Ralf Vollmer fiebert mit Stuttgarter Kickers

„Dieser Aufstieg wäre wichtiger als unserer damals in die Bundesliga“

Ralf Vollmer hat die großen Zeiten der Stuttgarter Kickers in der Bundesliga und zweiten Liga als Torjäger miterlebt und fiebert immer noch mit den Blauen mit. Der 59-Jährige sagt, warum die Fans derzeit strömen und die Kommerzialisierung im Fußball eine Chance für den Verein ist.

Ex-Profi Ralf Vollmer ist den Kickers eng verbunden – hier trägt er den Dress der Blauen in einem Spiel der Traditionsmannschaft.

© Baumann/Hansjürgen Britsch

Ex-Profi Ralf Vollmer ist den Kickers eng verbunden – hier trägt er den Dress der Blauen in einem Spiel der Traditionsmannschaft.

Von Jürgen Frey

Am kommenden Dienstag (19 Uhr/Moselstadion) geht es für den Fußball-Oberligisten Stuttgarter Kickers im Aufstiegsspiel bei Eintracht Trier um alles oder nichts. Die Vereins-Legende Ralf Vollmer freut sich über die positive Entwicklung bei den Blauen und ist vom Sprung in die Regionalliga überzeugt. Er blickt im Interview aber auch über den Tellerrand hinaus.

Herr Vollmer, wie intensiv verfolgen Sie den Kampf der Kickers um den Aufstieg?

Sehr intensiv. Manchmal schaue ich mir die Spiele im livestream zu Hause auf dem Sofa an, oftmals bin ich bei den Heim- Auswärtsspielen im Stadion. Nach Trier plane ich mit meinem früheren Mitspieler Wolfgang Wolf zu fahren.

Wie schätzen Sie die Ausgangslage ein?

Die Ausgangslage ist durch den klaren 3:0-Sieg gegen Eintracht Stadtallendorf glänzend, aber die Mannschaft muss eben auch noch nächsten Dienstag bei Eintracht Trier bestehen.

Zweifeln Sie daran?

Nein, das wird im Hexenkessel Moselstadion zwar ein völlig anderes Spiel als gegen Stadtallendorf, aber wie die Mannschaft nun schon seit Wochen auftritt, macht mir großen Mut. Sie spielt stabil, körperbetont, aggressiv und effektiv. Sie zeigt Teamgeist, Zusammenhalt und eine Wahnsinns-Moral. In diesem Zusammenhang muss ich auch den ehemaligen Sportlichen Leiter Lutz Siebrecht loben, der Spielertypen verpflichtet hat, die diese Tugenden verkörpern.

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Selbst das tragische Ende in Dorfmerkingen hat die Mannschaft weggesteckt.

Und das war keine Selbstverständlichkeit. Das war ja noch dramatischer als unsere Bundesligaabstiege 1989 und 1992. Es war so viel Pech dabei in den vergangenen Jahren, der ganze Verein hätte es einfach mal wieder verdient, Glück zu haben.

Ende des Kickers-Fluchs?

Und wenn nicht, wenn die nur im Elfmeterschießen des WFV-Pokal-Finales gegen den SSV Ulm 1846 kurz unterbrochene Konstante Misserfolg der vergangenen Jahre doch wieder greift?

Ich will gar nicht dran denken, wenn dieser Kickers-Fluch anhalten würde...Aber selbst dann: ich glaube, man würde auch ein fünftes Jahr Oberliga packen.

Warum?

Weil die Fans mit dem Verein, mit der Mannschaft so stark zusammengewachsen sind. Das zeigen die immer mehr steigenden Zuschauerzahlen im Gazi-Stadion. Die Leute kommen auch wegen der Atmosphäre. Auf der Waldau finden sie viele Dinge, die sie im modernen, höherklassigen Fußball vermissen.

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Was meinen Sie konkret?

