„Friedensverhandlungen“ für die Landwirtschaft

dpa Berlin. Die einen machen Front gegen „Agrarfabriken“, die anderen wehren sich gegen „grüne Spinner“: Um die Landwirtschaft in Deutschland gibt es heftige Auseinandersetzungen. Gelingt jetzt ein Dialog?

Bundesagrarministerin Julia Klöckner spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema Fleischbranche und Tierwohl. Foto: Johannes Neudecker/dpa/Archiv

Bundesagrarministerin Julia Klöckner spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema Fleischbranche und Tierwohl. Foto: Johannes Neudecker/dpa/Archiv

Mehr Umweltschutz und bessere Bedingungen in den Ställen, aber auch weniger Billigpreise bei Lebensmitteln: Nach jahrelangem Streit über Landwirtschaft in Deutschland nimmt eine Regierungskommission einen neuen Anlauf für einen breiten Konsens.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner warb zum Start der neuen Regierungskommission zur Zukunft der Landwirtschaft für Dialogbereitschaft auf allen Seiten. „Damit die junge Generation bereit ist, auch weiterhin die Höfe ihrer Eltern und damit viel Arbeit zu übernehmen, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens, eine Art Befriedung“, sagte die CDU-Politikerin am Montag.

Familiengeführte Betriebe, die von ihrer Arbeit verlässlich leben können, und mehr Ressourcenschutz dürften sich nicht ausschließen. Dies müsse in der Debatte gleichberechtigt berücksichtigt werden.

„Die Bereitschaft zum Kompromiss muss uns leiten, nicht einseitige Maximalforderungen“, sagte Klöckner. „Die Kommission kann hier für einen Ausgleich sorgen und die Protagonisten versöhnend an einen Tisch bringen.“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze betonte die Notwendigkeit des Wandels in der Branche. „Dass unsere Land- und Ernährungswirtschaft umweltverträglicher werden muss, daran führt kein Weg vorbei“, sagte die SPD-Politikerin am Montag im Kanzleramt dem Redemanuskript zufolge, das ihr Ministerium veröffentlichte. „Das ist nicht nur aus Sicht des Umweltschutzes notwendig, das wird auch von der Gesellschaft immer vehementer eingefordert.“ Es sei aber zu diskutieren, wie eine bessere Agrarpolitik das ermöglichen könne.

„Diese Fragen stellen sich auch vor dem Hintergrund, dass dem Agrarsektor wie kaum einem anderen Sektor öffentliche Gelder der EU, von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden“, sagte Schulze. Die sogenannte Zukunftskommission stehe in einer Reihe mit der Ethik- und der Kohlekommission, die den Atom- und Kohleausstieg vorbereitet hätten. „Aus diesen Prozessen wissen wir: Wenn widerstreitende Interessen an einen Tisch gebracht werden, können daraus zukunftsweisende und nachhaltige Lösungen entstehen.“

Es gehe aber diesmal nicht um einen Ausstieg, sondern darum, das Überleben landwirtschaftlicher Betriebe für die Zukunft zu sichern, sagte Schulze. Man wolle „mit und in den bestehenden Betrieben Veränderungen ermöglichen und umsetzen“. Für die Kommission wünsche sie sich, dass alle Beteiligten akzeptierten, dass Veränderungen unausweichlich seien, und einen gemeinsamen Wille, „zügig zu greifbaren Ergebnissen zu kommen“. Kommissionen ersetzten Politik nicht, könnten aber politische Entscheidungen vorbereiten.

Die vom Kabinett eingesetzte „Zukunftskommission“ hat am Montag die Arbeit aufgenommen und soll noch im Herbst einen ersten Zwischenbericht vorlegen. Ihr gehören Vertreter von Landwirtschaft, Handel und Ernährungsbranche, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützer sowie Wissenschaftler an.

Vor dem Treffen demonstrierten Initiativen für eine „Agrarwende“ und forderten auf einem großen aufblasbaren Schwein „Stoppt das Billigfleisch-System!“ Anders als sonst bei Branchen-Runden gingen einige Vertreter dann aber auch ins Kanzleramt hinein, um mitzureden. Der „Zukunftskommission“ gehören Vertreter von Landwirtschaft, Handel und Ernährungsbranche, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützer sowie Wissenschaftler an. Vorsitzender ist der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Germanist Peter Strohschneider. Der Abschlussbericht mit Empfehlungen soll im Frühsommer 2021 da sein - bis zur Bundestagswahl im Herbst ist dann nicht mehr viel Zeit.

