DFB-Elf in der Nations League

Antonio Rüdiger – vom Chaoten zum Chef

Innenverteidiger Antonio Rüdiger ist der Fixpunkt in der Abwehr der DFB-Elf – und nach dem Wechsel zu Real Madrid auf dem besten Weg zu einer Weltkarriere.

Der Abwehrchef der DFB-Elf: Antonio Rüdiger am Ball.

© Baumann

Der Abwehrchef der DFB-Elf: Antonio Rüdiger am Ball.

Von Marco Seliger

Vor einer Woche war Antonio Rüdiger ein gefragter Mann. Kurz bevor der Innenverteidiger den deutschen Mannschaftsbus erreichte, wurde er in den Katakomben der Münchner Arena am späten Dienstagabend von einem Trupp englischer Reporter aufgehalten. Nach dem 1:1 in der Nations Legaue lobte der Mann, der in diesem Sommer vom FC Chelsea zu Real Madrid wechselt, in passablem Englisch den Gegner und dessen Topstürmer, der auf den Namen Harry Kane hört – und mit dem Rüdiger nach dem Abpfiff das Trikot getauscht hatte. Darauf angesprochen, sagte Rüdiger den Reportern von der Insel am Ende diesen einen letzten Satz: „Harry wollte es ja unbedingt haben.“

Es gab Gelächter im Kreis der englischen Journalisten, die das für eine nette Schlusspointe hielten. Unser großer Harry will das Trikot von Rüdiger – bloody hell! Nice joke, Toni, netter Witz. Antonio Rüdiger hatte den Satz ernst gemeint.

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An Selbstbewusstsein hat es dem Innenverteidiger ja noch nie gemangelt – aber was soll man sagen: Nach den jüngsten Entwicklungen in der Karriere des ehemaligen VfB-Profis ist es längst nicht mehr abwegig, dass ihn ein Stürmerstar der Kategorie Kane zum Trikottausch bittet und die Dinge nicht mehr andersrum laufen. Denn Rüdiger ist inzwischen selbst ein Star von internationalem Format, ein Abwehrmann, vor dem jeder gegnerische Stürmer Respekt hat. Und einer, der auf dem Weg ist, eine Weltkarriere hinzulegen.

Tuchels Bedauern

Mit dem ablösefreien Wechsel zu Real hat der Abwehrchef der DFB-Elf, die an diesem Dienstag in Mönchengladbach in der Nations League auf Italien trifft (20.45 Uhr/ZDF), den nächsten Schritt gemacht auf seiner Karriereleiter – es ist einer, den sein bisheriger Vereinstrainer Thomas Tuchel zutiefst bedauert. Der FC Chelsea aber konnte Rüdiger nach dem Eigentümerwechsel zuletzt kein adäquates Angebot mehr unterbreiten. So reichte dem Vernehmen nach ein Telefonat mit dem nächsten Topcoach (Carlo Ancelotti), um Rüdiger nach Madrid zu locken.

Der Innenverteidiger wird nun also bald in allen vier großen europäischen Ligen gespielt haben. Vom VfB Stuttgart wechselte er einst im Sommer 2015 zur AS Rom, es folgten fünf Jahre in London, jetzt kommt Madrid. „Es ist“, sagt Rüdiger, „der wahrscheinlich größte Schritt meiner Karriere.“

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Mit Fortschritten kennt sich der 29-Jährige aus – auch in der DFB-Elf. So bescheinigte der Bundestrainer Hansi Flick dem Abwehrmann zuletzt eine „fantastische Entwicklung“. Rüdiger, so Flick, sei ein sehr guter Zweikämpfer und Kopfballspieler, zudem habe er „ein enormes Tempo und weiß im Spielaufbau zu glänzen – das sind Dinge, die wir hinten brauchen.“ Ergo: „Toni ist bei uns für die Verteidigung verantwortlich und ein absoluter Leader hinten drin.“

Am vergangenen Samstag, beim 1:1 gegen Ungarn, schonte Flick seinen Abwehrchef – gegen Italien kehrt Rüdiger nun wieder in die Startelf zurück. In Budapest spielten Nico Schlotterbeck und Niklas Süle gemeinsam im Defensivzentrum und zeigten etliche Unsicherheiten. Insbesondere der Senkrechtstarter Schlotterbeck braucht offenbar noch einen erfahrenen Mann an seiner Seite, einen Nebenmann, der ihn anleitet. Einen Mann wie Rüdiger, der selbst eine Entwicklung nehmen musste – und dessen Weg nach oben alles andere als kerzengerade verlief. Das macht Rüdiger umso mehr zu einem glaubhaften Anführer für einen aufstrebenden Jungspund wie Schlotterbeck.

Die Wasserpfeife von Watutinki

Denn über lange Zeit galt der heutige Star bisweilen als Chaot, der auf dem Platz gerne mal einen sogenannten Bock schoss oder seine Aggressivität in die falschen Bahnen lenkte. Der nicht klar gewesen sei in der Birne, auch außerhalb des Spielfelds nicht.

Beim VfB Stuttgart, wo Rüdiger von 2011 bis 2015 aktiv war, kennen sie diese Verhaltensmuster nur zu gut. Groß war das Potenzial schon damals, oft aber standen dem jungen Rüdiger damals sein unberechenbares Temperament und die teils überbordende Aggressivität im Weg. Nach dem Wechsel nach Rom im Sommer 2015 wurde Rüdiger reifer – war aber immer noch für Anekdoten wie jene rund um die WM 2018 in Russland gut, als er mit einer riesigen Wasserpfeife als Teil seiner Turnierausrüstung ins Quartier von Watutinki eingelaufen war.

In den richtigen Bahnen

Auch heute noch kann Rüdiger neben dem Platz mit Verve den bunten Hund geben. Auf dem Spielfeld bleiben seine rustikal geführten Zweikämpfe und die Wucht seine Markenzeichen – mit einem Unterschied: Rüdiger kanalisiert seine ureigene Aggressivität inzwischen meist in die richtigen Bahnen und setzt sie ein, wenn sie ihm nutzt.

So ist der Abwehrchef zu einem intern anerkannten Anführer der gesamten DFB-Elf geworden. Zu einem Star, bei dem die Stars des Gegners nach dem Spiel inzwischen Schlange stehen, um das Trikot zu tauschen.

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Erstellt:
13. Juni 2022, 18:20 Uhr

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