Offener Plausch beim StZ-Jubiläum
Zur Trumpf-Chefin und zu einem weiteren Wirtschafts-Boss sagt Kretschmann Du
Ministerpräsident Kretschmann und Trumpf-Chefin Leibinger-Kammüller zeigen auf dem Podium zum StZ-Jubiläum vielfach eine inhaltliche Nähe – und haben den Rückzug schon fest im Blick.

© Lichtgut/Leif Piechowski
Seelenverwandte auf dem Podium: Winfried Kretschmann und Nicola Leibinger-Kammüller.
Von Matthias Schiermeyer
Sie gehören zu den Vordenkern im Land – und sie verbindet mehr, als vor dem Jubiläum 80 Jahre Stuttgarter Zeitung bekannt war: Winfried Kretschmann und Nicola Leibinger-Kammüller, die beiden prominenten Podiumsgäste. Von zwei Unternehmensführern, mit denen der Ministerpräsident per Du ist, ist eine die Trumpf-Vorstandschefin, wenn auch erst seit zwei Jahren. Den anderen Namen verrät er nicht.
Der Grünen-Politiker und die Familienunternehmerin mit CDU-Parteibuch erlauben sich eine eigene Meinung, mitunter quer zum eigenen Lager. So hat Kretschmann für die Belange der Unternehmen größeres Verständnis als viele Grüne in Berlin. „Ohne positiven Blick auf die Wirtschaft ist das ökologische Projekt nicht umsetzbar und bleibt reine Funktion“, versichert er. Beim Philosophen Karl Popper hat er auch gelernt: „Suche dir beim Gegner immer das stärkste Argument und messe dich an dem – das bringt einen weiter.“ In der Politik sei es üblich, auf dem schwächsten Argument herumzuhacken. Dies sei wenig spannend und bringe nichts.
Trumpf-Chefin: „Die Menschen haben ein Anrecht auf Offenheit“
„Qualität schmerzt“ denkt der Ministerpräsident auch über die tägliche Zeitungslektüre, zu der er von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs und der stellvertretenden Chefredakteurin Anne Guhlich befragt wird. Ähnlich die Unternehmerin: Es sei wichtig, dass auch „Dinge drin stehen, die mich ärgern – wenn ich eine Zeitung lese, mit der ich gänzlich übereinstimme, stimmt was nicht“. Das sei „viel zu bequem“.
„Offenheit wird sehr geschätzt“, berichtet Leibinger-Kammüller auch aus ihrem betrieblichen Alltag. „Die Menschen haben ein Anrecht auf Offenheit und Transparenz.“ Die Belegschaft würde zwar nicht alles toll finden, was das Management sagt, doch die Beschäftigten bedanken sich, „dass sie so gut informiert sind“. Alle 18 000 Mitarbeitenden würden jeden Monat über die wesentlichen Zahlen und personellen Änderungen in Kenntnis gesetzt, „sodass sie nicht überrascht werden von irgendwelchen Dingen, die wir machen müssen“. Auf die aktuelle Wirtschafts- und Sozialpolitik bezogen fügt sie an: „Der Großteil der Menschen begreift, dass wir so nicht weiter machen können.“ Jetzt sei es an der Zeit, Wege und Lösungen aufzuzeigen.
Vor allem aber versuchen beide, über den politischen Tellerrand hinauszudenken. Gerade in diesen Zeiten messen sie dem Journalismus eine „überragende“ und „extrem wichtige“ sowie „demokratieschützende“ Rolle bei. Kretschmann zitiert einmal mehr seine Lieblingsphilosophin Hannah Arendt, der zufolge Meinungsfreiheit ohne Tatsachenwahrheiten eine Farce sei. „Darin sehen wir jetzt eine gigantische Bedrohung, was sich da anbahnt“, sagt er, ohne etwa die USA direkt zu benennen. „Totalitäre Staaten können Tatsachenwahrheiten völlig verdrehen und aus der Welt schaffen – jetzt erleben wir solche Vorgänge auch in Demokratien.“
Bei beiden neigt sich das Wirken in erster Reihe dem Ende entgegen. Ob es ihm leicht fallen werde, von der politischen Bühne abzutreten, wird der Ministerpräsident gefragt: „Ja, das fällt mir inzwischen sicher leicht“, gibt der 77-Jährige zurück. Tatsächlich merke man dies aber immer erst hinterher.
Folgt zunächst ein familienfremder Manager bei Trumpf?
Auch die 65-jährige Unternehmerin hat ihren Rückzug bereits im Blick. Sie habe „einen Plan“ und wisse schon, wer ihre Nachfolge antreten könnte, bestätigt Leibinger-Kammüller. Mit den Worten „Wir sind alle eine große Familie“ deutet sie an, dass zunächst ein familienfremder Manager schalten und walten könnte, bis eines der Kinder – also die nächste Generation der Familie Leibinger – übernimmt. Wenn sich dafür jemand interessiere, die Fähigkeiten mitbringe und wahnsinnig viel arbeiten wolle, „dann kann man das in Erwägung ziehen“.
Leibinger-Kammüller hat aus dem Verhalten des Vaters gelernt
„Fest vorgenommen“ habe sie sich, anders als seinerzeit ihr Vater Berthold Leibinger nicht noch lange im Unternehmen präsent zu bleiben. „Das war wirklich ganz arg anstrengend für ihn, aber auch für uns“, bekennt sie. „Da muss man sich sagen: Alles hat seine Zeit, und daran muss man sich auch halten.“ Vielleicht müsse man sich „eine Kette kaufen, mit der man sich an einen Stuhl fesselt, damit man nicht in die Firma fährt, ohne diese zu informieren“. Es werde ihre Aufgabe sein, „das ordentlich zu meistern“.
Und wenn beide nicht mehr in Amt und Würden sind, „werden wir wahrscheinlich einen Spaziergang machen und uns darüber unterhalten, was die Nachfolger so machen“, sagt die Unternehmerin mit Blick auf den Ministerpräsidenten neben ihr. Dann würde sie aber ganz schnell über Hannah Arendt, Karl Popper und Thomas Mann sprechen „und uns freuen, dass wir hoffentlich noch bei guter Gesundheit sind und über andere Dinge nachdenken“.