Zeigen muss sich auch, ob wirklich Bewegung in die schwer verhärteten Fronten kommt. Den Anstoß für die Kommission hatte die Kanzlerin bei einem „Agrargipfel“ Ende 2019 gegeben, als Tausende empörte Bauern mit Traktoren in deutsche Städte rollten - um gegen neue Auflagen und überhaupt für mehr Wertschätzung für ihre Arbeit zu demonstrieren. Zum Start hielt sich Merkel vorerst demonstrativ zurück. Es handele sich um eine „unabhängige Expertenkommission“, ließ sie ausrichten.

Zum Start kamen Dialog-Signale - aber auch eigene Positionierungen. Der Bauernverband erwartet Empfehlungen, mit denen eine nachhaltige, wirtschaftliche und zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland möglich bleibe. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Elisabeth Fresen sagte: „Wir können klimaschonende Landwirtschaft machen, wir können eine artgerechte Tierhaltung gewährleisten, all das können wir - aber nicht umsonst.“ Der Tierschutzbund forderte Planungssicherheit, „die nicht Status Quo heißen darf, sondern Veränderung“.

Darum gibt es die Kommission

Seit Jahren gibt es harte Auseinandersetzungen, wie Landwirtschaft in Deutschland aussehen soll. Viele haben Bilder kleiner Öko-Höfe mit freilaufenden Hühnern im Kopf, doch die Branche ist längst auch hochmodern und auf Effizienz getrimmt. „Wachse oder weiche“ sei das Motto, klagen Kritiker: Kleine Betriebe müssen aufgeben, große würden größer. „Wir machen Euch satt“, halten Bauern dagegen. Umweltprobleme und Tierleid beunruhigen viele Bürger, trotzdem verkaufen sich billiges Fleisch, Milch und Käse nach wie vor bestens. Von neuen Umweltvorgaben in engem Takt fühlen sich Bauern unter Druck gesetzt.

Das sind wichtige Themen

Die Zeit drängt für die Kommission. Laut einem Entwurf sind acht Plenumssitzungen geplant, und umkämpfte Felder gibt es viele.

SUBVENTIONEN: Die milliardenschwere Agrarförderung ist der größte Haushaltsposten der EU. Viele finden, das Geld müsse Bauern stärker für Umwelt- und Klimaschutz belohnen und sich weniger nach der bewirtschafteten Fläche richten. Dagegen gibt es aber auch Widerstand in Deutschland und anderen EU-Ländern. Ein Stück weit entscheidet die Bundesregierung selbst, wie die EU-Mittel an die Bauern verteilt werden. Und es gibt nationale Förderprogramme für Umwelt und Naturschutz in der Landwirtschaft. Bauern sagen: Wir schützen gern Umwelt, Klima und Tiere, wir müssen dafür aber bezahlt werden.

PREISE und TIERWOHL: Die Kräfteverhältnisse im Lebensmittelmarkt mit den großen Supermarktketten setzen kleinere Produzenten unter Druck. Auch die Orientierung an Weltmärkten und Freihandelsabkommen sind umstritten. Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen haben Zustände in der Fleischproduktion ins Visier gerückt. Doch das ist nicht alles. Was ist ein Liter Milch wert, was ein Ei? Da sind auch die Verbraucher gefragt. Klöckner will eine Abgabe, die Tierprodukte teurer macht und Stall-Umbauten mitfinanziert. Verbraucherschützer monieren, dass bessere Qualität im Laden kaum zu erkennen sei. Ein staatliches Tierwohl-Logo für Fleisch steckt seit Monaten politisch fest.

KLIMA-, UMWELT- und NATURSCHUTZ: Viele Tiere produzieren viel Mist und Gülle, und zu viel Dünger auf den Feldern schadet Flüssen, Seen und dem Grundwasser. Deshalb werden Düngeregeln verschärft. Unkraut- und Schädlingsgifte, darunter Glyphosat, haben Nebenwirkungen für die Artenvielfalt. Stichwort Insektensterben - auch da sind neue Vorgaben in Arbeit. Mit Lachgas und Methan entstehen in der Landwirtschaft Treibhausgase, die den Klimawandel anfeuern. Gleichzeitig leiden Bauern unmittelbar unter Folgen der Erderwärmung, etwa häufigeren Dürre-Perioden, und fordern Hilfe bei einer neuen Versicherung.

© dpa-infocom, dpa:200907-99-456552/8

Ein Landwirt erntet Bio-Möhren auf einem Feld im Landkreis Hildesheim. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Ein Landwirt erntet Bio-Möhren auf einem Feld im Landkreis Hildesheim. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

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Erstellt:
7. September 2020, 05:33 Uhr

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