verschärfung der Arbeitssituation. Eine berufliche Abwärtsspirale“, so Eichenauer.

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Erstellt:
29. November 2022, 16:00 Uhr

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