Nationalmannschaft
DFB-Team – die Erleichterung ist groß, der Fortschritt klein
Die Elf von Julian Nagelsmann nährt wieder den Glauben an die direkte WM-Qualifikation. Doch der Heimsieg gegen Nordirland ist nur ein erster Schritt auf einem weiten Weg.

© Baumann
Der Mainzer Nadiem Amiri war einer der Lichtblicke auf dem Rasen.
Von Carlos Ubina
Nadiem Amiri hat ein gutes Gespür bewiesen. Schon in der Halbzeit besprach er sich mit seinem Mainzer Vereinskollegen Paul Nebel und meinte, dass einer von ihnen nach seiner Einwechslung ein Tor erzielen werde. Und als Amiri nach einer Stunde tatsächlich auf dem Rasen des Kölner Stadions mitwirkte, brachte er tatsächlich ein Hochgefühl in die Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Und wieder bewies der 28-Jährige dabei ein feines Näschen. „Ich bin einfach durchgelaufen“, sagt Amiri, der nach einer Hereingabe von David Raum auf den durchrutschenden Ball spekulierte – und mit seinem Treffer richtig lag.
„Nadiem ist immer auf dem Gaspedal. Er hat immer Lust, Spiele zu gewinnen. Das war schon in der U 17 oder U 19 so. Er kam rein und hatte einfach Bock. Er hat sich zerrissen. Deswegen freut es mich sehr für ihn, weil er alles reingeworfen hat, was uns in der Phase des Spiels sehr gutgetan hat“, sagt der Bundestrainer Julian Nagelsmann über den Erweckungsmoment in der WM-Qualifikation.
Ein einfacheres Konzept
Nach der schnellen Führung durch Serge Gnabry (7.) schienen die Nationalspieler gegen Nordirland ja wieder in einen schläfrigen Modus zu verfallen. Minute für Minute, Querpass für Querpass. Wie beim 0:2 drei Tage zuvor in der Slowakei. Isaac Price versetzte die DFB-Auswahl mit seinem Treffer gar in einen Schockzustand (34.) und böse Ahnungen schwebten durch das Fußballland, ehe Amiri (69.) und Florian Wirtz per Freistoß (72.) den 3:1-Endstand herstellten.
Der Doppelschlag löste vor allem eines aus: Erleichterung. Denn nun hat sich die Nationalelf in die Lage gebracht, die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr wieder aus eigener Kraft schaffen zu können. Vorausgesetzt, sie gewinnt die weiteren Spiele in der Gruppe A. Von der Papierform bleibt das DFB-Team Favorit, in der Tabelle steht man jedoch hinter den Slowaken, die Luxemburg besiegten.
Doch der Anspruch ändert sich nicht, nur das Konzept. Beispiel Mittelfeldzentrale. „In meiner Denkweise kannst du einfach nicht gegen jeden Gegner dasselbe Personal auf dem Platz haben. Die Formel 1 fährt auch nicht immer mit denselben Reifen, weil es einfach keinen Sinn macht, mit Slicks zu fahren, wenn es regnet. Und es macht keinen Sinn, einen kleinen Sechser zu haben, wenn der Gegner nur auf die zweiten Bälle geht. Oder es macht keinen Sinn, einen Abräumer zu haben, wenn du 90 Prozent Ballbesitz erwartest. Es ist ein Ziel, dass wir Pärchen haben, die viel spielen“, sagt Nagelsmann.
Gegen die Nordiren platzierte der Bundestrainer neben Joshua Kimmich den Dortmunder Pascal Groß auf der Doppelsechs, Angelo Stiller vom VfB Stuttgart saß dagegen auf der Bank. Ähnlich ging Nagelsmann in der Abwehr vor, wo er nach großer Unsicherheit mit Waldemar Anton, Robin Koch und Antonio Rüdiger eine Dreierkette aufbot. Mit vereinfachten taktischen Aufgaben und der vielfach geforderten Emotionalität, die jedoch erst spät zum Tragen kam.
Was für ein Bundestrainer will Julian Nagelsmann sein?
Es war ein energischer Endspurt nötig, um das Potenzial der DFB-Mannschaft erkennen zu lassen. „Das war nur ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Anton, „aber noch kein Befreiungsschlag.“ Selbst wenn die nagende Kritik nach zuvor drei Pflichtspielniederlagen erst einmal leiser wird und Nagelsmann bis zu den Oktober-Länderspielen nicht mehr von der aufkommenden Frage begleitet wird, ob er noch der Richtige ist. Er selbst hatte vor der Begegnung mit den Nordiren geantwortet, dass nicht seine Person, sondern die Mannschaft im Vordergrund stehe und er weiter den Mut und den Willen besitze, sie anzuleiten.
Selbstzweifel beherrschen Nagelsmann sicher nicht. Er verfügt auch über eine immense Fachkompetenz. Und möglicherweise ist das ein Teil des Problems, da der 38-Jährige vor fußballerischen Ideen sprüht und in der Kürze der Spielvorbereitungen offenbar immer mal wieder Gefahr läuft, die Nationalmannschaft mit seinen Ansprüchen und Anforderungen zu überfordern. Weshalb er sich stets aufs Neue entscheiden muss, ob er ein pragmatischer Verbandscoach oder ein verhinderter Vereinstrainer sein will.
Jeweils mit einer gesellschaftskritischen Note versehen wie in Köln, als der Bundestrainer auf die Pfiffe der Zuschauer zur Halbzeit grundsätzlich wurde. Nagelsmann versteht den Unmut, erkennt aber keinen Sinn darin, seinen Schützlingen die Unterstützung zu verweigern, wenn sie diese am nötigsten haben. „Wenn wir alle wie Hyänen im Busch sitzen und warten, bis man endlich wieder beißen und sagen kann, wie schlecht jemand ist und dass er alles beschissen macht – ich glaube nicht, dass man sich dann so super entwickelt als Land. Ich habe auf der einen Seite Verständnis und auf der anderen Seite einen Wunsch für etwas anderes.“