Nations League

Das fehlt der deutschen Nationalelf noch

Nach dem dritten 1:1 gegen einen namhaften Gegner nacheinander stellt sich bei der Nationalelf die Frage, was sie noch braucht, um zu einer Spitzenmannschaft zu werden.

Da gehen  sie nun zum Schluss – die DFB-Elf verabschiedet sich in München von den Fans.

© //Wolfgang Zink

Da gehen sie nun zum Schluss – die DFB-Elf verabschiedet sich in München von den Fans.

Von Marco Seliger

Nein, die Männer in den weißen Trikots bekamen kein angemessenes Ambiente bei ihrem Schlussakt. Als sich die deutschen Nationalspieler in Münchens Arena auf die Ehrenrunde aufmachten, waren das riesige Wappen des FC Bayern und der „Mia-san-mia“-Schriftzug auf den Sitzschalenmustern schon wieder zu erkennen. Nicht mal mehr halb voll war das Stadion, als Thomas Müller und Kollegen nach getaner Arbeit in die Kurven gingen.

Die Ignoranz lag aber nicht am fehlenden Gespür des Publikums für den Moment oder gar an mangelnder Wertschätzung nach diesem starken Auftritt der DFB-Elf vorher beim 1:1 gegen England – nein, sämtliche Spieler, Trainer und Assistenten beider Teams hatten vorher rund um den Mittelkreis einen inoffiziellen Weltrekord aufgestellt: Alle umarmten sie sich auf ihrer Bühne der Nettigkeiten so lange wie noch nie nach einem Fußballspiel.

Man musste als Fan also befürchten, dass irgendwann das Parkhaus schließt oder einem die letzte U-Bahn vor der Nase wegfährt. So herzte der englische Trainer Gareth Southgate am Ende auch noch den deutschen Pressesprecher, womöglich hat er später drinnen in den Katakomben auch noch den Zeugwart und den Koch der DFB-Elf fest an sich gedrückt, man weiß es nicht.

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Man kennt sich und man schätzt sich unter den beiden ewigen Rivalen des Weltfußballs. Und wer genau hinschaute, der erkannte in der Gestik der Engländer oft Botschaften der Anerkennung für die Deutschen, die sich das aufrichtige Nicken oder die erhobenen Daumen der Kollegen vorher im Spiel verdient hatten.

Und so war das berühmte Glas aus deutscher Sicht dann doch eher halb voll denn halb leer nach diesem 1:1, das ja einige Interpretationsspielräume bot: 1:1 – das kennt die DFB-Auswahl aus den Partien in den Niederlanden im März und in Italien am vergangenen Samstag. Schon wieder nicht gegen einen sogenannten Großen gewonnen, könnte man also sagen. Aber eben auch: schon wieder nicht verloren. Oder: wieder gut gespielt – und Fortschritte erzielt. Denn beim 1:1 gegen die Niederlande und beim 1:1 gegen England überzeugte die Elf des Trainers Hansi Flick. Der schwache Auftritt beim 1:1 gegen Italien bildet in der Gesamtschau auf das bisherige Länderspieljahr eine Ausnahme.

Nackenschlag in Minute 88

Zum bitteren Erlebnis wurde nun gegen England das Ergebnis, der späte Foulelfmeter der Three Lions, verwandelt in Minute 88, geriet zum Nackenschlag. Dennoch überwog im deutschen Lager das Positive, ehe in sämtlichen Analysen auch Selbstkritik zu vernehmen war. „Mir hat es gefallen, wie wir Fußball spielen“, sagte etwa zunächst Flick. So oder so ähnlich sprachen hinterher auch die Nationalspieler, deren Botschaften sich dann im Grunde mit zwei Worten zusammenfassen ließen: Ja – aber!

Also, ja: Da war diese starke Leistung. Aber: Da waren auch die Dinge, die dazu führten, dass man wieder nicht gewonnen hat gegen einen Großen.

„Konstanz und Ergebnisse gehören dazu“

„Man hat gesehen, wozu wir in der Lage sind“, sagte der Offensivmann Thomas Müller. „Aber Konstanz und Ergebnisse gehören dazu, eine Spitzenmannschaft zu sein – es reicht nicht, es immer nur anzudeuten.“ Auch Ilkay Gündogan war angetan vom Spiel gegen England, von diesem aggressiven Pressing, von der Wucht, vom Tempo, von den Elementen also, die der Trainer Flick von seinen Teams gerne sieht. Dann aber kam auch sein „Aber“. So forderte der Mittelfeldspieler mehr Cleverness: „Das ist der Entwicklungsschritt, den wir gehen müssen, solche Partien nach Hause zu bringen“, sagte er und ergänzte: „Wir müssen cooler sein, den Ball besser halten – es gibt noch einen Lernprozess für uns.“

Als Sinnbild für diesen Prozess taugte gegen England Innenverteidiger Nico Schlotterbeck, der den späten Elfmeter mit seinem unglücklichen Einsteigen gegen Harry Kane verursacht hatte. Große Vorwürfe konnte man dem Abwehrmann kaum machen, er stolperte unbeabsichtigt auf den Stürmer – aber mit ein bisschen mehr Cleverness wäre das vielleicht zu verhindern gewesen, wer weiß das schon.

Hansi Flick holt zur Grundsatzrede aus

Als der Bundestrainer Flick spät am Abend auf dem Pressepodium ankam, ging es am Ende nicht mehr um die Cleverness und die Leistung – es ging um die Leistungskultur. So holte der Coach zu einer Grundsatzrede aus, als es um seine zahlreichen Wechsel in der Startelf ging. Sorgenkinder wie Leroy Sané oder Serge Gnabry, die auf der Bank saßen gegen England, bräuchten „viel Vertrauen und Rückendeckung“, sagte Flick, „aber wir sind hier bei der Nationalmannschaft und in einer Leistungsgesellschaft“. Und da gehe es darum, so sagte das Flick noch, „dass man performt, immer auf einem hohen Level ist“.

Wer nicht in Form ist, spielt nicht, wer gut drauf ist, spielt: Dieses selbstverständliche Prinzip des Profifußballs also scheint nach der Zeit einiger Erbhöfe unter Flicks Vorgänger Joachim Löw wieder zu gelten im Kreise der DFB-Elf – was nicht das schlechteste Zeichen mit Blick auf die WM in ein paar Monaten sein muss.

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Erstellt:
8. Juni 2022, 16:58 Uhr
Aktualisiert:
8. Juni 2022, 18:03 Uhr

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