„Demut ist grundsätzlich ein guter Ratgeber“

Der neue TSG-Trainer Holger Ludwig zeigt sich überzeugt von der Qualität seines Kaders, hat aber großen Respekt vor den Kontrahenten und der Herausforderung einer Mammutsaison mit 40 Begegnungen. Bei bis zu sieben Absteigern kann es für den Oberliga-Neuling aus den Etzwiesen nur um den Klassenverbleib gehen.

Holger Ludwig gibt bei der TSG Backnang die Richtung vor, der 38-jährige Trainer will den Aufsteiger zum Klassenverbleib führen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Holger Ludwig gibt bei der TSG Backnang die Richtung vor, der 38-jährige Trainer will den Aufsteiger zum Klassenverbleib führen. Foto: A. Becher

Von Steffen Grün

Zweimal rauf, einmal runter – das ist die Bilanz des Traditionsvereins in den vergangenen drei Jahren. 2017 führte Markus Lang die Roten in die Oberliga, unter Nachfolger Beniamino Molinari sprang in der Premierensaison in Baden-Württembergs Oberhaus Platz zwölf heraus. Daran wollte Andreas Lechner anknüpfen, doch Backnang legte einen kapitalen Fehlstart hin. Bereits Mitte November 2018 musste der Trainer wieder gehen, aber die Hypothek wog so schwer, dass nicht einmal die fulminante Rückserie mit Evangelos Sbonias den Abstieg verhindern konnte. Nur vier Pünktchen fehlten, doch der 37-Jährige richtete seine enttäuschte Truppe rasch wieder auf. Beeindruckend, wie die TSG der Favoritenrolle in der vergangenen Verbandsliga-Saison gerecht wurde und vorneweg marschierte. 47 Punkte aus 20 Partien waren es, als die Coronapandemie die Runde beendete, der schärfste Verfolger Hollenbach hinkte elf Zähler hinterher.

Der Titel sowie die Oberliga-Rückkehr waren verdient, eine Etage höher muss es aber ohne den Baumeister des Erfolgs gehen. Sbonias verkündete schon im März seinen Abschied, vor dreieinhalb Wochen unterschrieb er beim ambitionierten Ligarivalen Freiberg. Das Erbe unter dem Viadukt trat Holger Ludwig an, der 38-Jährige arbeitet seit mittlerweile sechs Wochen mit der Truppe. Wir haben mit ihm vor dem Saisonstart über seine Vorstellungen und bisherigen Eindrücke gesprochen.

Die Vorbereitung: Kein Trainer konnte in diesem Sommer mit Plänen von der Stange arbeiten, weil es einen riesigen Unterschied macht, ob sich ein Team nach den üblichen vier Wochen Pause wieder trifft oder erst nach vier Monaten. Seine Spieler seien auch auf eigene Faust fleißig gewesen, lobt Ludwig, doch auf Dauer sind Waldläufe kein Ersatz fürs fußballspezifische Training. „Wir sind daher nicht von null auf 100 gestartet“, erklärt Backnangs Coach, „sondern haben die Intensität variiert“. Mit dem, was ihm seine Akteure bislang angeboten haben, ist der gebürtige Marbacher, der über 200 Oberliga-Begegnungen für Freiberg sowie Bissingen bestritten hat, sehr zufrieden: „Wir sind läuferisch auf einem guten Weg.“

Die Testspiele: Durchaus ordentlich nennt Holger Ludwig die Leistungen in den vier Partien, in denen es lediglich eine Niederlage (0:2 gegen den Regionalliga-Neuling VfB Stuttgart II) und drei Siege (5:1 beim Verbandsligisten Heimerdingen, 8:0 beim Landesligisten Allmersbach, 3:1 beim Verbandsligisten Rutesheim) gab. Von „Phasen, mit denen wir sehr zufrieden waren“, berichtet der Trainer, trotz der Niederlage nicht zuletzt auch gegen die Erstliga-Reserve vom Wasen und damit den mit Abstand härtesten Prüfstein. „Wir haben gegen den VfB II aus dem Spiel heraus wenig zugelassen und selbst einige Torchancen herausgespielt.“ Nur die Kaltschnäuzigkeit im Abschluss wurde vermisst, was sich im ersten Pflichtspiel rächen sollte.

