Rainer Lorz von den Stuttgarter Kickers

„Die Mannschaft wird auch dieses Drama überwinden“

Rückschläge wegzustecken, ist Präsident Rainer Lorz in seiner Amtszeit bei den Stuttgarter Kickers gewohnt. Nach dem verpassten Direktaufstieg spricht er über die Chancen in der Aufstiegsrunde und was für den Verein auf dem Spiel steht.

Präsident Rainer Lorz (li., neben Sportdirektor Marc Stein) hofft auf den Sprung in die Regionalliga über die Aufstiegsspiele.

© Baumann/Hansjürgen Britsch

Präsident Rainer Lorz (li., neben Sportdirektor Marc Stein) hofft auf den Sprung in die Regionalliga über die Aufstiegsspiele.

Von Jürgen Frey

Ob das Drama von Dorfmerkingen verarbeitet ist, wird sich an diesem Mittwoch zeigen. Dann empfängt Fußball-Oberligist Stuttgarter Kickers um 19 Uhr den Hessenliga-Zweiten Eintracht Stadtallendorf zum ersten Spiel der Aufstiegsrunde. Der Präsident Rainer Lorz sagt, was ihn optimistisch stimmt.

Herr Lorz, von Wolke sieben ins Tal der Tränen, wie haben Sie das dramatische Saisonfinale verarbeitet?

Das war schon ein Schlag ins Kontor, erst 30 Sekunden irrsinnige Freude, dann die Schocknachricht, dass der SGV Freiberg doch noch in Nöttingen gewonnen hat. Das steckt man nicht so leicht weg. Aber jetzt steht die nächste Aufgabe an, und wir blicken nach einem Tag der Enttäuschung optimistisch nach vorne.

Warum war es denn nicht möglich, eine verlässliche Ergebnis-Information aus Nöttingen zu bekommen?

Wir hatten Kontakt zu verschiedenen Personen dort auf der Tribüne, auch vom FC Nöttingen. Als ein Freiberger Eckball in der Nachspielzeit abgewehrt wurde, gingen alle davon aus, dass Schluss ist. Von unseren Informanten kam auch diese Nachricht, die von anderen bestätigt wurde. Noch etwas kam hinzu.

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Bitte.

Das Problem war, dass in Dorfmerkingen die Internet- und Handyverbindung und das uns vom Heimverein zur Verfügung gestellte WLAN gerade am Ende immer wieder zusammengebrochen sind und die Meldung, dass das Spiel doch noch läuft, mit Verzögerung und erst nach der ersten Meldung von der Beendigung des Spiels hereinkam. Das alles ist natürlich sehr ärgerlich, weil dadurch die Enttäuschung bei uns später so groß war.

„Mannschaft ist stabil“

Wie schüttelt man das aus den Kleidern?

Einfach ist das nicht, aber die Spieler bekommen das hin. Wir haben nach der Rückkehr aus Dorfmerkingen in der Kabine zusammen gesessen – Pizza gegessen, was getrunken. Wir mussten nach diesem Gefühlschaos einfach alle runterkommen. Aber ich bin sicher: Die Mannschaft ist stabil, auch mental. Sie hat in den vergangenen Wochen unter Druck immer geliefert, wenn sie liefern musste. Sie wird auch dieses Drama überwinden.

Welche Lehren ziehen Sie?

Einfach nicht auf andere angewiesen zu sein. Und wir sind in den beiden Aufstiegsspielen zum Glück nur auf uns angewiesen. Wir haben alles selbst in der Hand.

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Der SGV Freiberg hat es auf direktem Weg geschafft. Bereuen Sie im Nachhinein, Ihrem beurlaubten Ex-Trainer die Freigabe gegeben zu haben?

Man hat sich das seinerzeit im April schon überlegt und dann die Entscheidung getroffen, den Vertrag aufzulösen. Wenn nicht, wäre ein anderer Trainer dieser Topmannschaft in Freiberg geworden. Ob es dann anders gelaufen wäre, weiß keiner.

Ärgert es Sie denn, dass ein Verein wie Freiberg mit deutlich schlechterer Infrastruktur, viel geringerem Zuschauerinteresse und minimaler Fankultur den Kickers den direkten Aufstieg weggeschnappt hat?

Das bringt ja nichts. Sportlich haben es sich die Freiberger verdient, das steht außer Frage, wie auch wir es verdient gehabt hätten. Freiberg hat jedenfalls eine sehr starke Mannschaft.

Wo liegt aus Ihrer Sicht die Perspektive des Vereins?

Das müssen die Freiberger beurteilen. Auch wenn es wehtut: Wir müssen das jetzt so akzeptieren, wie es ist – und unsere Hausaufgaben machen.

