Zerrissenes Deutschland: Klare Unterschiede bei Armutsgefahr

dpa Wiesbaden. Reiches Bayern, abgehängtes Bremen: Das Armutsrisiko in Deutschland ist regional noch immer sehr unterschiedlich. Welche Menschen sind besonders gefährdet - und was ist eigentlich aus der Ost-West-Kluft geworden?

Mitarbeiter der Bremerhavener Tafel bereiten Obst und Gemüse vor. In Bremen waren im vergangenen Jahr 22,7 Prozent der Menschen von Armut bedroht. Foto: Carmen Jaspersen

Mitarbeiter der Bremerhavener Tafel bereiten Obst und Gemüse vor. In Bremen waren im vergangenen Jahr 22,7 Prozent der Menschen von Armut bedroht. Foto: Carmen Jaspersen

In Bremen sind besonders viele Menschen von Armut bedroht. In Bayern und Baden-Württemberg ist das Risiko statistisch gesehen dagegen sehr viel geringer.

Während 2018 in den beiden großen südlichen Bundesländern nur etwa jeder achte bis neunte Mensch von Armut bedroht war, war es in Bremen fast jeder Vierte.

Das geht aus den Daten hervor, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag auf Basis des Mikrozensus veröffentlichte. Bei den Städten verzeichnete Duisburg mit 27,4 Prozent die höchste Armutsgefährdungsquote, gefolgt von Dortmund (23,9), Leipzig (22,0) sowie Bremen und Essen (jeweils 21,6).

„Das Land ist zerrissen“, sagte Armutsforscher Christoph Butterwegge der Deutschen Presse-Agentur. Da seien auf der einen Seite prosperierende Regionen im Süden und Südwesten Deutschlands und auf der anderen Seite Regionen, die abgehängt werden, wie etwa Teile des Ruhrgebiets, Bremen und Bremerhaven. „Das sind die Sorgenkinder, man könnte auch sagen, die Armenhäuser der Republik.“ Und: „Das eigentliche Problem spielt sich in den Städten ab, die sich immer mehr in Luxusquartiere und Elendsquartiere aufteilen.“

Bundesweite lag die Armutsgefährdungsquote im vergangenen Jahr bei 15,5 Prozent und ging damit im Vergleich zum Vorjahr (15,8 Prozent) leicht zurück. Die Quote ist ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut. Die Schwelle der Armutsgefährdung lag 2018 bei 1035 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Das bedeutet, wer weniger als diese Summe im Monat zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet.

Die veröffentlichten Zahlen zeigen noch weitere alarmierende Aspekte. So sind Alleinerziehende und ihre Kinder am stärksten von Armut bedroht. Und es gibt nach wie vor eine Kluft zwischen Ost und West, auch wenn sich der Unterschied insgesamt verringert hat.

Grund dafür ist auch, dass sich die Quote im Westen verschlechtert und sich der verbesserten Quote im Osten angenähert hat. So lag in den neuen Bundesländern und Berlin das Risiko zu verarmen 2018 bei 17,5 Prozent (2005: 20,4 Prozent). In den alten Bundesländern waren es zuletzt 15 Prozent und vor 14 Jahren 13,2 Prozent.

„Auch wenn sich die neuen und die alten Bundesländer langsam annähern, ist das Niveau insgesamt immer noch viel zu hoch“, sagte Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sprecher für europäische Sozialpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wenn beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern 56,9 Prozent aller Alleinerziehenden-Haushalte von Armut bedroht waren, ist das ein Alarmsignal sondergleichen.“

Warum sind Alleinerziehende besonders betroffen? „Das ist im Wesentlichen mitbedingt durch fehlende öffentliche Betreuungsangebote“, sagte Armutsforscher Butterwegge. „Gäbe es bessere und längere Angebote für die Kleinen, könnten sich die Alleinerziehenden - in der Regel die Mütter - durch eine Vollbeschäftigung aus der Armut herausarbeiten.“

Der Kölner Politikwissenschaftler sieht jetzt die Bundesregierung in der Pflicht: „Die Zerrissenheit des Landes widerspricht dem, was der Staat als Grundgesetzauftrag im Artikel 72 mitbekommen hat: Die Herstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, sagte Butterwegge. „Das ist bisher nicht gelungen.“ Und das sei die eigentlich große Aufgabe für Heimatminister Horst Seehofer. „Da ist es nicht damit getan, den Breitbandausbau voranzubringen.“

Butterwegge, der bei der letzten Bundespräsidentenwahl als Kandidat der Linken angetreten war, schlug vor, den Solidaritätszuschlag nicht abzuchaffen. Stattdessen solle das Geld verwendet werden, um die schwachen Regionen beim Kampf gegen die Armut zu unterstützen. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, 90 Prozent der Soli-Zahler von dem Steuerzuschlag zu befreien.

Schlusslicht Bremen könnte die Unterstützung sicher gut brauchen. Natürlich stellt man sich auch dort die Frage, warum das Bundesland erneut so abgehängt ist. „Die Armutsbelastung Bremens ist über Jahrzehnte gewachsen und bestätigt sich in Vergleichen immer wieder“, sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Bremen habe eine hohe Arbeitslosigkeit, viele Beschäftigte in Zeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung und - mit einem der höchsten Anteile an alleinerziehenden Müttern - auch an Teilzeitbeschäftigung. „Das hat zu einem hohen Sockel an Langzeitarbeitslosen geführt, der schwer abzubauen ist.“

Zum Artikel

Erstellt:
25. Juli 2019, 16:29 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen