Zwei Klassen in einem Zimmer

Um eine Schließung zu verhindern, setzen kleine Grundschulen wie in Sechselberg auf jahrgangsübergreifenden Unterricht

Eine Grundschule am Ort ist auch auf dem Land vielen Eltern wichtig. Aber was tun, wenn es zu wenige Kinder gibt, um eine Klasse zu füllen? Manche Schulen setzen auf jahrgangsübergreifenden Unterricht. Eine Herausforderung für Lehrer und Schüler, aber das Konzept kann funktionieren, wie das Beispiel der Grundschule in Sechselberg zeigt.

Zusammen geht es einfacher: Zweitklässler Levin hilft Erstklässlerin Mia bei ihren Geometrieaufgaben. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Zusammen geht es einfacher: Zweitklässler Levin hilft Erstklässlerin Mia bei ihren Geometrieaufgaben. Fotos: J. Fiedler

Von Kornelius Fritz

ALTHÜTTE. Auf den ersten Blick ist es eine ganz normale Schulklasse, die Dorothea Keller an diesem Vormittag unterrichtet. Nur wer genau hinschaut, wird bemerken, dass die Kinder, die links vom Gang sitzen, im Schnitt etwas größer sind als die auf der rechten Seite. Von den 20 Schülern im Raum sind zehn nämlich schon in der 2. Klasse, die anderen zehn sind noch Erstklässler. Unterrichtet werden sie allerdings die meiste Zeit zusammen, genau wie nebenan die Schüler der Klassen 3 und 4.

Heute steht Geometrie auf dem Stundenplan. Während die Erstklässler Figuren aus Drei- und Vierecken legen, schart die Lehrerin vorne die Zweitklässler um sich, um ihnen ihre Aufgabe zu erklären. Sie sollen aus Holzwürfeln dreidimensionale Figuren bauen: Das ist schon ein bisschen anspruchsvoller als die Aufgaben für die Einser. Wer fertig ist, kann vorne an der Tafel sein Namensschild neben ein Plakat, auf dem „Ich kann helfen“ steht, heften. Daneben hängt ein zweites Plakat, auf dem ein Dino abgebildet ist, der ein Schild mit der Aufschrift „Hilfe“ hochhält. Daneben haben bereits einige Erstklässler ihre Namen platziert, und schon bald bilden sich klassenübergreifende Pärchen, die versuchen, die Aufgaben gemeinsam zu lösen.

Wird eine Lehrerin krank, müssen die Kolleginnen flexibel sein

Was heute wie selbstverständlich funktioniert, war am Anfang umstritten. Vor einigen Jahren hatte die Grundschule Sechselberg noch vier Klassen und bis zu 80 Schüler. „Als das Neubaugebiet in Waldenweiler besiedelt wurde, gab es hier richtig viele Kinder“, erinnert sich Schulleiter Andreas Mücke. Heute hat die Grundschule nur noch 41 Schüler, seit 2015 wird die Mindestzahl von 16 Schülern pro Jahrgangsstufe nicht mehr erreicht. Der jahrgangsübergreifende Unterricht war deshalb die einzige Möglichkeit, um die kleine Schule zu erhalten. „Die Begeisterung bei Eltern und Kindern war damals allerdings nicht besonders groß“, erinnert sich Andreas Mücke. Auch unter den Lehrern gab es zunächst viel Unsicherheit: Zwei Jahrgangsstufen mit unterschiedlichem Lernstand gemeinsam unterrichten: Wie sollte das funktionieren?

Heute wissen Schulleiter Mücke und seine vier Kolleginnen, die alle in Teilzeit arbeiten, dass es möglich ist, allerdings ist auch der Aufwand höher. Relativ problemlos funktioniert der Unterricht in Fächern wie Kunst, Musik, Religion oder Sachunterricht: Hier gelten die Lernpläne ohnehin für zwei Schuljahre, sodass alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden können. Schwieriger ist es in Deutsch und Mathematik, wo die Schüler auf einem unterschiedlichen Wissensstand sind. „Ich muss vermeiden, über die Köpfe hinweg zu unterrichten“, erklärt der Schulleiter. Neue Inhalte versucht er deshalb, nach Möglichkeit in den sogenannten Teilungsstunden zu vermitteln: Drei bis vier Stunden pro Woche werden die Jahrgangsstufen getrennt unterrichtet. In den gemeinsamen Stunden üben und vertiefen die Kinder das Erlernte dann auf ihrem jeweiligen Niveau. Eigenarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Damit keine Langeweile aufkommt, müssen die Lehrer immer genügend Aufgaben in petto haben: „Ich darf mir keinen Leerlauf erlauben“, weiß der Schulleiter. Sonst endet das Ganze in einem Tohuwabohu.

