„Wohnsitz für arme Bürgers Witwen“

Blick in das Archiv von Peter Wolf: Der Oelberg war einst ein zentraler Bereich der Altstadt. Seine Geschichte führt weit zurück in Backnangs Vergangenheit. Die Gebäude der Straße beherbergten unter anderem ein Gefängnis, ein Frauenstift und eine Vogtei.

In den 1920er-Jahren war Gottlob Erlenbusch der Wirt der Restauration zur Uhr. Repros: P. Wolf

In den 1920er-Jahren war Gottlob Erlenbusch der Wirt der Restauration zur Uhr. Repros: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. In der frühen Fotografie wurden gerne die Sehenswürdigkeiten einer Stadt abgelichtet – oder gut situierte Wirts- und Geschäftsleute vergaben den Auftrag, ihre Häuser auf Bildern festzuhalten. Aber die kleinen Gässchen wurden von den Fotografen meist eher vernachlässigt. So gibt es auch nur wenige historische Aufnahmen vom Oelberg. Der 1916 in Böhmen geborene Künstler Oskar Kreibich, der ab 1946 in Backnang lebte, gibt in einem seiner Gemälde eine Impression wieder, wie es in dem kleinen Sträßchen, das zum Stadtturm führt, einmal ausgesehen haben könnte.

In dem hohen Gebäude links, mit der früheren Adresse Stiftshof 1, befand sich im 19. Jahrhundert die Mädchenschule. Ab dem Jahr 1892 diente es als Gefängnis. Über das Haus Oelberg 16, rechts vor dem Stadtturm, schreibt Gustav Hildt 1910 in den Blättern des Murrgauer Altertums-Vereins: „Die jetzige Wirtschaft zur Uhr gehörte dem Schlosser Creutz, dann lange Jahre der Familie Kaminfeger Müller. Von einer Witwe Müller hat das Haus im Jahr 1821 der Uhrmacher Eberhardt erworben. Auf beiden Seiten vor dem Haus stand damals ein Schweinestall auf städt. Platz.“

Im Gebäude der Weinstube zur Uhr war einst eine Uhrmacherwerkstatt.

1877 eröffnete David Veil die „Restauration zur Uhr“ in dem Gebäude. Ihren Namen erhielt die Wirtschaft nach der vorigen Nutzung als Uhrmacherwerkstatt. Im Gaststättenverzeichnis von 1920 ist die Restauration zur Uhr noch zu finden, 1927 aber nicht mehr. Als letzter Wirt wird Gottlob Erlenbusch genannt. Danach wurde das Gebäude lange Zeit nicht mehr gastronomisch genutzt, bis Dimitrios (Mitzu) und Despina Siasiakis 1992 die Wirtschaft „Zur Uhr“ mit dem idyllischen Biergarten neu belebten.

Die Gasse Oelberg ist ein zentraler Bereich der Altstadt. Vermutlich verweist der Name auf eine Skulpturengruppe an der einstigen Michaelskirche, die Christus mit den Jüngern am Ölberg darstellte, informiert das Backnang-Lexikon. Der Legende nach soll sich am Hang Richtung Burgberg beziehungsweise Stiftshof ein mehrere Stationen umfassender Kreuzweg befunden haben, der den Leidensweg Jesu nachstellte. Bisher konnte die Existenz eines solchen Wegs allerdings weder quellenmäßig noch archäologisch nachgewiesen werden. Einzig eine Konsole am Gebäude Oelberg 12 könnte auf eine Station hindeuten.

Heute folgt der „Weg der Besinnung“ mit zeitgenössischen Kunstwerken dem vermeintlichen Kreuzweg. Den Beginn machte 1988 Ernst Hövelborns Wandbild mit Texttafel „Das Glück – das Nützliche und die Einsicht“ an der Quartiersgarage. Die Galionsfigur „Der Fortschritt“ (1990) von Hellmut G. Bomm am ehemaligen Gefängnis kam 1990 dazu. Am Haus Oelberg 12, wo sich die alte Konsole befindet, ist heute die Holzfigur „Hirt des Seins“ von Reiner Anwander angebracht, um nur einige Stationen zu nennen.

