Laura Dahlmeier ist tot
Leben am Limit: Die Biathletin, die unerwartete Wege ging
Laura Dahlmeier ist im Hochgebirge von Pakistan ums Leben gekommen. Die Sportwelt trauert um eine Ausnahme-Athletin – und eine Frau, die vieles anders machte.

© Michael Kappeler/dpa
Laura Dahlmeier wurde nur 31 Jahre alt.
Von Michael Bosch
Die Berge waren ihre Heimat, der Sport ihre Leidenschaft. In ihrem ersten Leben als Profisportlerin jagte Laura Dahlmeier Rekorde und Medaillen – und das so erfolgreich wie kaum eine deutsche Biathletin vor ihr. Nachdem sie den sportlichen Gipfel erreicht hatte, machte sie sich auf, die höchsten Berge der Welt zu erklimmen.
Wie behände sie dort unterwegs war, zeigte Laura Dahlmeier zuletzt auch immer wieder gerne der Öffentlichkeit. Im Fernsehen und auf ihren Social Media Kanälen. Den deutschen Sportfans wurde Dahlmeier aber nicht mit Klettergurt, Seil und Helm bekannt, sondern mit Skiern unter den Füßen und einem Gewehr auf dem Rücken.
Ihr Profidebüt im Biathlon-Zirkus gab sie 2013 in Oslo, den ersten WM-Titel gewann sie 2015. Insgesamt wurde sie sieben Mal Weltmeisterin in der Disziplin, die wie keine andere Ausdauer und Konzentration verbindet. Dazu stand sie zweimal ganz oben auf dem Podest bei den Olympischen Spielen – 2018 im südkoreanischen Pyeongchang war das, als sie sich Gold im Sprint und der Verfolgung sicherte. Zudem gewann sie in der Saison 2016/17 den Gesamtweltcup. Eine Bilderbuchkarriere.
Dahlmeier, 1993 in Oberbayern geboren, kommt früh mit dem Wintersport in Berührung, zum Biathlon aber zufällig – durch einen Freund der Familie. Schon im Juniorenbereich macht sie auf sich aufmerksam, mit 19 steht sie im DSV-Staffel-Aufgebot bei der WM in Nove Mesto. Und überzeugt danach auch im Weltcup. Schnell feiert sie dort erste Erfolge.
Immer zugewandt, immer freundlich
Dabei bleibt Dahlmeier stets sie selbst, immer zugewandt, immer freundlich – meistens mit ihrem unverkennbaren Lächeln auf den Lippen. Sie ist gerade einmal 25, als sie die Sportwelt mit ihrem Rücktritt schockt. Für viele kommt der Rückzug überraschend. „Heute bin ich an dem Punkt, an dem ich nicht weiß, was genau ich mir für ein Ziel vornehmen sollte, geschweige denn, ob es mir überhaupt wieder gelingen könnte“, schreibt sie damals. Es fehle ihr an Zielen, „die einem alles bedeuten und für die man alles in die Waagschale werfen würde“.
Der Deutsche Skiverband (DSV) bezeichnete Dahlmeier als „eine der herausragendsten Biathletinnen unserer Zeit“. Klarheit und Entschlossenheit hätten sie ausgezeichnet. Sie sei „nicht nur eine großartige Athletin, sondern auch ein echtes Vorbild – gerade für junge Sportlerinnen und Sportler“ gewesen. „Ihr Weg hat vielen gezeigt, was mit Leidenschaft, Disziplin und innerer Überzeugung möglich ist. Sie lebte Spitzenleistung mit Bodenhaftung und vermittelte Werte, die im Sport wie im Leben zählen: Fairness, Respekt, Authentizität und Verantwortungsbewusstsein.“
Schon bei ihrem Rücktritt zeigt sich aber auch: Dahlmeier tickt anders als viele ihrer Konkurrentinnen. Erfolg bedeutet ihr viel, aber nicht alles. Vermutlich wären weitere Medaillen und Triumphe möglich gewesen. Sie entscheidet sich dagegen. Auch, weil sie nicht mehr so befreit in der Loipe und am Schießstand agieren kann, wie sie selbst zugibt: „Ich spüre den Druck von außen immer mehr. Ich spüre, dass ich nicht mehr so ganz frei bin.“
Neue Herausforderungen nach der Biathlon-Karriere
Dahlmeier probiert sich fortan unter anderem als Expertin im öffentlich rechtlichen TV, eloquent und immer zu Späßen aufgelegt präsentiert sie sich den Wintersportfans. Wenn es nötig ist, äußert Dahlmeier auch Kritik an dem Sport, den sie selbst so geprägt hat. Und sie findet neue Herausforderungen: Sie beginnt ein Studium (Sportwissenschaft), macht Trainerscheine und engagiert sich ehrenamtlich. Auch der Naturschutz liegt ihr am Herzen. 2021 wird sie mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.
