Zerstörungswut bremst in Backnang Radservice aus

Sowohl die Räder der Regiorad-Stationen als auch die Reparatursäulen werden im Stadtgebiet Backnang regelmäßig zerstört. Regiorad kämpft außer mit Vandalismus auch mit dem Mangel an Ersatzteilen und Fachkräften. Die Stadtverwaltung droht mit dem Ausstieg aus dem Vertrag.

Zu den drei bisherigen Regiorad-Radstationen in der Grabenstraße (Foto), beim Bahnhof (Nordseite) und beim Berufsschulzentrum kommen in Kürze noch die Standorte Backnang-Bahnhof Südseite und Bahnhof Maubach dazu. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Zu den drei bisherigen Regiorad-Radstationen in der Grabenstraße (Foto), beim Bahnhof (Nordseite) und beim Berufsschulzentrum kommen in Kürze noch die Standorte Backnang-Bahnhof Südseite und Bahnhof Maubach dazu. Fotos: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. In der Vergangenheit hat Backnang im Ranking der Fahrradfreundlichkeit nicht unbedingt geglänzt. Das wollten die Verantwortlichen ändern – was ihnen ein Stück weit auch gelungen ist. Jahr für Jahr klettert die Stadt im Fahrradklimatest ein Stückchen nach oben. Es sind Erfolge, wenngleich noch auf sehr niedrigem Niveau. Im vergangenen Sommer zum Beispiel landete die Stadt landesweit lediglich auf dem 58. von 66 Plätzen. Als Gesamtnote kam eine 4,15 heraus, beim Sicherheitsgefühl reichte es sogar nur zur Note 4,5.

Neben neuen Radwegen und Schutzstreifen sowie der stärkeren Gewichtung der Belange von Radfahrern bei sämtlichen Planungen konnten im vergangenen Jahr zwei weitere ganz konkrete Verbesserungen in Betrieb genommen werden: eine Radservicestation mit frei zugänglichem Werkzeug am Rand der Bleichwiese und drei Stationen von Regiorad Stuttgart, an denen Fahrräder und Pedelecs ausgeliehen werden können. Doch ausgerechnet diese beiden Angebote sorgen derzeit nicht für einen warmen Rückenwind für Radler, sondern eher für Verärgerung und Frustration.

So schreibt BKZ-Leserin Karin Rausch, dass sie in den vergangenen Wochen öfter beobachtet habe, dass von den sieben Fahrrädern in der Grabenstraße sechs einen Platten hatten. „Schade, dass sich niemand darum kümmert“, lautet ihr Kommentar. Die Verärgerung teilt Tobias Großmann, der Leiter des Stadtplanungsamts. Er verweist darauf, dass die Deutsche-Bahn-Tochter DB Connect für die Unterhaltung der Stationen und der Räder verantwortlich ist. Und er macht kein Geheimnis daraus, „dass wir mit der Regiorad nicht zufrieden sind, die ganze Entwicklung frustriert uns“.

Aufruf zum Vandalismus in den sozialen Medien

Auf der anderen Seite weiß Großmann auch, wie es zu den kritisierten Zuständen gekommen ist. In den sozialen Medien gebe es geradezu einen Wettbewerb, die Räder zu beschädigen. Der Betreiber schlägt sich mit mehreren Problemen gleichzeitig herum. Zusätzlich zu dem unverständlichen Vandalismus gebe es Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen. Und drittens ist laut Großmann „die Suche nach Fachkräften, die die Räder instand halten können, sehr herausfordernd“. Da die Stadt jedoch jährlich 22000 Euro für den Service bezahlt, der aktuell de facto nicht existiert, ist Großmann davon überzeugt, dass es Kompensationszahlungen an die Kommunen geben muss.

Die Probleme mit Regiorad waren auch Thema in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt. Dort verwies Großmann auf die vertragliche Verpflichtung des Betreibers DB Connect, die Fahrräder an den Radstationen regelmäßig zu warten. „Wir haben einen Anspruch auf diese Leistung.“ Allerdings habe das Unternehmen in den vergangenen Monaten mit Personalmangel zu kämpfen gehabt. Den Städten, die davon betroffen waren, hat die Bahntochter laut Großmann aber eine Entschädigungszahlung zugesagt und für die Zukunft Besserung gelobt. „Wir werden genau beobachten, ob das jetzt funktioniert“, sagte Großmann. Sollte man keine Verbesserung feststellen, habe die Stadt auch die Möglichkeit, im April aus dem Vertrag auszusteigen. Die Stadt Freiberg am Neckar hatte von dieser Option bereits im vergangenen Jahr Gebrauch gemacht.

Alle Räder platt: ein Zustand, der regelmäßig zu beobachten ist.

© Alexander Becher

Alle Räder platt: ein Zustand, der regelmäßig zu beobachten ist.

