„Die TSG Backnang ist bekannt für ihre sehr gute Nachwuchsarbeit“

Interview Die frühere deutsche Spitzenturnerin Kim Bui ist begeistert von den Mädchen und Frauen, die mit ihr ein dreitägiges Trainingscamp in Backnang absolvieren. Die 34-Jährige lobt die Rolle des Vereins als Talentschmiede und verrät, welche Schwerpunkte sie selbst derzeit setzt.

Solche Saltos sorgen bei Kim Bui beim TSG-Trainingscamp für gute Laune. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Solche Saltos sorgen bei Kim Bui beim TSG-Trainingscamp für gute Laune. Foto: Alexander Becher

Sie haben ein dreitägiges Trainingscamp mit den TSG-Turnerinnen absolviert und waren jeden Tag fünf Stunden in der Katharinenplaisirhalle. Machen Sie das auch bei anderen Vereinen?

Ja, ich mache das auch bei anderen Vereinen. Mal bin ich mehr unterwegs, mal weniger wie zuletzt in den Sommerferien – nun ziehen die Termine wieder an. Man kann mich für solche Turncamps buchen. Es gibt verschiedene Pakete und es wird individuell an die Wünsche angepasst. Ich besuche allerdings nicht nur Turnvereine, sondern habe einen bunten Blumenstrauß im Angebot.

Wie kam der Kontakt zur TSG zustande?

Diese Verbindung ist eng – durch Thomas Andergassen, mit dem ich einst geturnt habe, durch Melanie Andergassen und durch Claudia Krimmer, die lange beim Schwäbischen Turnerbund und beim MTV Stuttgart war. Sie kennen mich alle schon sehr lange. So kam es wohl zur Idee der TSG, mich zu fragen, ob ich bei ihrem Turncamp mitwirken kann. Ich habe umgehend zugesagt.

Welchen Eindruck machten die Regionalliga-Turnerinnen, die nach der Hälfte der Saison Vierter sind und im November noch zwei Wettkämpfe haben?

Sie waren sehr motiviert und es war ein guter Auftakt nach den Sommerferien, in denen es alle langsamer angehen lassen. Was die Regionalliga betrifft, habe ich zugegebenermaßen nicht so den Überblick. Ich hoffe aber natürlich, dass sie ihren Erwartungen gerecht werden und ihre Ziele erreichen.

Sie konnten sich auch ein Bild von den jüngeren Mädchen machen. Ist eines dabei, der Sie eine erfolgreiche Karriere nach Ihrem Vorbild zutrauen?

Ich war begeistert von den vielen kleinen, jungen Turnerinnen. Die TSG ist bekannt für ihre sehr gute Nachwuchsarbeit und hat beispielsweise schon Emelie Petz hervorgebracht. Das gibt es immer wieder, aber auf dem Weg dahin passiert noch sehr viel und es hängt von etlichen Faktoren ab, ob man oben ankommt. Daher kann man immer nur sagen, ob Kinder talentiert sind. Es waren definitiv Mädels dabei, auf die das zutrifft und die das nötige Bewegungsgefühl haben.

Welche Qualitäten braucht es, um in die Bundesliga und vielleicht sogar auf die internationale Bühne zu kommen?

An vorderster Stelle stehen auf jeden Fall der Spaß und die Leidenschaft fürs Turnen. Wer das nicht mitbringt, kommt nicht weit. Darüber hinaus sind es wieder viele Punkte, die eine Rolle spielen. Dazu zählen das Talent, die Motivation und man sollte sich immer wieder fragen, was einen antreibt. Zudem müssen die Bedingungen drumherum wie die Förderung und die Trainer passen.

Sich ein bisschen quälen zu können gehört aber auch dazu, oder nicht?

Natürlich, aber das ist glaube ich bei jedem Leistungssport so. Du musst an deine Grenzen und auch mal darüber hinaus gehen. Es gilt, auch einmal aus einem Tief herauszukommen oder eine Verletzung wegzustecken. Man muss auch mal durch ein Tal gehen, um am Ende ganz oben anzukommen.

Welche Rolle spielen Vereine wie die TSG bei der Entwicklung von Talenten?

Sie sind total wichtig. Vereine, die eine derart starke Nachwuchsarbeit leisten und immer wieder Talente finden und entwickeln, ehe sie zum Beispiel den Schritt ans Kunstturnforum in Stuttgart machen, braucht es. Das Engagement, das hier gezeigt wird, habe ich aber auch noch nicht oft gesehen. Es herrscht ein großer familiärer Zusammenhalt und es geht alles Hand in Hand.

Emelie Petz ist das TSG-Aushängeschild und galt als deutsches Toptalent. Trauen Sie ihr nach der langen Verletzungspause noch einmal allerhöchstes Niveau zu?

Sie hatte eine Verletzung, hat sich durch die Situation durchgekämpft und sich persönlich weiterentwickelt. Es braucht aber jedes Mal noch mehr Kraft und Energie, um sich nach einer Verletzung zurückzukämpfen. Emelie hat oft gezeigt, dass sie das kann und ich hoffe für sie, dass sie mal verletzungsfrei bleibt. Gesund und fit zu sein ist die Grundlage – alles andere kommt dann schon.