Es gibt Bier aus der Stadt, die Stadionwurst vom Metzger nebenan, man kann mit Hartgeld zahlen und braucht keine Arena-Card. Unter solchen Voraussetzungen schaut man sich auch Spiele an, in denen vielleicht nicht die perfekten Techniker am Ball sind, aber Fußballer, die Gras fressen. Diese Überkommerzialisierung im Profifußball geht vielen auf den Keks. Nehmen Sie den vorletzten Spieltag der Bundesliga: Seit Menschengedenken musste der zeitgleich stattfinden. Plötzlich nicht mehr. Warum? Weil die TV-Anstalten noch mehr Geld wollen, weil die Liga noch mehr Kohle machen möchte. Ich bin kein Fußball-Romantiker, aber immer mehr Werte gehen doch verloren.

Impulse durch Blauen Kreis

Eine Chance für die Kickers?

Eine Riesenchance. Denn es gibt ein nicht zu kleines Klientel, das diese Werte vermisst und bei den Blauen wiederfindet. Ich versuche dabei auch ein klein wenig mitzuhelfen, dass die Marke Kickers sogar noch mehr punkten kann.

In welcher Form?

Ich bin Teil des sogenannten Blauen Kreises, dem Fan-Club-Vertreter angehören oder auch Aufsichtsratsmitglieder wie Steffen Müller, auch Christian Steinle, der Vorsitzende des Kontrollgremiums, war schon als Gast dabei. Wir treffen uns alle 14 Tage, um mit möglichst kreativen Ideen die Kickers weiter nach vorne zu bringen, losgelöst von den Ergebnissen auf dem Rasen.

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Können Sie Beispiele nennen?

Wir wollen Testspiele in der Sommer- oder Wintervorbereitung wieder verstärkt in und um Stuttgart absolvieren, in Verbindung mit einer Hocketse und mit einem Vorspiel der Jugend. Wir wollen die Kickers-Familie zum Anfassen präsentieren. Das bringt Synergieeffekte. Und noch eines finde ich sehr bemerkenswert.

Bitte!

Zum einen ist die Verbundenheit der Zuschauer mit den Kickers gewachsen. Zu meiner Zeit blieben die Fans sofort weg, wenn es nicht lief. Das ist jetzt anders. Zum anderen merke ich wie sehr die Blauen selbst in der fünften Liga ehemalige Spieler interessieren. Jürgen Klinsmann sendet eine Grußbotschaft aus Kalifornien, Karsten Neitzel informiert sich aus Malaysia regelmäßig bei mir. Und Alexander Blessin, Trainer des FC Genua in Italien, fährt zum Spiel nach Dorfmerkingen und war auch gegen Stadtallendorf im Stadion. Wo gibt es so etwas?

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Jetzt muss es nur noch mit dem Aufstieg klappen.

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich würde mich über diesen Aufstieg mehr freuen, als über unseren Sprung in die Bundesliga 1988 und 1991.

Das ist nicht Ihr Ernst?

Doch, weil dieser Aufstieg für den Verein nach vier Jahren Oberliga wichtiger wäre, als unsere Aufstiege damals in die Bundesliga. Ich bin mir sicher, es würden alle Dämme brechen.

Zur Person

Vita Ralf Vollmer wurde am 5. Juli 1962 in Heilbronn geboren. Er spielte in der Jugend für den SV Jagsthausen und den VfR Heilbronn. Bei den Aktiven für die SG Bad Wimpfen und den FV Lauda, ehe er 1983 zu den Stuttgarter Kickers wechselte Dort blieb der Stürmer bis 1994 und erzielte in 340 Ligaspielen 71 Tore. Danach ließ er seine Karriere beim SC Urbach, dem SV Bonlanden und den SF Stuttgart ausklingen.

Privates Ralf Vollmer wohnt in Hardthausen am Kocher. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Der Versicherungskaufmann nennt als seine Hobbys Familie, Kickers und Fahrrad fahren. (jüf)

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Erstellt:
10. Juni 2022, 09:06 Uhr

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