Bach: Olympia-Absage wäre „am wenigsten faire Lösung“

dpa Lausanne. Eine mögliche Verschiebung oder Absage der Olympischen Spiele wegen der Coronavirus-Pandemie kommt für IOC-Präsident Thomas Bach weiter noch nicht infrage. Doch es gibt viele kritische Stimmen.

hält das Festhalten an der planmäßigen Austragung der Olympischen Spiele für gerechtfertigt: IOC-Chef Thomas Bach. Foto: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa

hält das Festhalten an der planmäßigen Austragung der Olympischen Spiele für gerechtfertigt: IOC-Chef Thomas Bach. Foto: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa

IOC-Präsident Thomas Bach hält das Festhalten an der planmäßigen Austragung der Olympischen Spiele trotz der Coronavirus-Pandemie vor allem im Interesse der Sportler für gerechtfertigt.

„Die Absage würde den olympischen Traum von 11.000 Athleten aus 206 Nationalen Olympischen Komitees und dem IOC-Flüchtlingsteam zerstören“, sagte der 66-jährige Tauberbischofsheimer im Interview des Südwestdeutschen Rundfunks am Samstag. „Eine solche Absage wäre die am wenigsten faire Lösung.“

Außerdem betonte er, dass man die Spiele nicht so einfach wie Spieltage im Fußball auf einen anderen Termin verlegen könne. „Olympische Spiele können Sie nicht verschieben wie ein Fußballspiel am nächsten Samstag“, erklärte Bach, der wegen der Schließung des „Olympic House“ in Lausanne im Home-Office arbeitet. „Das ist ein sehr komplexes Unternehmen, bei dem Sie nur verantwortlich handeln können, wenn sie verlässliche und klare Entscheidungsgrundlagen haben und die beobachten wir tagtäglich, 24 Stunden.“

Der Virologe Alexander Kekulé macht den Sportfans dagegen wenig Hoffnung auf einen Sommer mit Olympischen Spielen oder Fußballspielen vor vollen Rängen. „Ich halte das für ausgeschlossen, dass wir in Tokio dieses Jahr die Olympischen Spiele austragen können“, sagte der Experte der ARD-„Sportschau“. Die „ganz große Welle“ an Infizierten stehe Japan noch bevor, und Olympische Spiele mit mehr als 10.000 Athleten und vielen Tausend Fans seien unverantwortlich. „Es gibt für Viren quasi kein tolleres Fest als so eine Veranstaltung“, betonte Professor Kekulé.

Der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Halle/Saale geht zudem davon aus, dass es in diesem Jahr in Deutschland keine Fußballspiele mehr mit Zuschauern geben wird. „Großveranstaltungen, bei denen man 60.000 Menschen in einem Stadion zusammenbringt, die sehe ich tatsächlich in diesem Jahr auch nicht“, sagte Kekulé. Ähnlich hatte sich schon sein Kollege Jonas Schmidt-Chanasit geäußert, der damit rechnet, dass in diesem Jahr überhaupt nicht mehr Fußball gespielt werde.

Gar so drastisch sieht es Kekulé nicht. „Wenn ich jetzt Berater des Fußballs wäre, dann würde ich sagen, im September irgendwann könnte es sich bessern, aber vorher höchstwahrscheinlich nicht.“ Die Deutsche Fußball Liga hat zunächst bis zum 2. April die Spiele ausgesetzt.

Johannes Herber, Geschäftsführer der Sportlergewerkschaft „Athleten Deutschland e.V.“, spricht sich für eine Verschiebung der Olympischen Spiele um ein Jahr aus. „Auch wenn es eine harte Nuss wäre, die Qualifikationswettbewerbe nun komplett neu aufzurollen. Aber eine Verschiebung um ein Jahr würde eine größere Fairness garantieren“, sagte der ehemalige Basketballprofi dem „Tagesspiegel“.

Der 37-Jährige spricht von Wettbewerbsverzerrung, da in China zum Beispiel schon wieder Wettkämpfe stattfinden, während in anderen Teilen der Welt Stillstand herrscht. Zudem seien noch gar nicht alle Qualifikationswettbewerbe über die Bühne gegangen. Auf der anderen Seite kann der frühere Nationalspieler auch die Athleten verstehen, die sich vier Jahre auf den sportlichen Höhepunkt vorbereitet haben: „Für die Athleten, die wir vertreten, wünsche ich mir dennoch, dass es noch diesen Funken Hoffnung gibt.“

