Zwei neue Gesichter, eine alte Hoffnung
Die deutschen Skispringer gehören bei der Vierschanzentournee nicht zu den Top-Favoriten – und doch haben Philipp Raimund und Felix Hoffmann die Chance, Sven Hannawald abzulösen.
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Können Philipp Raimund (li.) und Felix Hoffmann bei der Vierschanzentournee um den Sieg springen?
Von Jochen Klingovsky
Oberstdorf - Neue Situationen können verunsichern, motivieren, fordern. Oder auch die Kreativität anregen. Wie bei Stefan Horngacher. Vor dem Auftakt der Vierschanzentournee an diesem Montag (16.30 Uhr) in Oberstdorf hat der Chefcoach der deutschen Skispringer flugs ein neues Wort erfunden. „Wir sind“, sagt er, „Außenseiter-Favoriten.“
Als erste Anwärter auf den Sieg gelten der Slowene Domen Prevc, der die Saison dominiert, sowie der dreimalige Tournee-Gewinner Ryoyu Kobayashi (Japan). Und dann gibt es noch zwei neue Gesichter: Philipp Raimund und Felix Hoffmann, die beiden besten Deutschen, die in der teaminternen Hierarchie an Karl Geiger und Andreas Wellinger vorbeigeflogen sind. „Die Ausgangsposition ist diesmal eine ganz andere. Es gibt zwei, drei Leute, die noch besser sind als wir“, erklärt Bundestrainer Horngacher, „aber das bedeutet nicht, dass wir ohne Chancen sind.“ Dank eines Duos, das unterschiedlicher nicht sein könnte.
Philipp Raimund (25) Den jungen Mann, der in Göppingen geboren wurde und für den SC Oberstdorf startet, als extrovertiert zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Philipp Raimund ist stets offen und geradeheraus, er scheint das Spiel mit den Medien zu genießen. Und gibt viel von sich preis. An Weihnachten wurde in seiner Familie die Verteilung der Geschenke beim Golfen ausgespielt, die sozialen Medien hat er über die Feiertage komplett ignoriert. „Das tat gut, ich würde das auch anderen mal empfehlen“, sagt Philipp Raimund, „ich bin ein einzigartiger Springer, weil ich ein bisschen anders gehandhabt werden muss als die anderen.“
Das hat mit seiner Art der Kommunikation zu tun. Aber auch damit, dass er unter Höhenangst leidet, die er mit seinem Mentaltrainer bekämpft. Und nicht zuletzt mit seinen sportlichen Fähigkeiten. Philipp Raimund ist so dynamisch und explosiv, dass Kollege Karl Geiger über ihn sagt: „Er hat einen unglaublichen Bums in den Haxen.“
In der Vergangenheit half Philipp Raimund diese Qualität nicht immer, doch seit dieser Saison sind die Anzüge enger geworden – ein kräftiger Absprung ist nun enorm wichtig. „Der ist mir gegeben. Ich habe sogar so viel Energie, dass 80 Prozent meiner Sprungkraft ausreichen, um ins Fliegen zu kommen“, meint der Cousin des früheren VfB-Profis Luca Raimund (jetzt Fortuna Düsseldorf), „zudem habe ich es geschafft, mein Grundniveau anzuheben, mehr Stabilität, Ruhe und Harmonie in meine Sprünge zu bekommen.“ Das zahlt sich aus.
In vier Weltcup-Wettbewerben landete Philipp Raimund in dieser Saison auf dem Podest, einmal als Zweiter, dreimal als Dritter, dazu kamen zwei vierte Plätze in Engelberg. Was Markus Eisenbichler auch der Persönlichkeitsentwicklung seines früheren Teamkollegen zuschreibt. „Er hat seinen jugendlichen Leichtsinn abgelegt“, sagt der Ex-Weltmeister, der die Tournee für Eurosport kommentiert, „und er hat gelernt, dass er hart, strukturiert und fokussiert arbeiten muss.“ Zum ersten Weltcupsieg reichte es für den Hochbegabten trotzdem noch nicht, was für Stefan Horngacher jedoch kein Anlass zum Zweifeln ist. „Irgendwann wird er sicher gewinnen“, meint der Bundestrainer, „das ist nur eine Frage der Zeit.“
Felix Hoffmann (28) Als er gebeten wird, die größte Qualität von Felix Hoffmann zu benennen, muss Stefan Horngacher nicht lange überlegen: „Sein Durchhaltevermögen.“ Ein Geheimnis hat der Bundestrainer damit nicht verraten – wer erst mit 28 Jahren den Sprung an die Spitze schafft, hat zwangsläufig eine lange Zeit harter Arbeit und großer Beharrlichkeit hinter sich. Vor einem Jahr, als die Stars in Oberstdorf den Tournee-Auftakt bestritten, gewann Felix Hoffmann in Engelberg das Springen im zweitklassigen Continental-Cup. Viel gesagt? Hat er dazu nicht.
Felix Hoffmann ist ein introvertierter Typ, lockere Sprüche wie von Philipp Raimund kommen ihm nicht über die Lippen. Was nichts daran ändert, dass er die Saison seines Lebens springt. Vor Weihnachten in Engelberg belegte der Thüringer Rang zwei und drei, der Cheftrainer lobt seinen Spätstarter in höchsten Tönen. „Sein Fluggefühl ist sensationell, er ist körperlich sehr stark, nutzt seine kleine und leichte Statur aus“, sagt Stefan Horngacher, wir wissen schon lange, was er kann – jetzt zeigt er es auch.“
Bereits achtmal ist Felix Hoffmann bei der Tournee gestartet, doch noch nie hat er sie komplett auf allen vier Schanzen bestritten. Insofern feiert der Aufsteiger des Jahres nun eine Premiere, vor der ihm Experten wie Martin Schmitt viel zutrauen. „Er hat das Zeug, um ein Springen zu gewinnen“, sagt der Olympiasieger, „warum sollte es nicht bei der Tournee klappen.“ Bleibt nur noch eine Frage: Wie erklärt eigentlich Felix Hoffmann seine Topform? Ihm reicht dafür genau ein Satz: „Wenn es läuft, dann läuft’s.“
Die Situation im deutschen Team lässt sich ebenfalls gut auf den Punkt bringen: zwei neue Gesichter, eine alte Hoffnung. Seit Sven Hannawald, der 2001/02 alle Springen gewann, gab es keinen deutschen Tournee-Sieger mehr. „Es besteht die Chance, dass ich endlich einen Nachfolger bekomme“, sagt der ARD-Experte, „Philipp Raimund und Felix Hoffmann sind für eine Überraschung gut.“ Aber nur die Außenseiter-Favoriten.
