Prinzip Hoffnung: Deutsche Handballer beschwören WM-Wunder

dpa Kairo. Wie vor vier Jahren droht die deutsche Handball-Nationalmannschaft das WM-Viertelfinale zu verpassen. Vor den abschließenden Hauptrundenspielen hat sie das Weiterkommen nicht mehr in der eigenen Hand. Dennoch tragen die Spieler Zweckoptimismus zur Schau.

Paul Drux (r) aus Deutschland zieht sich enttäuscht das Trikot über das Gesicht. Doch es besteht noch Hoffnung. Foto: Sascha Klahn/dpa

Paul Drux (r) aus Deutschland zieht sich enttäuscht das Trikot über das Gesicht. Doch es besteht noch Hoffnung. Foto: Sascha Klahn/dpa

Bei einem Spaziergang durch die prächtige Marmorhalle ihres noblen Teamhotels weigerten sich Deutschlands Handballer nach einer kurzen Nacht mit viel Frustbewältigung, den vorzeitigen WM-Abgesang anzustimmen.

„Ich schaue immer mit dem Gefühl voraus, was noch möglich ist. Und es ist noch alles möglich, wir sind noch nicht raus“, betonte Torwart-Oldie Johannes Bitter vor dem zweiten Hauptrundenduell gegen Brasilien am Samstag (20.30 Uhr/ZDF). „Deshalb müssen wir alle zusammen wieder eine gute Laune finden.“ Und DHB-Vizepräsident Bob Hanning versprach: „Die Mannschaft wird jetzt aufgerichtet und nicht hingerichtet.“

Die zweite Turnierpleite beim 28:32 gegen Europameister Spanien versetzte die DHB-Auswahl in ein Stimmungstief, aus dem vor allem die jungen Spieler am Freitag nur mühsam herauskamen. „Es dauert noch, bis man das wirklich verarbeitet hat. Wenn man merkt, dass man auch an sich selbst gescheitert ist, tut es verdammt weh. Deshalb war die Nacht etwas kürzer - sicher auch für einige andere Spieler“, berichtete Rechtsaußen Timo Kastening.

DHB-Sportvorstand Axel Kromer blieb dies nicht verborgen. „Die Jungs sind sehr geknickt. Es war zu spüren, dass ein Sack auf ihren Schultern liegt“, schilderte er seine Eindrücke nach dem Frühstück. Kreisläufer Johannes Golla räumte freimütig ein: „Es ist hart, damit umzugehen, weil man realisiert hat, dass die Chance auf das Weiterkommen gegen Null geht.“

Für den angestrebten Viertelfinaleinzug braucht die nach etlichen WM-Absagen neuformierte deutsche Mannschaft ein kleines Handball-Wunder. Sie muss Brasilien und zum Abschluss der Hauptrunde am Montag auch Polen schlagen und zugleich darauf hoffen, dass Ungarn seine beiden ausstehenden Spiele gegen Polen und Spanien verliert. Im Dreiervergleich der dann punktgleichen Rivalen aus Deutschland, Polen und Ungarn müsste das DHB-Team zudem das beste Torverhältnis aufweisen. „Man sagt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Realistisch gesehen, müssen wir schon sehr viel Glück haben“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason zur schwierigen Ausgangslage in der Gruppe I.

Trotz des drohenden frühzeitigen WM-Knockouts bemühten sich insbesondere die routinierten Spieler darum, Optimismus auszustrahlen. „Wir müssen als Mannschaft zusammenstehen und viele auch mitnehmen, die gestern geknickter waren als ich, weil sie noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass man trotzdem noch den Titel gewinnen kann. Davon will ich zwar nicht reden, aber es ist noch nicht vorbei“, sagte Bitter.

Der 38 Jahre alte Torwart, der 2007 mit dem DHB-Team Weltmeister wurde, ging mit gutem Beispiel voran und stellte die positiven Aspekte des Spiels gegen den Europameister heraus. „Wir haben ganz viele Sachen richtig gut gemacht und gegen die goldene Generation der Spanier über weite Strecken der Partie bestanden“, lobte Bitter.

Er selbst hatte daran mit einem starken Auftritt großen Anteil und könnte Andreas Wolff für den restlichen Turnierverlauf den Rang als 1a-Lösung abgelaufen haben. Wolff schloss nach seinen bisher durchwachsenen Leistungen nicht einmal aus, seinen Platz im Kader an Silvio Heinevetter zu verlieren.

Unabhängig von der Entscheidung, die der Bundestrainer erst nach dem Abschlusstraining fällen wollte, appellierte der 29-Jährige: „Wenn wir noch eine Chance auf das Viertelfinale haben, wollen wir sie auch nutzen. Und selbst wenn wir das Maximum nicht mehr erreichen können, wollen wir uns erhobenen Hauptes aus dem Turnier verabschieden. Wir wollen die nächsten zwei Spiele gewinnen, weil wir immer noch Deutschland repräsentieren.“

Darauf setzt auch Kromer. „Wenn alle ihre Aufgaben erfüllen, muss man sich nicht schämen, wenn das Ziel Viertelfinale vielleicht nicht erreicht wird“, sagte der Sportvorstand. Möglicherweise spielt die Mannschaft ohne großen Erfolgsdruck etwas befreiter auf, nachdem sie sich sowohl gegen Ungarn als auch gegen Spanien oft selbst im Weg stand.

„Es wäre der größte Fehler, das Turnier jetzt abzuschenken“, sagte WM-Neuling Kastening und versprach: „Das wird nicht passieren, denn wir haben eine gute Mentalität in der Mannschaft. Wir sind eine coole Truppe.“ Darin ist er sich mit Bitter einig. „Die Erfahrenen haben sich die Jungen zur Brust genommen und Tacheles geredet - im Sinne von: so ist der Sport, es geht weiter“, berichtete der Oldie und kündigte an: „Wir haben alle Bock darauf, diese zwei Spiele zu gewinnen.“

© dpa-infocom, dpa:210122-99-124489/4

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Erstellt:
22. Januar 2021, 04:32 Uhr

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