Eine Absage der Spiele könnte sich für manche Athleten sogar existenzbedrohend auswirken. Zwar erhalten die meisten Athleten eine Grundsicherung durch die Anstellung bei der Bundespolizei oder Bundeswehr, doch gerade die Sportler mit Freiberuflerstatus könnten in eine finanzielle Schieflage geraten. „Ich denke da zum Beispiel an unsere Beachvolleyballer. Sie finanzieren ihre Trainingslager und Trainer selbst, haben hohe Ausgaben für ihre Reisen und medizinische Betreuung.“

Auch der US-Leichtathletikverband fordert wegen der Coronavirus-Pandemie eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und erhöht damit den Druck auf das Internationale Olympische Komitee. Ein Festhalten an den Wettkämpfen in Japan könne angesichts der globalen Ausnahmesituation nicht im besten Interesse der Athleten sein, erklärte der Verband USATF. Die Sportler bräuchten die Gewissheit, dass sie sich adäquat vorbereiten könnten und dass eine Teilnahme an den Spielen kein Gesundheitsrisiko darstelle, hieß es in einem am Samstag veröffentlichten Schreiben.

„Wir haben gelernt, dass unsere Athleten unter enormem Druck stehen, sie haben Stress, Angst und ihre mentale Gesundheit und Wohlergehen sind unsere höchste Priorität“, schrieb der Chef des Verbandes, Max Siegel, an das Nationale Olympische Komitee (NOK). Dieses solle sich daher auf internationaler Ebene für eine Verschiebung einsetzen, forderte er. Das sei nun „der richtige und verantwortungsvolle“ Weg nach vorne, schrieb er.

Am Freitag hatte bereits der US-Schwimmverband eine Verschiebung der vom 24. Juli bis 8. August geplanten Spiele um ein Jahr gefordert.

Auch das Brasilianische Olympische Komitee (COB) hat wegen der Coronavirus-Pandemie zur Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio um ein Jahr aufgerufen. In einer Erklärung begründete das COB seine Position mit der Verschlimmerung der Pandemie und der daraus resultierenden Schwierigkeit der Athleten, ihr bestes Niveau aufrechtzuerhalten.

„Als Judoka und Ex-Trainer habe ich gelernt, dass der Traum eines jeden Sportlers ist, die Olympischen Spiele unter den besten Voraussetzungen zu bestreiten“, schrieb COB-Präsident Paulo Wanderley, der den brasilianischen Judoka Rogério Sampaio in Barcelona 1992 zu Gold geführt hatte. Die Spiele sollten im gleichen Zeitraum im Jahr 2021 stattfinden.

„Es ist klar, dass in diesem Moment die Aufrechterhaltung der Spiele für dieses Jahr verhindern würde, dass dieser Traum in seiner Fülle verwirklicht wird.“ Das COB hob in der Erklärung jedoch auch hervor, dass die Empfehlung zur Verschiebung nichts an dem Vertrauen in das Internationale Olympische Komitee (IOC) ändern würde. Das IOC habe schon immense Probleme wie die Absagen der Spiele 1916, 1940 und 1944 und den jeweiligen Boykott von Moskau 1980 und Los Angeles 1984 hinter sich gebracht, ergänzte Wanderley. Er sei sich sicher, dass Thomas Bach, Goldmedaillengewinner von Montreal 1976, bestens für diesen schwierigen Moment vorbereitet sei. Brasilien organisierte in Rio de Janeiro 2016 die ersten Olympischen Spiele in Südamerika.

Der dreimalige Schwimm-Olympiasieger Michael Groß hat in einer persönlichen Botschaft an IOC-Präsident Thomas Bach eindringlich für eine Verschiebung der Sommerspiele in Tokio plädiert. „Lieber Thomas, wir beide haben zusammen den Olympia-Boykott 1980 erlitten. Für viele Athleten unser Mannschaftskollegen war der Traum von Olympia damals geplatzt - endgültig. Diesmal geht es darum, dass Du den Traum von Olympia für viele Athleten retten kannst - durch das Verschieben der Spiele auf 2021 oder 2022. JETZT 2020 wäre eine Durchführung unfair!“, schrieb der 55 Jahre alte Groß bei Facebook.

Der Goldmedaillengewinner in Freistil und Schmetterling der Spiele in Los Angeles 1984 und Seoul 1988 merkte zudem an: „Viele Athleten können nicht oder schlecht trainieren, Qualifikationen können in vielen Sportarten nicht stattfinden, das globale Anti-Doping-System steht still, usw. ... Das schafft unfaire Bedingungen. JETZT die Spiele zu verschieben würde ALLEN den Druck nehmen. Jetzt ist anderes wichtiger als Olympia.“ Seinen Beitrag beendete Groß mit der Aufforderung an Bach: „Überlege es Dir nochmal ...“.

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Erstellt:
21. März 2020, 13:59 Uhr

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