Elisabeth Seitz hat kürzlich einen Achillessehnenriss erlitten. Was ist für die deutschen Frauen bei der WM in Antwerpen ohne das Aushängeschild drin?

Es tut mir wahnsinnig leid für sie. Ich hatte eine Gänsehaut und mir kamen die Tränen, als ich die Nachricht gehört habe. Es ist für Eli in diesem Moment das Schlimmste, was passieren kann, aber es ist auch fürs ganze deutsche Frauenturnen und den Kampf um das Ticket für den Teamwettbewerb bei den Olympischen Spielen ein schwerer Rückschlag. Die Weltmeisterschaft ist jetzt sicher kein einfacher Spaziergang durch den Park.

Haben Sie trotzdem noch eine gewisse Resthoffnung auf die Olympiaqualifikation, für die das deutsche Team mindestens WM-Zwölfter werden muss?

Definitiv, aber es muss einiges passen. Möglich ist es, aber es ist durch das Aus für Eli Seitz natürlich nicht einfacher geworden.

Sie selbst haben vor einem Jahr aufgehört. Vermissen Sie das Spitzenturnen?

Nein, tatsächlich nicht. Ich kann jetzt viele andere tolle neue Dinge erleben. Vorher war das ganze Jahr durch den Wettkampfkalender bestimmt. Mittlerweile habe ich endlich die Selbstbestimmtheit über meine Zeit und bin dadurch nicht mehr so eingeschränkt.

Wie bewerten Sie Ihre Karriere?

Ich bin absolut zufrieden und glücklich, wie es gelaufen ist. Ich bin mit mir total im Reinen. Ein schöneres Ende hätte es mit Bronze mit der Mannschaft bei der Europameisterschaft in München und Platz fünf im Stufenbarrenfinale nicht geben können. Ich habe eine Ehrenrunde gedreht und Standing Ovations von 10000 Fans in der Olympiahalle bekommen – was will man mehr.

Einst selbst an Bulimie leidend klären Sie über Essstörungen auf. Widmen Sie diesem Thema derzeit die meiste Zeit?

Überhaupt nicht, da sind wir wieder bei dem schon erwähnten bunten Blumenstrauß. Ich habe meine Biografie veröffentlicht, auch da ist die Bulimie nur ein Thema und nicht das Thema. Ich spreche viele Missstände an, die für viele aber nicht greifbar sind. Das ist bei den Essstörungen anders, daher wird es oft aufgegriffen. Wenn ich dazu beitragen kann, so ein Tabuthema zu enttabuisieren, mache ich das. Ich bin aber viel mehr. Ich beende im Oktober meine Coaching-Ausbildung, bin dann systemischer Coach. Ich gehe in Vereine, trage das Turnen nach außen, halte Vorträge, mache Workshops, moderiere.

Sie haben Ihre Masterarbeit in Technischer Biologie in der Krebsimmuntherapie erstellt. Sehen Sie sich im Labor?

Das ist mit der Masterarbeit vorerst abgeschlossen. Ich hätte in diesem Bereich weitermachen können, habe mich aber selbstständig gemacht. Ich merke derzeit einfach, dass meine Leidenschaft woanders liegt.

Sind Trainingscamps wie in Backnang nur eine Zwischenstation auf dem Weg, irgendwann bei einem Klub oder beim Verband als Trainerin zu arbeiten?

Nein, denn mein Coaching geht über den Sport hinaus. Es ist Beratung, kein Sporttraining. Für mich sind Camps wie in Backnang nicht unbedingt der Weg zur Trainerin, sondern ein Weg, um mein Wissen weiterzugeben. Bislang will ich keine klassische Trainerkarriere einschlagen, weil ich im Moment nicht schon wieder die ständige Taktung durch Training und Wettkämpfe haben will. Aber wer weiß, was in der Zukunft ist.

Das Gespräch führte Steffen Grün.

Zur Person

Sportlerin Am 20. Januar 1989 in der Universitätsstadt am Neckar geboren, beginnt Kim Bui als Vierjährige bei der TSG Tübingen mit dem Turnen. Es ist der Anfang einer Karriere, in der sie an drei Olympischen Spielen teilnimmt und bei acht Weltmeisterschaften einmal Sechste mit den deutschen Frauen wird. Bei zwölf EM-Starts springen zwei Bronzemedaillen heraus: 2011 am Stufenbarren, 2022 mit dem Team. 13 deutsche Meisterschaften als Einzelturnerin und 14 nationale Mannschaftstitel kommen dazu.

Autorin Am 4. März 2023 erschien Kim Buis Biografie: „45 Sekunden: Meine Leidenschaft fürs Turnen – und warum es nicht alles im Leben ist“. Das Buch schaffte es in der ersten Woche direkt in die Spiegel-Bestsellerliste.

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Erstellt:
9. September 2023, 11:30 Uhr

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