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Die erste heißt Eintracht Stadtallendorf. Wie sehen Sie die Chancen?

Bei dem Modus mit zwei Spielen hat die erste Partie enorme Bedeutung. Mit einem Sieg können wir die anderen Teams unter Druck setzen und sind zudem am dritten und letzten Aufstiegsrunden-Spieltag nicht in der Zuschauerrolle.

„Spieler werden alles raushauen“

2019 scheiterten die Blauen mit zwei 1:1-Unentschieden gegen Röchling Völklingen und bei Bayern Alzenau. Welche Vergleiche lassen sich ziehen?

Ich denke, unser aktuelles Team ist stabiler, das zeigt auch die Bilanz mit 29 Siegen und insgesamt 91 Punkten. Das ist eine Topleistung. Die Spieler haben jetzt zwar 38 Punktspiele plus die Auftritte im Pokal in den Knochen, doch sie werden noch einmal alles raushauen.

Wenn es trotzdem nicht zum Aufstieg reicht: Was würde eine fünfte Saison in der Oberliga für die Kickers bedeuten?

Dass wir den nächsten Anlauf nehmen müssten. Wir werden eine sehr gute Mannschaft haben, die in der Lage ist, wieder ganz vorne mitzuspielen. Die Neuzugänge sind für beide Ligen geholt worden. Die Spieler sehen, dass sie bei uns ihre Ziele eher verwirklichen können – in einem besonderen Flair und in einem professionellen Umfeld. Geld ist nicht immer alles.

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Aber unabdingbar, wenn die Kickers ihre angepeilte weitere Professionalisierung vorantreiben möchten.

Für Oberliga-Verhältnisse sind unsere Bedingungen top, da müssen wir die Kirche im Dorf lassen. Dennoch wollen wir uns mit großer Intensität weiter professionalisieren. Zum Beispiel in den Bereichen physiotherapeutische Betreuung oder Trainingsintensität können wir uns verbessern und uns einen Vorsprung erarbeiten.

Lob für den Trainer

Aber der Kickers-Trainer Mustafa Ünal darf in der neuen Saison seine 15 Wochenstunden an der Schule als Lehrer, wie es vertraglich vereinbart ist, auch weiterhin halten?

Ja, natürlich, da finden wir auf jeden Fall eine Lösung.

Wie sind Sie mit seiner Arbeit zufrieden?

Schon allein die nackten Zahlen sprechen für sich. Musti hat in den 32 Spielen unter seiner Leitung 81 Punkte geholt, das ist eine Topausbeute und zeigt, welch hervorragende Arbeit er in den zehn Monaten für die Kickers geleistet hat. Wir wollten noch mehr Konsequenz und Stringenz in der Mannschaftsführung haben, auch das hat er zu 100 Prozent erfüllt.

Wie fällt Ihr Zwischenfazit beim neuen Sportdirektor aus?

Die Kompetenz von Marc Stein merkt man in jedem Augenblick. Er verwirklicht das, was wir von ihm erwartet haben. Wir sind auf den entscheidenden Positionen hervorragend aufgestellt.

Stein ist ein anderer Typ als sein Vorgänger...

...führt den Weg aber fort. Marc Stein ist eher der analytische Typ, Lutz Siebrecht eher einer, der aus sich herausgeht und die Leute stärker mitreißt. Das war wichtig als Kontrapunkt zu Ramon Gehrmann. Jetzt sitzt bei uns ein anderer, strengerer Trainertyp auf der Bank. Die Gegensätzlichkeit macht ein Trainer/Sportdirektor-Duo aus, so können sie sich optimal ergänzen.

Was gönnt sich der Präsident, wenn es mit dem Aufstieg klappt?

Dann gehe ich erst einmal in den Urlaub. Aber vor allem die Mannschaft hat sich den verdient. Was sie in dieser Saison mit den vielen englischen Wochen abgerissen hat, davor ziehe ich den Hut.

Das Gespräch führte Jürgen Frey.

Rainer Lorz

Vita Rainer Lorz wurde am 14. Dezember 1962 in Darmstadt geboren. Er ist in Berlin aufgewachsen und lebt seit 1995 in Stuttgart. Lorz spielte Fußball beim FV Wannsee Berlin und für die DJK Konstanz. 2005 kam er in den Aufsichtsrat der Kickers, seit 2010 ist er Präsident. Er ist Anwalt in Degerloch und Honorarprofessor an der Universität Stuttgart.

Privates Lorz ist verheiratet mit Mirjam. Hobbys: Golf und Literatur. (jüf)

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Erstellt:
7. Juni 2022, 14:32 Uhr
Aktualisiert:
7. Juni 2022, 15:24 Uhr

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