Zu wenige Handwerker für zu viel Arbeit

Bauherren, die im Raum Backnang einen Elektriker, Heizungsbauer, Gipser, Fliesenleger oder Zimmermann brauchen, müssen oft monatelang warten oder finden erst gar keinen Handwerker, der ihren Auftrag erledigt. Die Gründe: Nachwuchsmangel, Lieferengpässe und Corona.

Wer derzeit einen Handwerker braucht, der muss warten können.Foto: Sergey Nivens/stock.adobe

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Wer derzeit einen Handwerker braucht, der muss warten können.Foto: Sergey Nivens/stock.adobe

Von Matthias Nothstein

Backnang. Wer im Raum Backnang einen Handwerker braucht, der braucht bei der Suche vor allem eines: einen langen Atem. Viele Elektriker, Fliesenleger, Gipser, Heizungsbauer oder Zimmermänner reagieren gar nicht mehr auf pauschale Anfragen, sie rufen nicht zurück und beantworten keine E-Mail. Wer will es ihnen verwehren? Die Flut an Aufträgen, die ihnen tagtäglich auf den Tisch flattern, sind zuweilen unüberschaubar. Eine Aussage, die während der Recherche mehrfach zu hören war: „Mein Schreibtisch quillt über.“ Lokal agierende Handwerker erhalten Anfragen aus einem Umkreis von weit über 100 Kilometern.

Einer von mehreren Gründen für die Auftragsflut ist der chronische Nachwuchsmangel, unter dem viele Betriebe leiden. Es gibt zu wenige Handwerker für zu viel Arbeit. Über etliche Jahre hinweg wollten zuletzt nur noch wenige Jugendliche einen der klassischen Handwerksberufe erlernen. Peter Friedrich, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, sagt zu der derzeitigen Situation. „Um den zunehmenden Auftragsstau in vielen Handwerksbetrieben abarbeiten zu können, braucht es qualifizierte Fachkräfte. Und nur mit genügend Azubis haben wir die dringend nötigen Fachkräfte in der Zukunft. Wenn diese Fachkräfte jedoch fehlen, dann werden die Folgen nicht nur das Handwerk, sondern die Gesellschaft und die ganze deutsche Wirtschaft spüren.“ Die Azubis fehlen laut Friedrich in großer Zahl: im Bau- und Ausbauhandwerk, im Metallhandwerk, im Lebensmittelbereich oder auch in Gesundheitsberufen. „Die Betriebe würden gerne noch mehr junge Menschen ausbilden. Es ist schade, dass jedes Jahr mangels Bewerbern Lehrstellen unbesetzt bleiben.“

Manch ein Meister scheut den Schritt in die Selbstständigkeit

Nicht nur der Nachwuchs fehlt, immer mehr Handwerksmeister scheuen auch den Schritt in die Selbstständigkeit. Das ist zum Beispiel der Grund, weshalb Gerhard Bechthold seinen Betrieb mit dem Eintritt ins Rentenalter schließen musste: Es fand sich kein Nachfolger. Der Aspacher Heizungsbauer verabschiedete sich Anfang Februar von seinem letzten Mitarbeiter und löst derzeit seinen Betrieb auf. Andreas Fiala, der viele Jahre ehrenamtlich in der Handwerkskammer tätig war und die Belange der Handwerker bestens kennt, sagt zu diesem Aspekt: „Es wird immer schwieriger, jemanden zu finden, der sich selbstständig macht.“ Er kennt auch die Begründung: Als Selbstständiger ist man weit von einer 35-Stunden-Woche entfernt: „Das tut sich keiner an“. Fiala hat beobachtet: „Die jungen Leute machen zwar heute noch eine Meisterprüfung. Das ist ehrenwert, aber den großen Sprung in die Selbstständigkeit wagen die wenigsten, wenn sie nicht einen familiären Hintergrund haben und noch auf Unterstützung rechnen können.“ Die Personalknappheit hat jedoch auch noch ganz andere Ursachen wie die seit zwei Jahren grassierende Pandemie. Wenn bei Handwerksbetrieben vier von sechs Mitarbeitern aufgrund von Corona ausfallen, dann stehen zwei Baustellen. Gleichzeitig investieren die Bürger wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Gründe sind vielfältig: Niedrigzinsphase, Sanierungsstau, hohe Förderungen für energetische Maßnahmen, der besondere Blick für Projekte aufgrund von Homeoffice, Urlaubsausfall und Aufräumwut.

Wenn aber immer mehr Arbeit von immer weniger Schaffern erledigt werden soll, dann geht die Rechnung nicht auf. Die Aufträge quellen über. Und zusätzlich wird die Materialbeschaffung aufgrund der Knappheit immer komplizierter. Wenn ein Kunde mit einem kleinen, unattraktiven Auftrag kommt, haben viele Handwerker keine Kapazität mehr, ihn umzusetzen.

