Bergsteiger Marc Grün verzichtet auf den Gipfel und rettet seinen Sherpa

Der aus Backnang stammende Wahl-Ulmer sieht sich für die letzte Etappe auf den 8163 hohen Manaslu gut gerüstet, als die Sauerstoffmaske seines Kletterpartners den Dienst versagt. Als dessen Leben auf rund 7800 Metern in ernster Gefahr ist, entschließt sich der Backnanger bei allem Ehrgeiz zur Umkehr.

Marc Grün steht im Basislager. Im Hintergrund ist der Gipfel des 8163 Meter hohen Manaslu gut zu erkennen. Foto: privat

Marc Grün steht im Basislager. Im Hintergrund ist der Gipfel des 8 163 Meter hohen Manaslu gut zu erkennen. Foto: privat

Von Steffen Grün

Das dritte Hochlager auf etwa 6800 Metern war der Startpunkt für den Gipfelvorstoß. Marc Grün und sein Sherpa hatten sich nach ihrer Ankunft am Vormittag einige Stunden ausgeruht, bevor sie sich um 18 Uhr auf den Weg in die sogenannte Todeszone machten. Zu diesem Zeitpunkt ahnten sie noch nicht, dass sie das bald wörtlich nehmen mussten. Sein Kletterpartner habe ihm „irgendwann offenbart, dass der Regulator seiner Sauerstoffmaske nicht geht oder kaputt ist“, erinnert sich der Backnanger, der vor sechs Jahren nach Ulm gezogen ist, um näher an den Bergen zu sein. Der Frage, warum sie in diesem Moment nicht den sofortigen Rückzug angetreten haben, weicht Marc Grün nicht aus: „Sie ist berechtigt, aber sehr schwer zu beantworten.“ Er selbst hatte nach der langen Vorbereitung, die sich auf eineinhalb Jahre erstreckte, „natürlich den Ehrgeiz, den Gipfel zu erreichen“. Der erfahrene Nepalese, der den Manaslu bereits zweimal bestiegen hat und siebenmal auf dem Mount Everest stand, habe ihm zudem gesagt, es gehe auch ohne zusätzlichen Sauerstoff. „Das ist deren Mentalität“, hat der Schwabe festgestellt, „aber eigentlich ging es eben nicht und dadurch wurde es lebensgefährlich.“

Der Sherpa wurde immer langsamer und schwächer, bis er auf ungefähr 7800 Metern mit seinen Kräften am Ende war. Sein Mitstreiter sei ihm „da fast weggestorben“, erzählt Marc Grün von den dramatischen Momenten, „und als ich ihm in die Augen gesehen habe, war mir klar, dass es nur noch eine Entscheidung gibt: Ich muss auf den Gipfel verzichten und ihn runterbringen.“ Dass es ihn in dem Moment zugleich traurig und enttäuscht gestimmt habe, sich vom Traum vom Sturm auf einen Achttausender vorerst verabschieden zu müssen, obwohl er den Gipfel schon sehen konnte, verhehlt der frühere Radballer des RSV Waldrems nicht. Dem Sherpa wohl das Leben gerettet zu haben „ist aber natürlich mehr wert als jeder Gipfel. Wenn ich ihm da oben nicht geholfen und er die Augen zugemacht hätte, hätte ich mir das nie verziehen.“

Ein zweiter Gipfelvorstoß ist aus verschiedenen Gründen illusorisch

Das Duo kehrte also um, kämpfte sich einige Stunden ins dritte Hochlager zurück und war bei der Ankunft „fix und fertig. Wir haben dort eine sehr kalte, stürmische Nacht verbracht.“ Von erholsamem Schlaf konnte nicht die Rede sein. Sie dösten vor sich hin und warteten, bis es hell wurde. Das reichte, um nach Tagesanbruch den Abstieg ins Basislager auf 4800 Metern zu schaffen. Ein zweiter Versuch, den Manaslu zu besteigen, war allein unter organisatorischen Aspekten wie teils bereits abgebauten Lagern und aufgebrauchten Materialien illusorisch. Zudem hatte sich das Wetter verschlechtert und „wir waren körperlich völlig kaputt“. Vier bis fünf Tage hätte die Regeneration in Anspruch genommen. Stattdessen begaben sich Marc Grün und sein Sherpa nach einer Nacht im Basislager auf die Trekkingtour bis zur Straße nach Kathmandu, die wegen des tagelangen Dauerregens „sehr anstrengend war“. Als sie es geschafft hatten, ging es mit einem Jeep in die nepalesische Hauptstadt.

