Dagmar Freitag: Olympia „ein gigantisches Geschäftsmodell“

dpa Frankfurt/Main. Die Bundestag-Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag spart nicht mit Kritik an Thomas Bach, der vor der Wiederwahl als IOC-Präsident steht.

Dagmar Freitag ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses. Foto: Fabian Strauch/dpa

Dagmar Freitag ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses. Foto: Fabian Strauch/dpa

Nach Ansicht von Dagmar Freitag hat sich in der Amtszeit von Thomas Bach als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees grundsätzlich nicht viel verändert.

„Das IOC war und ist ein exklusiver Zirkel der sportpolitischen Macht und am Ende dank der Olympischen Spiele ein gigantisches Geschäftsmodell“, sagte die Sportausschussvorsitzende des Bundestages im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Wie bewerten Sie die ersten acht Jahre der Amtszeit von Thomas Bach als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees?

Dagmar Freitag: Das IOC war und ist ein exklusiver Zirkel der sportpolitischen Macht und am Ende dank der Olympischen Spiele ein gigantisches Geschäftsmodell. Die für den Erfolg des Businessmodells notwendige Klaviatur spielt Präsident Bach zweifellos virtuos und sichert damit auch seine eigene unangefochtene Macht. Das hat man zuletzt an den unzähligen Ergebenheitsadressen der Mitglieder der IOC-Exekutive in unmittelbarem Anschluss an Bachs Ankündigung seiner erneuten Kandidatur gesehen.

Gibt es konkrete Kritik an Bach?

Freitag: Aus meiner Sicht ist seine Amtszeit insbesondere geprägt von bemerkenswerter Nachsicht gegenüber Staaten, die die Werte des Sports wie Good Governance, Fairness und Respekt geradezu demonstrativ mit Füßen treten. Wie anders soll man ansonsten sein Verhalten in der unendlichen russischen Doping-Causa werten? Die wachsweiche Umsetzung des jüngsten Urteils des Internationalen Sportgerichtshof Cas hierzu lässt viele Beobachter erneut ziemlich fassungslos zurück.

Bach hat die Agenda 2020 initiiert. Sind die darin enthaltenen Reformvorhaben umgesetzt und gelungen?

Freitag: Die Agenda 2020 hat 40 Reformvorschläge auf den Weg gebracht. Das IOC stellt fest, dass 88 Prozent davon erreicht worden seien. Ich kann nicht einschätzen, ob diese Erfolgsmeldung auch einer externen Evaluierung standhalten würde. Von bedingungslosem Einsatz des IOC für die Kernidee der olympischen Bewegung - die olympischen Werte - habe ich persönlich wenig gesehen.

Was meinen Sie genau?

Freitag: Ohne jegliches Zögern wird weiterhin das Premiumprodukt - die Olympischen Spiele - in Staaten vergeben, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Und es ist auch nur eine in der internationalen Sportszene gern gestreute Mär, dass Sportgroßveranstaltungen in solchen Staaten zu spürbaren und nachhaltigen gesellschaftspolitischen Verbesserungen führen würden. Was soll nach den Spielen 2008 in Peking besser geworden sein?

Haben Sie eine Antwort?

Freitag: Nichts, und dennoch stehen 2022 schon wieder Winterspiele in China an, trotz weiterhin unbestritten vorhandener und weltweit kritisierter Menschenrechtsverletzungen. Niemand erwartet, dass der Sport sogenannte regime changes herbeiführt. Das ist nicht seine Aufgabe. Aber die Dachorganisation des Weltsports kann und muss eine klare Positionierung haben, wenn Athleten schikaniert, verhaftet, gefoltert oder gar von Staats wegen hingerichtet werden; ich erinnere hier nur an die jüngsten Ereignisse in Belarus oder Iran.

Die Agenda 2020 beinhaltet zahlreiche Reformen in verschiedenen Bereichen. Alles Makulatur?

