Zentralrat: Staat muss Antisemitismus stärker bekämpfen

dpa/lsw Heidelberg. Der Zentralrat der Juden schlägt Alarm: Der Staat müsse mehr tun gegen wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Zugleich ruft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu mehr Zivilcourage auf.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, kommt zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2019. Foto: Jörg Carstensen/Archiv

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, kommt zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2019. Foto: Jörg Carstensen/Archiv

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat die Politik aufgerufen, Antisemitismus entschiedener zu bekämpfen. Ein politischer „Klimawandel“ tue Not, sagte er am Montagabend bei der 40-Jahr-Feier der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. So müsse sich in der Ausbildung der Strafverfolgungsbehörden und bei deren Ausstattung etwas ändern. „Wir brauchen eine Justiz, die antisemitische und im Übrigen rassistische Straftaten als solche benennt und entsprechend sanktioniert.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an jeden einzelnen, sich gegen Judenfeindlichkeit zu stellen. „Wegschauen und weghören, nichts sagen und nichts tun, wenn jüdische Bürgerinnen und Bürger beleidigt, verhöhnt oder gewaltsam angegriffen werden – das kann, das darf keine Option sein, für niemanden von uns“, sagte er vor mehr als 600 Zuhörern in der Universität Heidelberg. Das sei Teil der Verantwortung Deutschlands, die keinen Schlussstrich kenne und kennen dürfe. Zugleich bekräftigte er die Pflicht des Staates, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen.

Die Diskriminierung von Juden in Deutschland hat im vergangenen Jahr zugenommen. Die Zahl antisemitischer Straftaten ist um
rund ein Fünftel auf 1799 (2017: 1504) gestiegen. Weit überwiegend
(89,1 Prozent) sind diese Straftaten laut Bundesinnenministerium nach wie vor rechten Kräften zuzuordnen.

Nach den Worten Schusters liegt auch bei der Polizei einiges im Argen: Nötig sei eine Polizei, die weder auf dem rechten Auge blind sei noch weghöre, wenn auf Demonstrationen antisemitische Parolen gebrüllt würden. Angesichts der Überlastung von Justiz und Polizei seien seine Forderungen allerdings theoretischer Natur, bedauerte Schuster.

Das Wissen um das Judentum ist aus Sicht des Zentralrats gering. Präsident Schuster sagte: „Unwissenheit ist jedoch ein idealer Nährboden für Vorurteile.“ Deshalb sei das Vermitteln von vertieftem Wissen über die jüdische Geschichte, Kultur und Religion sowohl für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland als auch für das Land als Ganzes so wichtig. Die Hochschule bilde Multiplikatoren aus, die an vielen Stellen in die Gesellschaft hinein- und Antisemitismus entgegenwirken könnten. Zudem sei sie für junge Juden ein Ort der Identitätsstiftung. Die Absolventen der Hochschule landen in Museen, arbeiten in Medien oder als Religionslehrer. Viele stehen auch in den Diensten jüdischer Gemeinden.

Aus Sicht von Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) liefert die Hochschule mit belastbaren Fakten, geprüften Erklärungen und tragfähigen Zusammenhängen das Rüstzeug im Kampf gegen Judenfeindlichkeit. „Denn es geht heute offenkundig um mehr als nur um den Widerstand gegen offenen Hass und Hetze. Es geht auch darum zu erkennen, mit welchen Argumentationsmustern und Methoden tiefsitzende antisemitische Vorurteilsstrukturen mobilisiert werden.“ Nur wer darüber Bescheid wisse, könne subtile Andeutungen und Anspielungen, Verharmlosungen und Verdrehungen erkennen.

Der Zentralrat hatte die Hochschule 1979 gegründet und trägt Kosten von 650 000 Euro im Jahr. Die restlichen drei Viertel steuern der Bund und das Land Baden-Württemberg bei. Derzeit studieren 130 junge Menschen im modernen Glaskubus, vor zehn Jahren waren es noch 170. Die Mehrheit der Studierenden ist nicht jüdischen Glaubens.

Zentralratspräsident Schuster wertete den Besuch des Bundespräsidenten zum Jubiläum als Signal der Wertschätzung für die Hochschule und darüber hinaus. Steinmeier ist der dritte Bundespräsident nach Joachim Gauck (Juni 2015) und Johannes Rau (Oktober 1999), der die Hochschule besucht.

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Erstellt:
17. Juni 2019, 20:14 Uhr

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