Doch die Welt, in der sie sich am wohlsten fühlt, während all der Zeit, ist die hoch oben. Dahlmeier macht Bergläufe, ist in der Trail-Running-Szene aktiv – und besteigt die höchsten Gipfel in Europa und auf der ganzen Welt. Die Oberbayerin ist geprüfte Bergführerin und Skiführerin und war als aktives Mitglied der Bergwacht im Einsatz, das Metier kennt sie. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (80) bezeichnete sie als „ausgezeichnete Alpinistin“.
Erst im vergangenen November bestieg sie den Himalaya-Gipfel Ama Dablam in Nepal und stellte dabei einen Geschwindigkeitsrekord auf. Zu ihrem Rekordaufstieg schrieb sie auf ihrem Instagram-Kanal: „Es war in jeder Hinsicht ein unglaublicher Tag, ich konnte mich völlig dem Weg und der Schönheit der Landschaft hingeben. Aber es ging mir hier nicht um Rekorde, sondern um das, was ich am meisten liebe – klettern, beobachten und mich mit jedem Schritt lebendig fühlen.“
Berge waren ihr Zufluchtsort, sie selbst bezeichnete sie als „Kraftort“, auf Tausenden Metern Höhe könne sie am besten „abschalten“. Nach ihrer Biathlon-Karriere sagte Dahlmeier einmal: „Wer mich kennt, weiß, mir wird schnell langweilig.“ Den Kick holte sie sich in mehreren Tausend Metern, wo die Luft wortwörtlich dünn wird. Dort oben, wo jeder Fehltritt einer zu viel sein kann, wo jeder Schritt volle Konzentration erfordert, wo man mit dem Berg und sich selbst kämpft, verbrachte Dahlmeier viele Stunden und Tage.
Das Risiko, das sie einging, kannte sie. Ihr Ex-Freund (29) starb Anfang Januar 2022 bei einem Lawinenunglück in Patagonien. Im August 2014 stürzte sie beim Klettern im Zugspitzmassiv ab, als ein Stück Stein, an dem sie sich festhielt, herausbrach. Den Vorfall schilderte sie in ihrem Buch „Wenn ich was mach, mach ich’s gscheid“. Das Sicherungsseil rettete sie, sie erlitt einen Knöchelbruch, einen Bänderriss im Sprunggelenk sowie mehrere Prellungen. Die Bergrettung holte sie. Später sagte sie, ihr komme es vor, „als hätte ich in sehr kurzer Zeit fast alles erlebt“. Und sie lernt eindrücklich die Lektion, dass man nicht „unsterblich“ ist: „Wenn du beim Klettern einen Fehler machst, kannst du ums Leben kommen.“
Steinschlag auf 5700 Metern Höhe
An diesem Montag wurde die Ex-Biathletin am Laila Peak im pakistanischen Hochgebirge auf rund 5700 Metern Höhe von einem Steinschlag getroffen. Ihre Seilpartnerin stieg ab und holte Hilfe. Die Rettungsaktion gestaltete sich schwierig, bei einem Hubschrauberüberflug habe es „kein Lebenszeichen“ gegeben, hieß es. Wegen andauernder Steinschlaggefahr konnte niemand zu ihr vordringen. Viele ehemalige Weggefährten hofften und bangten dennoch. Diese Hoffnung war umsonst, wie sich am Mittwoch zeigte. Dahlmeiers eigener Instagram-Account verkündete die Todesnachricht: „Rettungsaktion eingestellt: Laura Dahlmeier tödlich verunglückt“, hieß es schlicht. Wie die Familie mitteilte, war es Dahlmeiers „ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille“, in solch einem schlimmen Fall den Leichnam am Berg zurückzulassen.
Laura Dahlmeier, die mehrmals in ihrem Leben Entscheidungen traf, die für andere auf den ersten Blick nicht logisch waren, die Wege ging, die andere nicht gegangen wären, ist dort gestorben, wo sie sich am lebendigsten fühlte – viel zu früh, mit nur 31 Jahren.