Bei dieser WM soll für das DEB-Team mehr folgen

dpa Riga. Mit dem Einzug ins WM-Halbfinale hat sich auch die „neue Normalität“ im deutschen Eishockey manifestiert. Die Ansprüche haben sich geändert: Anders als 2010 soll diesmal mindestens noch ein Sieg her.

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft spielt damit um die erste WM-Medaille seit 1953. Foto: Roman Koksarov/dpa/Archivbild

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft spielt damit um die erste WM-Medaille seit 1953. Foto: Roman Koksarov/dpa/Archivbild

Die Euphorie über ein neues Kapitel deutscher Eishockey-Geschichte war intensiv, währte aber nur kurz: Dieses deutsche Team will mehr und gibt sich mit dem WM-Halbfinale nicht zufrieden.

„Wenn man Weltmeister werden will, muss man jeden schlagen“, sagte Kapitän Moritz Müller vor dem erst zweiten WM-Halbfinale in der Geschichte des Deutschen Eishockey-Bundes am Samstag gegen Titelverteidiger Finnland (17.15 Uhr/Sport1).

Marcel Noebels, der Deutschland mit seinem entscheidenden Penalty im Viertelfinale gegen die Schweiz in die Vorschlussrunde geschossen hatte, befand trocken: „Wir stehen im Halbfinale, aber noch nicht im Finale.“

Noch am Donnerstag hatte der 34 Jahre alte Olympia-Silbergewinner Müller nach dem dramatischen 3:2 nach 0:2-Rückstand und Penaltyschießen gegen den Erzrivalen Schweiz weinend vor Glück auf dem Eis in Riga gestanden. „Verdammt genial, verdammt genial“, hatte der DEB-Kapitän gestammelt und sogleich klar gemacht: „Aber wir sind noch nicht fertig. Wir werden nicht aufhören.“

Erst einmal zuvor hatte Deutschland bei einer WM das Halbfinale erreicht: Vor elf Jahren beim Heim-Turnier war das 1:0 im Viertelfinale ebenfalls gegen die Schweiz emotionaler WM-Höhepunkt und glich einer Sensation. Das ist es nun nicht mehr. „Ich glaube, ihr seid überraschter, als wir es sind, dass wir um die Medaillen spielen“, sagte Bundestrainer Toni Söderholm vor dem erneuten Match gegen sein Heimatland an die vielen internationalen Fragensteller.

Das Interesse am deutschen Eishockey ist weltweit gewachsen. Seit Franz Reindl 2014 mit seiner Mannschaft das Präsidentenamt des vormals chaotischen und maroden DEB übernahm, ging es sportlich, strukturell und finanziell bergauf. „Ich bin total überwältigt“, sagte Reindl zum Griff nach WM-Medaillen.

Teamgeist wie bei Olympia-Silber

Als langjähriger Sportdirektor und Generalsekretär unter verschiedenen DEB-Präsidenten hatte der 66 Jahre alte Ex-Profi ganz andere Zeiten erlebt. Den aufopferungsvollen Kampf der spielerisch bislang etwas limitiert wirkenden Mannschaft, die mit ihrem ungeheuren Teamgeist an die Olympia-Auswahl von 2018 erinnert, bezeichnete Reindl als etwas, „was tief ins Herz geht.“

Erstaunlicherweise schaffte Deutschland den bislang größten Eishockey-Erfolg überhaupt 2018 und nun den WM-Halbfinaleinzug ohne seine beiden Weltklassespieler in der NHL, Leon Draisaitl und Philipp Grubauer. Die Parallelen zu Olympia sind frappierend. Auch in Südkorea verlief die Vorrunde holprig. Damals war ein knapper Sieg gegen den Erzrivalen Schweiz die Initialzündung. „Als wäre es wieder für uns gemacht“, sagte Top-Scorer Marcel Noebels, der Teil des Silberteams war. Sein damaliger und aktueller Teamkollege Dominik Kahun meinte: „Es ist genauso hier wie bei den Olympischen Spielen. Ich spüre denselben Geist in der Kabine wie damals.“

Dies hat den Anspruch der Spieler verändert. „Die erfahrenen Spieler sagen, dass die Reise noch weitergeht. Zur Geschichte, die wir schreiben, kommen noch Kapitel dazu. Das ist der allgemeine Wille“, sagte Söderholm. Der 43 Jahre alte Finne, der 2018 das Bundestraineramt vom Olympia-Silberschmied Marco Sturm übernahm, stärkte von Beginn an wie auch schon sein Vorgänger das Selbstvertrauen der Spieler. Das WM-Viertelfinale - früher das Höchste der Gefühle für eine deutsche Auswahl - ist inzwischen nur noch das Minimalziel. Die Spieler haben dies verinnerlicht.

„Wir haben bewiesen, dass wir ein großes Team sind. Wir wissen, wie gut wir sind - egal, gegen wen wir spielen. Ich glaube, wir haben wirklich eine gute Chance“, sagte NHL-Stürmer Kahun vor dem Halbfinale gegen Titelverteidiger Finnland, gegen den Deutschland in der Vorrunde knapp 1:2 verlor. Die Finnen galten lange Zeit als Team, gegen das Deutschland einfach nicht gewinnen kann.

Keine Angst vor Halbfinal-Gegner Finnland

25 Jahre lang verloren deutsche Teams jegliche WM-Vergleiche - bis Sturm und Söderholm Bundestrainer wurden. 2018 unter Sturm und 2019 unter Söderholm siegte jeweils Deutschland. „Ich bin da Realist. Das wird unglaublich schwer“, sagte DEB-Chef Reindl, der von der langen sieglosen Ära gegen die Finnen geprägt ist. Spieler und Trainer sehen das ganz anders. „Wir müssen uns auf keinen Fall verstecken und können jeden Gegner im Turnier schlagen“, sagte Top-Talent Moritz Seider.

Die DEB-Spieler vertrauen in der Hinsicht der finnischen Prägung des Trainerteams. Neben Söderholm gehören Assistent Ville Peltonen und Torwarttrainer Ilpo Kauhanen dazu. Der Expertise des finnischen Trios sowie dem System Söderholms folgen die Spieler bedingungslos. „Wir wissen: Egal wie es steht - wir können zurückkommen“, sagte Kahun.

© dpa-infocom, dpa:210604-99-861307/5

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Erstellt:
4. Juni 2021, 16:24 Uhr

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