Mittlerweile sind die Lehrer in Sechselberg vom jahrgangsübergreifenden Konzept überzeugt: „Der Unterricht ist intensiver, aber qualitativ nicht schlechter“, sagt Andreas Mücke. Und es sei für die größeren Schüler auch kein Nachteil, wenn ihnen noch einmal der Stoff des vorangegangenen Schuljahrs in Erinnerung gerufen wird. Problematisch könne es allerdings werden, wenn die Jüngeren die Älteren übertrumpfen und zum Beispiel ein Drittklässler besser lesen kann als ein Viertklässler. „So etwas nagt am Selbstwertgefühl“, weiß der Rektor. Seine Kolleginnen und er achten deshalb darauf, dass es auch immer wieder exklusive Aktivitäten für die „Großen“ gibt.

Eine Zwergschule zu organisieren ist eine besondere Herausforderung: Vor allem wenn Lehrer krank werden, ist es an einer kleinen Schule oft schwierig, eine Vertretung zu organisieren. In Sechselberg gelingt es trotzdem meistens, weil die Teilzeitkräfte flexibel sind und bei Bedarf auch mal länger arbeiten. Und weil eine Lehrerin, die eigentlich in Elternzeit ist, ab und zu spontan einspringt. So habe man sogar weniger Unterrichtsausfall als viele größere Schulen, erklärt der Rektor stolz. Das gilt allerdings längst nicht überall: „Organisatorisch stoßen ganz kleine Schulen manchmal an ihre Grenzen“, weiß Sabine Hagenmüller-Gehring, Leiterin des Staatlichen Schulamts in Backnang.

In Sechselberg sind indes alle froh, dass es in ihrem Ort weiterhin eine Grundschule gibt. „Die Identifikation mit der Schule ist sehr groß“, hat Lehrerin Susanne Metzger festgestellt. Und wo sonst kennt der Rektor alle seine Schüler mit Namen? Andreas Mücke fühlt sich jedenfalls pudelwohl an der Zwergschule: „Die Atmosphäre hier ist etwas Besonderes und etwas sehr Wertvolles.“

Wer kann helfen? Wer braucht Hilfe? An der Tafel können die Kinder ihre Namen neben dem jeweiligen Plakat platzieren.

© Jörg Fiedler

Wer kann helfen? Wer braucht Hilfe? An der Tafel können die Kinder ihre Namen neben dem jeweiligen Plakat platzieren.

Info
Zwergschulen im Rems-Murr-Kreis

Nach Angaben des Staatlichen Schulamts gibt es im Rems-Murr-Kreis aktuell sieben sogenannte Zwergschulen mit weniger als vier Klassen. Neben Sechselberg auch in Kleinaspach, Allmersbach am Weinberg, Spiegelberg, Breuningsweiler und Hertmannsweiler. Die kleinste Grundschule im Landkreis ist in Alfdorf-Hellershof und hat gerade mal 23 Schüler.

Das Staatliche Schulamt unterstützt grundsätzlich die Bemühungen, auch kleine Grundschulen zu erhalten. „Wenn die Gemeinde das will und es mindestens 16 Schüler pro Klasse gibt, haben wir nichts dagegen“, erklärt Schulamtsleiterin Sabine Hagenmüller-Gehring.

In der Praxis ist es allerdings nicht ganz einfach, eine sehr kleine Schule zu organisieren. „Wenn eine Schule nur zwei Lehrer hat und einer davon krank ist, hat man bereits ein Aufsichtsproblem“, erklärt die Amtsleiterin. Oft sei es auch schwierig, Schulleiter für die kleinen Schulen zu finden, weil der Aufwand hoch und die Bezahlung vergleichsweise schlecht ist.

Einige Zwergschulen mussten deshalb in den vergangenen Jahren schließen, etwa in Rietenau oder Berglen. Manche werden auch als Außenstelle einer größeren Schule weitergeführt. So gehört etwa die Grundschule Sachsensweiler seit dem Schuljahr 2017/18 offiziell zur Tausschule.

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Erstellt:
14. Januar 2020, 06:00 Uhr

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