Der WFV-Pokal: „Es war keine schlechte Partie von uns“, sagt Ludwig über die 4:5- Pleite beim Verbandsligisten Heiningen, die aufgrund der 4:2-Führung bis zur 85. Minute besonders bitter war. „Wir haben aber eine Vielzahl von Torchancen versiebt.“ Anstatt die teils drückende Überlegenheit umzumünzen und den Sack zuzumachen, sorgte ein Sonntagsschuss zum 3:4 für Unruhe, die Partie kippte noch. „Mich wurmt jede Niederlage extrem, wir wollten so weit wie möglich kommen“, unterstreicht der Coach seine Enttäuschung – zumal die Oberliga-Teams im WFV-Pokal durchaus schon zum Favoritenkreis gehören, zumindest zum erweiterten.

Die Zugänge: „Was wir uns von den Neuen versprochen haben, ist bereits zu sehen“, freut sich Ludwig. „Wir können zufrieden sein, zumal wir nicht die finanziellen Mittel wie andere Oberligisten haben.“ Innenverteidiger Marc Bitzer kennt der Trainer schon von seinem Ex-Klub Heimerdingen, er hält viel vom 30-Jährigen. Linksverteidiger Adnan Rakic (19) „ist äußerst lernwillig und zeigt im Training, dass er viel Potenzial hat“. Keine Eingewöhnungszeit brauchte Rückkehrer Sebastian Gleißner, vom 25-jährigen Mittelfeldakteur erwartet Ludwig in den Spielen aber „noch einen Tick mehr. Er fühlt sich wohl bei uns und wird bald wieder bei 100 Prozent sein“. Bleibt das Trio für die Offensive. Mert Tasdelen (21) sei technisch ein großer Gewinn und suche unbekümmert immer wieder das Eins-gegen-Eins. Niklas Pollex habe seine Qualitäten bereits in Freiberg angedeutet, war dort jedoch nicht wie erhofft zum Zuge gekommen und will nun in Backnang reüssieren. Ludwig sieht den 23-Jährigen eher im Zentrum als auf Außen. Stürmer Rui Carvalho (29) „lebt ein Stück weit von seiner Athletik und muss sich noch an das Spieltempo gewöhnen“.

Der Kader: „Wir haben die Spieler gehalten, die wir halten wollten“, sagt Ludwig, kein Abgang spielte in der Vorsaison eine Hauptrolle. Zwei Torhüter und 20 Feldspieler (ohne den langzeitverletzten David Kienast) umfasst das Aufgebot, im Kasten wurde aber schon Michael Quattlender reaktiviert, weil Ersatzkeeper Mika Wilhelm mit einem Sehnenriss im Finger ausfällt. Tut sich noch etwas? „Wir sind nicht aktiv auf der Suche, aber ich würde die Tür auch nicht zuschlagen“, erklärt Backnangs Trainer, der so oder so zum Fazit kommt, dass „die Mischung stimmt.“ Im Schnitt sei die Truppe recht jung, „aber wir haben auch einige gestandene Spieler“. Allen voran Torjäger Mario Marinic (35) und Kapitän Oguzhan Biyik (33), die für Ludwig wie Torwart Marcel Knauß (23) zur Achse gehören, ohne dass sie einen Freibrief hätten. In der Innenverteidigung streiten sich Marc Bitzer, Patrick Tichy und Thomas Doser um zwei Plätze, später wird auch der lange Zeit verletzte Michl Bauer eingreifen. Eine tragende Rolle im Mittelfeld dürfte wohl Sebastian Gleißner spielen, selbiges gilt für Julian Geldner: Von ihm, einem eher ruhigen Typen, verlangt der Trainer jedoch, dass er „noch etwas mehr Verantwortung übernimmt“. Seit längerer Zeit überzeugen auch die Maier-Zwillinge mit konstanten Leistungen: Leon als rechter Verteidiger, Loris als vielseitige, torgefährliche Offensivkraft, die auch mal Marinic im Sturmzentrum ersetzen könnte.

Das System: Bevorzugt spielt Ludwig ein 4-3-3 mit und 4-4-2/4-5-1 gegen den Ball, „aber wir werden nicht immer dasselbe System wählen“. Die Dreierkette ist eine Option, „auch dafür haben wir die Typen“. Ab und zu wird sich der Trainer am Gegner orientieren, da „wir nicht oft Favorit sind“. Das habe nichts mit Angst, sondern nur mit gesundem Respekt zu tun, denn „Demut ist immer ein guter Ratgeber“.

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Erstellt:
19. August 2020, 06:00 Uhr

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