Die Zeit der Psychospielchen

Die Meisterschaft zwischen Bayern und dem BVB ist offen

FC Bayern oder Borussia Dortmund – der Meister steht zum Glück erst nach dem letzten Spieltag fest. Auch wenn die Chancen des BVB gering sind: Sicher können sich die Münchner nicht sein.

Stuttgart Ein Punkt noch – wie lächerlich! Nur dieser winzige Zähler aus dem Heimspiel am Samstag gegen Eintracht Frankfurt fehlt den Bayern zur Meisterschaft. Was das ist? Nichts. Sie können den Sekt schon kalt stellen. Gefühlt ist der 29. Titel der Bayern nichts weiter als Formsache, ein Klacks und nichts, weswegen in München plötzlich Unruhe aufkommen müsste.

An Selbstbewusstsein fehlt es den Dauersiegern von der Isar, die vor ihrem siebten Titel in Folge stehen, ohnehin nicht. Und wenn der Patron Uli Hoeneß höchstpersönlich keinen Anlass gibt, jetzt mal angesichts der Lage kurz ins Grübeln zu geraten oder auch nur einen Hauch von Selbstzweifel aufkommen zu lassen, dann ist die Meisterschaft doch schon eingetütet. „Ich werde sechs Tage oder sieben Tage wunderbar schlafen, weil ich weiß: wenn sie so spielen wie heute, so fighten, sich so reinhauen, dann sind wir am Samstag deutscher Meister“, sagt Hoeneß. Das ist mehr als eine Aussage. Das sind die Sätze, an die seine Münchner Gefolgschaft jetzt vermutlich glaubt. Unverrückbar. In Stein gemeißelt. Eine Art Evangelium für den Schlussspurt der Saison.

Die Realität, sie könnte zum Spielverderber werden, denn eine Partie dauert banalerweise 90 Minuten, und der Ball ist bekanntermaßen rund. Warum sollten denn die Frankfurter nicht in München gewinnen? Sie haben in der Europa League einen blendenden Eindruck gemacht, zeigen erfrischenden Offensivgeist – außerdem geht es ja noch um das Startrecht in der Champions League. Nun muss Dortmund natürlich erst einmal in Gladbach gewinnen, auch das spricht tatsächlich ein bisserl für die Bayern im Fernduell am letzten Spieltag. Doch eine gewisse Unsicherheit, man könnte auch von schlimmsten Befürchtungen sprechen, sie ist spürbar.

Der Clubvorstand Karl-Heinz Rummenigge jedenfalls wollte dem Trainer Niko Kovac nach dem 0:0 in Leipzig, das den Bayern einen Strich durch die vorzeitige Meisterfeier machte, zur Aufrechterhaltung des Spannungsbogens keine Jobgarantie aussprechen. Denn Lob, das auch zu Bequemlichkeit führen könnte, „das ist bei Bayern nicht der richtige Weg“, meinte Rummenigge. Hasan Salihamidzic, der in seiner Funktion als Sportdirektor natürlich auch immer mal wieder etwas zu sagen hat, rückte im Hinblick auf die Trainerfrage derweil von Treueschwüren – vorsichtshalber – ab. „Der Trainer hat die volle Unterstützung“, sagte Salihamidzic zwar im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF, aber: „In diesen Zeiten, in denen wir vieles erreichen und zwei Titel gewinnen können, sind wir gut beraten, unsere Energie nicht auf Personalüberlegungen zu verlieren“, sagt der Bosnier. Wie also sieht die Prognose im Hinblick auf die Zukunft von Kovac aus? „Wir werden sehen.“ Man muss kein Fußballexperte sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass für Kovac bei einer vergeigten Meisterschaft und einer Finalniederlage im Pokal gegen RB Leipzig Feierabend sein müsste in München.

Die stille Nervosität wird auch andernorts spürbar. Thiago hat am Sonntagmorgen schon wieder individuell trainiert. Seine in Leipzig aufkommenden Knieschmerzen waren doch nicht so schlimm wie befürchtet. Plötzlich wird im stark besetzten Korrektiv ein Einzelspieler wichtig. „Wenn wir Meister werden, wird es eine Zwei plus. Wenn nicht, war das eine Scheißsaison“, sagt Salihamidzic.

Von dieser möglichen Verwundbarkeit der Bayern hat auch Hans-Joachim Watzke Wind bekommen. Stiller war es um den Dortmunder Geschäftsführer geworden, als seine Gelbhemden den einst enormen Vorsprung auf die Bayern peu à peu verspielten und am Ende wieder in die Rolle der Jäger schlüpfen mussten. Nun aber ist bis zum letzten Spieltag alles wieder offen. Aufgrund der um 17 Treffer deutlich schlechteren Tordifferenz des BVB reicht den Bayern zwar dieser eine Punkt gegen die Eintracht. Doch dass nichts unmöglich ist im Fußball, das weiß auch Watzke. Und so schickt der Mann, der wie Hoeneß ein Meister der Psychospielchen ist, genüsslich seine Botschaft nach München: „Der Druck wandert jetzt weiter nach Süden. Es gibt keinen Druck mehr für uns – das ist eine Phantomdiskussion.“

Geht es nach Watzke, könnten die Bayern jetzt „alles verlieren“ und die Dortmunder „alles gewinnen“. Diese Aussage rief erneut den eifrigen Salihamidzic auf den Plan, der das bayerische Selbstbewusstsein im Gegensatz zur Vereins-Ikone Hoeneß eher angestrengt präsentiert. „Sie können nur die Meisterschaft gewinnen, im Pokal sind sie schon raus“, sagte Salihamidzic und schoss damit ein Pfeilchen zurück nach Dortmund.

Der BVB mühte sich derweil beim 3:2-Heimsieg gegen die Düsseldorfer und erhielt sich damit die kleine, aber feine Meisterschaftschance, die es noch gibt. „Wir glauben noch fest daran, aber dafür müssen die Bayern Federn lassen“, sagt der Lizenzspielerchef Sebastian Kehl. Etwas skeptischere Töne gibt es auch. „Es ist nicht mehr in unseren Händen. Ich sehe die Chance ganz klein“, sagt Mittelfeldspieler Thomas Delaney.

Doch die Hoffnung, sie stirbt zuletzt. Und was im Fußball passieren kann, das haben zuletzt ja die wunderbaren Spiele im Europapokal gezeigt: Alles!

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Erstellt:
13. Mai 2019, 02:04 Uhr

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