Nach etwas mehr als einem Monat landete der Schwabe wieder in München und ließ die Expedition noch einmal Revue passieren, bei der anfangs „alles mehr oder weniger wunderbar geklappt hat“. Ein Bus brachte ihn und die drei weiteren Teilnehmer mitsamt den einheimischen Helfern an den Rand des Himalayas. Dort wartete das geländetaugliche Fahrzeug, das sie bis ans Ende der Straße ins Gebirge transportierte. Dort startete die neuntägige Trekkingtour, die den Bergsteiger aus Backnang begeisterte. Marc Grün schwärmt von der Landschaft mit den Schluchten, Tälern, Pässen und Urwäldern „mit riesigen Mammutbäumen, wie man sie aus Kanada kennt“. Die Nächte verbrachte die Gruppe in kleinen Dörfern in Lodges, die von Einheimischen geführt werden. „Manchmal sitzt man zusammen mit ihnen um eine offene Feuerstelle oder einen Ofen herum“, berichtet der 45-Jährige: „Da werden das Essen und der Tee gekocht, da spielt sich ein großer Teil des Alltagslebens ab.“ Erlebnisse, auf die er sich vorab gefreut hatte, weil er sie von den beiden vorherigen Reisen in den Himalaya bereits kannte. Mit Erfolg hatte er sich 2014 dem Stok Kangri (6153 Meter) in Indien gewidmet. Dagegen musste er 2021 den Versuch, den Himlung Himal (7126 Meter) in Nepal zu erklimmen, sturmbedingt etwas oberhalb der 7000-Meter-Marke abbrechen. Er bezahlte ihn mit Erfrierungen, die seine Nase, die Finger und Zehen bis heute kälteempfindlich machen.

Die Kletterroute am Gletscher ist dieses Jahr besonders schwierig

Für das Ziel, erstmals einen Achttausender zu bezwingen, fiel die Wahl nun auf den Manaslu, den achthöchsten Berg der Erde. Im Basislager angekommen, begannen zwei Tage später die Akklimatisierungs- und Versorgungstouren mit der Einrichtung dreier Hochlager auf 5800, 6300 und 6800 Metern. „Aufs vierte Hochlager auf etwa 7500 Metern haben wir verzichtet, weil es mit einer zu großen Kraftanstrengung verbunden gewesen wäre, das ganze Material dort hochzubringen“, sagt Grün. Als nach zwei Wochen alles vorbereitet war, ging es nach einer Ruhephase im Basislager los und es lief gut, obwohl der Gletscher den Bergsteigern viel abverlangte. „Die Kletterroute verändert sich immer wieder stark“, erklärt er, „mal wird es einfacher, mal schwerer.“ Dieses Mal war Letzteres der Fall, teilweise waren senkrechte Eiswände oder sogar Überhänge zu überwinden. Trotzdem erreichten Marc Grün und sein Sherpa am dritten Tag das letzte Hochlager und wagten den Gipfelsturm mit den dramatischen Momenten.

Marc Grün: „Ich bin mir fast zu 100 Prozent sicher, dass ich es geschafft hätte“

Das Wichtigste ist, dass es gut ausging. Davon abgesehen freut sich der Wahl-Ulmer über zwei Bestmarken: „So hoch oben war ich noch nie auf einem Berg, und ich habe im dritten Hochlager die höchste Nacht in meinem Leben verbracht.“ Dass er nicht auf dem höchsten Punkt war, „obwohl ich mir fast zu 100 Prozent sicher bin, dass ich es geschafft hätte“, bleibt ein Wermutstropfen. Und wohl auch ein Ansporn, es erneut zu versuchen. „Ich habe das Gefühl, meine Mission auf diesen ganz hohen Bergen ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Marc Grün: „Ich habe gesehen, dass ich es kann, und habe die eine oder andere Idee im Hinterkopf.“ Mal schauen, wann er sie umsetzt.

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Erstellt:
28. Oktober 2023, 11:30 Uhr

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