Für Großmann ist der Vandalismus besonders im Hinblick auf die Zielgruppe junge Menschen ärgerlich. Das Angebot von Regiorad soll für deren Anschlussmobilität sorgen, etwa von der S-Bahn in die Außenbezirke. Und zwar einfach in der Handhabung und für jedermann leicht zugänglich. Nun steht jedoch im Raum, die Zugänge zu personalisieren und die Räder in sicheren Räumen einzuschließen. Nur Nutzer mit einem Zugangscode hätten Zutritt. „Das würde dem niederschwelligen Gedanken widersprechen“, muss Großmann einräumen.

Jürgen Ehrmann, Vorsitzender des ADFC Backnang, erinnert daran, dass Regiorad auch eine verkehrspolitische Forderung seines Verbands war. Das Angebot sollte ein Baustein der nachhaltigen Mobilität werden. Er bestätigt, dass die Beschädigungen fast schon zu einem Sport geworden seien. Und er kann es in gewisser Weise nachvollziehen, dass die DB Connect sagt: „Wir versuchen alles, kommen aber gegen diese Gegner nicht an.“ Ehrmann fordert mehr Überwachung des öffentlichen Raums. Doch Großmann winkt ab, „wir haben das Personal dafür nicht, das passiert meist nachts“. Dennoch sagt Ehrmann, die Verantwortlichen dürften nicht nachlassen in ihren Bemühungen, „die Stationen vollständig und verlässlich zu bestücken, damit sie von den Bürgern auch angenommen werden, Verlässlichkeit ist sehr wichtig“.

Bei den Servicesäulen ist die Stadt Backnang zuständig

Mindestens ebenso ärgerlich wie die Verhältnisse an der Radstation ist der Zustand der Servicestation am Spielplatz neben der Bleichwiese. In diesem Fall ist jedoch die Stadt in der Pflicht. Sie hatte sich bereit erklärt, die Pflege der Station zu übernehmen. Ehrmann vermutet, dass dieser Gedanke noch nicht bei allen angekommen ist: „Die Bauhofmitarbeiter müssen es erst noch verinnerlichen, die Stationen regelmäßig anzufahren.“ Das größte Problem ist laut Ehrmann die Luftpumpe, die regelmäßig geschmiert gehört. Er nimmt auch die Nutzer in die Pflicht, dem Bauhof Hinweise auf Defekte zu geben. Auf den Stationen steht eine E-Mail-Adresse, die beim ADFC für den gesamten Landkreis zusammenläuft. Ein gut funktionierendes Mängelmeldesystem attestiert Großmann auch den Regiorad-Stationen. Aber das beste Beschwerdemanagement kommt gegen den tagtäglichen Vandalismus einfach nicht an.

Trotz einiger Mängel sind die Servicestationen laut Ehrmann eine gewaltige Erfolgsgeschichte, „sie werden hervorragend angenommen“. Im Rems-Murr-Kreis existieren 56 solcher Reparatursäulen. Und selbst dass beim Standort Bleichwiese schon die zweite Pumpe und der dritte Pumpengriff der Zerstörungswut zum Opfer fielen, entmutigt den Fahrradfreund nicht: „Die Verantwortlichen müssen trotzdem die Stationen immer wieder instand setzen, auch wenn jeder weiß, dass die Hilfsmittel nicht lange heil bleiben. Wir dachten bei der Standortwahl, dies sei ein guter Ort, weil es über den benachbarten Kiosk und den Spielplatz eine soziale Kontrolle gibt. Aber da haben wir uns getäuscht.“

Neuer „Radgeber“ für Zweiradfahrer in Backnang

Radkultur Im vergangenen Jahr wurde die Stadt Backnang erstmals von der Initiative Radkultur Baden-Württemberg gefördert. Mit Zuschüssen des Verkehrsministeriums konnten so Aktionen umgesetzt werden, die dazu beitragen sollen, dass sich das Fahrrad als Verkehrsmittel im Alltag stärker durchsetzt. So fand etwa im vergangenen Herbst eine Radschnitzeljagd statt, beim „Radcheck“ konnte man an zwei Tagen sein Bike auf der Bleichwiese kostenlos prüfen lassen.

Broschüre Auch ein neues Heft zum Thema Radfahren hat die Stadt herausgegeben. Der „Radgeber“ listet auf 32 Seiten Informationen und Tipps für Radfahrer auf. Unter anderem gibt es eine Karte mit dem Backnanger Radwegenetz sowie Hinweise zu Reparatursäulen oder zur Radmitnahme in Bussen und S-Bahnen. Auch die wichtigsten Verkehrsschilder werden noch einmal erklärt. Die Broschüre ist kostenlos in der Stadtinfo und anderen städtischen Einrichtungen erhältlich.

Planung In den kommenden beiden Jahren plant die Stadt Backnang weitere Aktionen. Deshalb hat sie sich erneut um eine Förderung durch die Initiative Radkultur beworben, diesmal sogar für ein größeres Förderpaket. Sollte man den Zuschlag erhalten, stünde dafür ein Budget von 105000 Euro zur Verfügung, von dem die Stadt nur ein Drittel selbst bezahlen muss. Mögliche neue Aktionen könnten ein Rad-Aktionstag oder ein Fotowettbewerb zum Thema Fahrrad sein.

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Erstellt:
26. Januar 2023, 06:00 Uhr

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