Kunden haben dann noch Glück, wenn sie ihrem Handwerker seit Jahren die Treue gehalten und Wertschätzung bewiesen haben. Dies wird jetzt gewürdigt. Der Aspacher Schreinermeister Joachim Goller ist stellvertretender Obermeister der Schreinerinnung. Er zieht den Vergleich mit den Ärzten: „Die fragen seit Jahren auch als erstes: Waren Sie schon einmal bei uns. Wenn nicht, gibt’s keinen Termin. Das muss der Handwerker auch einmal lernen – nämlich Nein zu sagen.“ Goller zitiert seinen Lieblingsspruch: „Von je her ein alter Brauch, da, wo man flickt, da kauft man auch.“ Wer das ganze Jahr irgendwo anders war, der brauche auch nicht im Notfall bei ihm anzurufen. „Oder er musst zumindest warten. Es ist ja nicht so, dass man alle ablehnt.“

Der Aspacher Zimmereibetrieb Kälber hat wegen des Baubooms unter der Materialknappheit zu leiden. Als Beispiel nennt Markus Kälber einen großen Ziegelhersteller, der aktuell bis Mai einen Auftragsannahmestopp verkündet hat. Er kann davon berichten, dass sich Treue auch andersherum auszahlt. Lieferanten, von denen er seit vielen Jahren Material bezieht, sagen ihm klipp und klar: „Du bist unser Stammkunde, wir versorgen dich weiterhin mit Material.“ Kälber: „Solche Betriebe, die heute zu diesem und morgen zu einem anderen gehen, bloß weil’s dort ein paar Cent billiger ist, die erhalten nichts mehr.“

Kunden mit dem Lebensmotto „Geiz ist geil“ schauen derzeit in die Röhre

Ähnlich verhält es sich laut Kälber auch mit dem Verhältnis zum Endkunden: „Der, der immer zu seinem Elektriker gegangen ist und immer den gleichen Fachmann beauftragt hat, und das nicht nur wegen einer Steckdose, sondern auch einmal mit einem größeren Projekt, der wird bedient.“ Kälber zufolge spiegelt sich darin die gesamte Gesellschaft wider. Viele bekommen dies jetzt zu spüren. Die Rückmeldungen aller Handwerker zeichnen ein eindeutiges Bild: Treue wird belohnt. Und diejenigen, die das Motto „Geiz ist geil“ seit Jahren gelebt haben, die schauen jetzt bedeppert in die Röhre.

Die Schwierigkeiten auf den Baustellen haben bei der Elektro Pfeil GmbH zu einem fast schon paradoxen Effekt geführt. Der Betrieb aus den Backnanger Lerchenäckern hat laut seinem Geschäftsführer Steffen Pfeil derzeit keinen so großen Druck, weil sich die Pläne vieler Baustellen wegen der beschriebenen Probleme verschoben haben. Vorgelagerte Arbeiten konnten von anderen Handwerkern nicht erledigt werden, Pfeils Team konnte nicht anrücken. Pfeil: „Da haben einige Bauherren falsch kalkuliert, was den zeitlichen Ablauf angeht.“ Der Elektriker räumt ein, dass dies nur eine Momentaufnahme ist, die sich stets ändern kann. „Es kann sein, dass wir bald wieder über Wochen und Monate keine freien Termine haben.“ Er bestätigt die große Nachfrage von Bauherren. Im Gegensatz zu anderen Kollegen erhält bei Pfeil jedoch jeder interessierte Kunde eine Antwort. Für ihn zählt das als Kundenpflege: „Ein freundlicher Einzeiler ist immer noch drin.“

Auch für Pfeil ist fehlendes Personal ein großes Problem. „Wer aufgrund der Auftragslage aufstocken muss, findet keine Mitarbeiter“. Gleich darauf folgt das Materialproblem. Bei manchen Produkten gibt es Wartezeiten von sechs Wochen. Waren vor Monaten Kabel knapp, so sind es nun Bestandteile für Verteiler oder Zählerplätze. Und auch da nicht nur hochwertige Teile wie Sicherungen oder FI-Schalter, sondern auch Zwei-Euro-Artikel wie Schienen. „Da bekommen wir hin und wieder eine Teillieferung. Aber die Lager sind nie voll. Das ist ein Problem, das wir früher nie hatten.“

Der Nachschubmangel betrifft nahezu alle Produkte. Ob Schrauben oder Bretter, ob Silikon oder Türgriffe, ob PVC oder Aluminium – die einfachsten Materialien sind nicht oder nur mit viel Verzögerung zu erhalten. Das ist seit Monaten zu beobachten. Und seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs hat sich die Situation noch verschärft.

Die Preissteigerungen sorgen bei den Handwerkern für ausgeprägte Sorgenfalten. Zwar geben sie die Kosten an die Kunden weiter, aber damit ist das Problem ja nicht gelöst. Die Verteuerung ist derzeit so rasant, dass manch einer sich fragt, ob seine Kunden das überhaupt noch zahlen können. Die Rede ist von Steigerungsraten von 200 Prozent und mehr.

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Erstellt:
31. März 2022, 06:00 Uhr

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