Freitag: Wer es im 21. Jahrhundert ernst meint mit Reformen, kommt an den Athleten und Athletinnen nicht vorbei. Sie sind es, die im Mittelpunkt von Reformbestrebungen stehen sollten. Das aber setzt echte Mitwirkungsmöglichkeiten voraus. Und auch da hat sich unter Bach nichts bewegt. Auch deshalb ist es weltweit zur Gründung völlig unabhängiger Athletenvertretungen gekommen, die sich zunehmend vernetzen und mindestens mittelfristig zu einer machtvollen Stimme gegenüber dem IOC werden können. Was möglich ist, zeigen eindrucksvoll Vertreter von Athleten Deutschland.

Als Präsident ist Bach durch die Corona-Pandemie mit einer der größten Krisen des Weltsports konfrontiert: Die Tokio-Spiele wurden verlegt, aber das Ringen um ihre Austragung geht weiter. Wie hat sich Bach als Krisenmanager bewährt?

Freitag: Das IOC hat noch im April/Mai 2020 mantraartig erklärt, dass man die Spiele selbstverständlich wie geplant durchführen wolle. Erst als Athleten eine Verschiebung der Spiele gefordert und einige NOKs unmissverständlich klar gemacht hatten, dass sie unter den vorherrschenden Bedingungen keine Mannschaft entsenden würden, drehte auch das IOC endlich bei. Bei allem Verständnis für die Komplexität und die logistische Herausforderung einer Verschiebung eines solchen Mega-Ereignisses musste klar sein, dass im August 2020 eine Durchführung der Spiele nicht verantwortbar gewesen wäre. Und ob es das im Sommer 2021 ist, wird sich zeigen müssen. Laut Präsident Bach gibt es schließlich keinen Plan B.

Das Olympia-Projekt mit der Initiative Rhein-Ruhr für 2032 ist gescheitert, weil das IOC Brisbane unerwartet schnell zum bevorzugten Kandidaten erklärte. Der Deutsche Olympische Sportbund fühlte sich vom IOC überfahren. Wie sehen sie die Rolle Bachs dabei?

Freitag: DOSB-Präsident Hörmann glaubt offenkundig, dass Deutschland im IOC durch den deutschen IOC-Präsidenten bestens vertreten werde. Anders jedenfalls ist seine kürzlich gemachte Äußerung („Hochrangiger als mit dem IOC-Präsidenten können wir international nicht vertreten sein.“) nicht zu verstehen. Ich halte das für eine Fehleinschätzung.

Warum?

Freitag: Wer das Agieren von Thomas Bach als IOC-Präsident aufmerksam beobachtet und begleitet hat, weiß, dass ganz andere Kriterien sein Handeln bestimmen, und ganz bestimmt nicht landsmannschaftliche Heimatgefühle. Man weiß weiterhin, dass er überall auf der Welt Sportfunktionäre und Staatschefs zu Bewerbungen für sein Produkt „Olympische Spiele“ ermuntert. Und Deutschland ist da eben auch dabei, aber mehr auch nicht.

Hat man den Faktor Bach falsch eingeschätzt?

Freitag: Sollten sich der DOSB, Ministerpräsident Laschet oder die Initiatoren von Rhein-Ruhr-City tatsächlich auf eine Unterstützung des IOC-Präsidenten verlassen haben, kann man das, zurückhaltend formuliert, bestenfalls als naiv bezeichnen. Die wechselseitigen Schuldzuweisungen und die erkennbare Uninformiertheit machen zudem deutlich, dass weder die NRW-Landesregierung noch der DOSB vom IOC ernst genommen wurden. Ansonsten hätte man aus Lausanne doch sicher einen dezenten Hinweis auf die bevorstehende Vorentscheidung für Brisbane gegeben.

ZUR PERSON: Dagmar Freitag ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses. Von 2001 bis 2017 Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

© dpa-infocom, dpa:210308-99-740370/3

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Erstellt:
9. März 2021, 06:04 Uhr

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