Deutschland gegen England

Das sind die Luxusprobleme des Hansi Flick

Einige Nationalspieler schwächelten zuletzt in der DFB-Elf – der Bundestrainer hat aber nicht nur beim Nations-League-Spiel an diesem Dienstag gegen England Alternativen. Der Konkurrenzkampf ist in vollem Gange.

Hat noch einiges zu tun: Bundestrainer Hansi Flick.

© dpa/Federico Gambarini

Hat noch einiges zu tun: Bundestrainer Hansi Flick.

Von Marco Seliger

Zu den größten Fußballlügen gehört die Mär über den „netten Hansi“. Freundlich im Umgang, verbindlich im Ton, und irgendwie immer ein bisschen unterschätzt: Das war lange das Bild in der Öffentlichkeit über den Mann, der seit dem vergangenen Sommer Bundestrainer ist. Und er ist ja auch oft nett, der Hansi Flick, weil er meist tatsächlich höflich und verbindlich ist. Wie sehr dieser Hansi aber böse werden kann, wenn ihm etwas nicht passt, mussten auch irgendwann die Chefs des FC Bayern feststellen. Dort, wo es im ersten Halbjahr 2021 zum großen Zerwürfnis kam, so dass der Weg im Sommer frei wurde für Flick in Richtung Bundestraineramt.

Dort genießt der Coach nun den Luxus, dass er nicht mehr mit einem Sportvorstand mit dem Namen Salihamidzic über neue Spieler streiten muss (und darüber, dass die dann irgendwann doch nicht kommen) – er lädt die Besten einfach zu den Lehrgängen ein. Und dass seine Auswahl jetzt begrenzt ist (Deutsche müssen es sein), macht die Sache für ihn womöglich noch unkomplizierter. Flick redet obendrein niemand mehr rein, der Direktor des DFB, Oliver Bierhoff, ist ihm loyal verbunden. Sein Traumziel als Fußballlehrer hat er also erreicht.

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Wer dem Bundestrainer nun aber so zuhörte vor dem zweiten Spiel in der Nations League an diesem Dienstag gegen England in München (20.45 Uhr/ZDF), der erlebte auf einer anderen Ebene einen typischen Flick: ruhig im Ton, teils freundlich, stets verbindlich, aber immer konsequent in der Sache. Der Boulevard machte aus den gar nicht so netten Flick-Aussagen nach dem mauen und lethargischen Auftakt in der Nationenliga beim 1:1 in Bologna am Samstag gegen Italien wenig überraschend eine balkenhohe Überschrift: Vom „Knallhart-Hansi“ war da die Rede.

Ein paar Wechsel

Zumindest klar war Flicks Ansage, die er an seine arrivierten Nationalspieler richtete: Wer schwächelt, fliegt aus der Startelf. Am Montag ging Flick zwar nicht auf Namen ein, sagte aber vor dem nächsten Klassiker gegen England dies: „Es wird der eine oder andere Wechsel stattfinden.“ Das war vorher schon geplant, denn Flick will angesichts des straffen Programms mit vier Partien in zehn Tagen rotieren – die schwache Leistung gegen Italien aber dürfte ihn auf den einen oder anderen zusätzlichen Gedanken gebracht haben.

Das gilt vor allem für die Offensivreihe, in der der Bundestrainer mit Blick auf die Winter-WM 2022 einen Fundus an Hochbegabten zur Verfügung hat. Serge Gnabry und Leroy Sané sammelten nun im internen Konkurrenzkampf in der Partie gegen Italien keine Pluspunkte, Thomas Müller auch nicht – und Timo Werner in der Sturmspitze erst recht nicht: So lassen sich die Eindrücke von Bologna zusammenfassen.

Zwei Konkurrenten der Blues

Die Konkurrenz für die vier Offensivmänner ist groß. Bei Werner hört sie auf den Namen Kai Havertz, der es längst bewiesen hat, dass er als sogenannte „falsche Neun“ auflaufen kann. Havertz und Werner sind auch beim FC Chelsea Konkurrenten, dort also, wo Werner zuletzt unter Trainer Thomas Tuchel oft das Nachsehen hatte. Havertz ist spielerisch stärker, der Edeltechniker hat ein besseres Auge für die Kollegen und ist selbst torgefährlich. Das ist auch Werner, der ein anderer Spielertyp ist, eher übers Tempo kommt und das selbst schaffen soll mit seinen Sprints.

Seine Torquote unter Flick in der DFB-Elf ist beeindruckend – seine Leistungen dagegen waren es oft nicht. Nun nahm Flick den Stürmer, der zu seinen Lieblingsschülern zählt, in Schutz: „Timo wird oft ein bisschen unterschätzt bei den Dingen, die er fürs Team tut: Er soll immer Räume vor der Abwehr schaffen, und das setzt er um.“

Dennoch könnte der gebürtige Cannstatter gegen England auf der Bank sitzen – ebenso wie jener Offensivkollege, der seinen Trainern und Clubverantwortlichen seit Monaten neue Rätsel aufgibt.

Das Rätsel Sané

So ist Außenstürmer Leroy Sané seit einiger Zeit außer Form, nach starken Auftritten beim FC Bayern in der ersten Saisonhälfte baute er ab. Auch unter Flick wurde es jetzt in der DFB-Elf nicht besser. Obendrein stellt Sané in diesen Wochen im Alltag nicht selten seine Teilnahmslosigkeit oder gar Unlust zur Schau. „Wir sind dran“, sagte Flick zu all den Problemfeldern seines Hochbegabten.

Die wiederum kennt Sanés Vereinstrainer beim FC Bayern nur zu gut. „Ich habe viele Gespräche mit Leroy gehabt, viel versucht“, meinte Julian Nagelsmann kürzlich und ergänzte, dass er nicht erklären könne, woran es bei Sané liege. Jamal Musiala (FC Bayern), Marco Reus und Karim Adeyemi (beide BVB) jedenfalls stehen im WM-Jahr in der Offensive der Nationalelf als Alternativen bereit.

Das Juwel Musiala

Das gilt so auch für Ilkay Gündogan von Manchester City, der allerdings auch weiter hinten auf seiner Stammposition im zentralen Mittelfeld auflaufen kann. Dort also, wo zuletzt in Leon Goretzka eine weitere etablierte Kraft schwächelte – und wo auch das Offensivjuwel Musiala spätestens nach seinem überragenden Auftritt beim 1:1 Ende März in Amsterdam gegen die Niederlande eine Option ist für die Startelf.

Dem Bundestrainer mangelt es also nicht an Alternativen. Und dem Vernehmen nach findet das der Hansi selbst: ganz nett.

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Erstellt:
7. Juni 2022, 07:16 Uhr

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