Surge-Trainerin Nadine Nurasyid
Auf dem Weg in die beste Football-Liga der Welt
Nadine Nurasyid, die Co-Trainerin und Defensiv-Spezialistin von Stuttgart Surge, hospitiert fünf Wochen lang beim NFL-Club Tampa Bay Buccaneers. Sie will vor allem eines: viel lernen.

© Kyle Zedaker/Tampa Bay Buccaneers
Nadine Nurasyid mit der Mütze der Buccaneers im Trainingscamp in Tampa Bay.
Von Jochen Klingovsky
Bei Heimspielen von Stuttgart Surge hat Nadine Nurasyid (39) einen festen Platz. Sie sitzt oben unter dem Dach des Gazi-Stadions auf der Pressetribüne hinter zwei Bildschirmen, beobachtet aufmerksam das Geschehen, gibt Daten in ihren Computer ein und per Funk Infos an den Spielfeldrand. Doch ausgerechnet an diesem Sonntag (16.25 Uhr), beim Top-Duell der European League of Football gegen die Paris Musketeers, wird der Platz der für die Defensive zuständigen Co-Trainerin leer bleiben. Denn Nadine Nurasyid ist ausgeflogen – zu einer ganz besonderen Chance.
An diesem Samstag hebt Nurasyid ab, ihr Ziel ist Tampa Bay in Florida. Dort wird sie fünf Wochen lang an einem Trainerausbildungs-Programm der Buccaneers, die 2020 mit Quarterback Tom Brady den Superbowl gewannen, teilnehmen und alles aufsaugen, was möglich ist. „Ich will lernen, lernen, lernen. Dafür gibt es keinen besseren Weg, als die Dinge selbst zu erleben“, sagt Nadine Nurasyid, die überzeugt ist, vom Wissen und den Erfahrungen des Trainerstabs der Bucs in der besten Liga der Welt enorm profitieren zu können: „Diese Coaches haben mehr über Football vergessen, als ich je gelernt habe.“
Ein Gesicht des Footballs in Deutschland
Dabei hat auch Nadine Nurasyid eine beeindruckende Karriere hingelegt. Erst mit 27 Jahren begann sie, Football zu spielen, wurde Cornerback bei den Munich Cowboys Ladies und schnell eine der besten Abwehrkräfte der Liga sowie Nationalspielerin. Parallel dazu sammelte sie in München Erfahrungen als Trainerin, wurde 2022 als erste Frau im europäischen Football Cheftrainerin bei den Cowboys und am Ende der Saison zum Coach des Jahres in der German Football League gewählt. Parallel dazu arbeitete sie als Kommentatorin für RTL und DAZN bei NFL-Übertragungen, wurde so zu einem Gesicht des Footballs in Deutschland. Seit Frühjahr 2024 ist sie Teil des Teams von Stuttgart Surge – das nun für ein paar Wochen ohne sie auskommen muss. „Für uns ist das ein Verlust“, sagt Cheftrainer Jordan Neuman, „Nadine ist eine der professionellsten Coaches, die ich kenne. Sie ist intelligent, immer extrem gut vorbereitet – und sie versteht das Spiel.“ Weshalb sie umso gespannter darauf ist, was sie jetzt erwartet.
Wie wissbegierig Nadine Nurasyid, die studierte Sportwissenschaftlerin, immer noch ist, zeigte schon ihre Bewerbung für die Coaching-Academy der Buccaneers, denn statistisch betrachtetet standen ihre Chancen nicht gut. Am Ende gehörte sie aber, trotz einer vierstelligen Anzahl an Interessenten aus der ganzen Welt, zu den 25 Auserwählten. Im Mai hospitierte sie eine Woche im Trainingscamp in Tampa Bay – und hinterließ dort einen exzellenten Eindruck. Obwohl es bei ihr das Visum-Problem zu lösen gab, erhielt sie anschließend eine Einladung zum „Bill Walsh Diversity Coaching“-Programm, das mehr ist als nur eine Fortbildung: Sie erlebt nun den wichtigsten Teil der Saisonvorbereitung des NFL-Teams mit, darunter auch die drei Testspiele der Bucs gegen die Tennessee Titans, die Buffalo Bills (daheim) und die Pittsburgh Steelers (auswärts). „Ich kann kaum glauben, dass ich so weit gekommen bin und nun diese Chance erhalte“, sagt Nadine Nurasyid, „fünf Wochen lang tiefgehende Einblicke in Football auf allerhöchstem Niveau, in Strukturen, Abläufe, Alltagserfahrungen und zwischenmenschliche Beziehungen zu erhalten und dann auch noch Kontakte knüpfen zu können, ist absolut herausragend. Sicher ist, dass ich meinen Wissensstand noch mal enorm verbreitern kann.“ Und dass sich ihre Rolle verfestigt.
Nadine Nurasyid, die Vorreiterin
Schon im deutschen Football ist Nurasyid eine Vorreiterin, nun geht sie in dieser von Männern dominierten Sportart den nächsten Schritt – als eine der wenigen Frauen, die (zumindest vorübergehend) Teil der NFL sind. Was nicht nur für sie persönlich ein großes Ding ist. „Ich freue mich, dass Frauen in dem Sport, der meine Leidenschaft ist, eine Rolle spielen können“, sagt sie, „und es ist ein gutes Gefühl, an der wachsenden Bedeutung von Football in Deutschland beteiligt zu sein.“
Der Plan von Nadine Nurasyid ist, in fünf Wochen wieder nach München zurückzukehren, wo sie wohnt und als Projektmanagerin sowie Personal Trainerin arbeitet. Das würde auch bedeuten, dass sie dem Surge-Team, dessen nächste Spiele sie in den USA per Livestream verfolgen wird, im Halbfinale der Play-offs wieder zur Verfügung stehen würde. Doch Pläne können sich auch ändern.
„Für mich ist die Zeit bei den Tampa Bay Buccaneers nicht der nächste Schritt in meiner Trainerkarriere, sondern der Höhepunkt“, sagt Nadine Nurasyid, „es war nie ein Ziel von mir, Coach in den USA zu werden, da bin ich viel zu realistisch – allerdings wäre ich die Letzte, die es ablehnen würde, wenn sich in der NFL doch irgendetwas ergeben würde.“ Für Jordan Neuman wäre das keine Überraschung. „Sie hat eine große Chance, sich weiterzuentwickeln“, meint der Surge-Cheftrainer, „es würde mich nicht wundern, wenn alle bei den Bucs beeindruckt von ihr wären und sie bei sich behalten wollen.“
Es ist folglich nicht ausgeschlossen, dass Neuman den Platz hoch oben auf der Tribüne das Gazi-Stadions für nächste Saison neu besetzen muss – auch wenn ihm das schwerfiele. „Ich will in meinem Team das höchste Niveau haben“, sagt er, „und Nadine Nurasyid gehört zu den Besten.“