Das Gebäude mit der Hausnummer 12, wo sich der Oelberg zum Stadtturm und in Richtung Marktplatz gabelt, hatte eine wechselvolle Geschichte. Im Stadtkataster ist aufgeführt, dass der Backnanger Bürger Friedrich Schneider 1451 das Grundstück als Stiftslehen mit dem Recht erhielt, darauf bauen zu dürfen. Der heute noch erhaltene, per Inschrift datierte Rundbogen zeugt von einem Neubau im Jahr 1596. Beim Stadtbrand von 1693 brannte das Haus wohl ab und wurde bald darauf wiederaufgebaut, denn 1706 wurde es bereits an die Rentkammer veräußert und diente bis 1730 als Vogtei. Danach baute man es zum Magazin um, und das Haus diente als Fruchtkasten der Kellerei. Der mit einem großen Gewölbekeller ausgestattete Kasten wurde 1785 bis auf das steinerne Erdgeschoss abgebrochen und danach wiederum in Fachwerk neu aufgebaut. Der Staat veräußerte 1877 die zweistöckige Scheuer an David Stelzer, der darin eine Schuhfabrik einrichtete. In dem alten Gewölbekeller des Hauses befindet sich heute das Galli-Theater. Gegenüber des Gebäudes Oelberg 12, auf der anderen Straßenseite, befand sich einst ein Frauenstift. Mit Stiftungsurkunde vom 16. Januar 1852 stellte der frühere Stadtschultheiß Gottlieb Monn neben einem Geldbetrag auch sein Gebäude am späteren Oelberg 11 als „Wohnsitz für hiesige arme Bürgers Witwen und auch für ältere ledige Weibspersonen“ zur Verfügung, heißt es im Backnang-Lexikon weiter. 1863 schenkte seine Witwe Sophie das Gebäude samt Gemüsegarten der Stadtstiftungspflege. Die im Frauenstift aufgenommenen Personen mussten alljährlich je einen Gulden Beitrag zur Unterhaltung des Wohngebäudes entrichten, durften ansonsten jedoch kostenlos darin wohnen.

„Die Stiftung Monn’sches Frauenstift wurde aufgehoben.“

Aus einem Fragebogen an die Monn’sche Stiftung vom 1. August 1928 geht hervor, dass sechs Plätze mit Einzelzimmern zur Verfügung standen, die zu dem Zeitpunkt alle belegt waren. Eine erneute Anfrage stellte die Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen in Stuttgart am 30. Juni 1939 an die Stadt Backnang. Das Städtische Fürsorgeamt antwortete: „Die Stiftung Monn’sches Frauenstift wurde, weil sie dem Willen des Stifters entsprechend nicht mehr weitergeführt werden konnte, aufgehoben. Die Gebäude sind 1938 verkauft worden.“ Seit 1986 befindet sich an der Stelle des ehemaligen Frauenstifts eine Tiefgarage, die sogenannte „Quartiersgarage“.

Im Gebäude Oelberg 1 befand sich eine zweite Gaststätte in der Gasse, geht aus den Wirtschaftsakten im Stadtarchiv hervor: Ökonom Christian Kurz, gebürtig in Unterweissach, „ein vermöglicher Mann“, hat im Sommer 1867 eine Speisewirtschaft am Oelberg 1 von J.P. Vincon erworben. Über dieses Wirtshaus mit dem Namen zur „Nächstenhilfe“ erzählte man sich eine Geschichte über eine Gaigelrunde, ist in der Jubiläumsausgabe vom 19. März 1957 zum 125-jährigen Bestehen der Backnanger Kreiszeitung zu lesen. Darin heißt es: Die Wirtsstube grenzte an die Stadtmauer, sodass man einen freien Blick über die Bleichwiese hatte. Regelmäßig trafen sich hier die Stammgäste zum Gaigeln. Wenn dann der vierte Mann zum Kreuzgaigel fehlte, so half man sich auf sehr originelle Weise. In der Wirtsstube hing zu diesem Zweck ein großer Schalltrichter. Die Gaigelbrüder legten sich auf die Lauer und wenn sie unten im Tal einen Bekannten erblickten, so konnte man weithin einen Ruf hören wie: „Karle, komm schnell, ons fehlt oiner zom Gaigel!“

Im Jahr 1875 kaufte Friedrich Stroh das Gebäude am Oelberg 1 und richtete darin eine Druckerei und die Heimatzeitung Murrtal-Bote ein (Bericht folgt).

Das Monn’sche Frauenstift am Oelberg 11 um 1930.

Das Monn’sche Frauenstift am Oelberg 11 um 1930.

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Erstellt:
18. Mai 2021, 11:30 Uhr

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