Dirk der Große

Basketballer Nowitzki hat seine Karriere beendet

In der Nacht auf Mittwoch verkündete der vielleicht größte deutsche Sportler aller Zeiten seinen Rückzug. Warum der einzigartige NBA-Spieler Dirk Nowitzki weit über den Sport hinaus Sympathien erworben hat und zu einem Botschafter Deutschlands in der Welt wurde.

Dallas Über die Leinwand flimmert das Lebenswerk des Dirk Nowitzki und das Publikum im American-Airlines-Center fordert lautstark „One more year“. Noch ein Jahr! Dann schreitet der 2,13 Meter Hüne unter dem tosenden Jubel der Fans ans Mikrofon. Seine Stimme zittert. Es ist der Moment, vor dem sich viele gefürchtet haben. Der Jubel in der Heimspielstätte der Dallas Mavericks ebbt ab, ein kurzer Moment der Stille in der riesigen Arena. Dann spricht Dirk Nowitzki. „Wie manche von Euch vermutet hatten“, beginnt der sichtlich bewegte Würzburger. Dann fallen die Worte, die das Ende bedeuten: „Das war das letzte Heimspiel meiner Karriere.“

Wieder Stille. Für ein paar Sekunden scheint es so, als sei der Halle mit den 20 000 Nowitzki-Jüngern jegliche Energie entzogen worden. Der Überraschungsmoment ist aufseiten des 40-Jährigen. Hatte die Öffentlichkeit doch bis zuletzt darüber spekuliert, ob das „German Wunderkind“ nicht doch noch eine Saison in der nordamerikanischen Profiliga NBA dran hängen würde. Jetzt herrscht Gewissheit. Das deutsche Wunderkind, die Nummer 41 tritt ab.

Mehr als zwei Jahrzehnte, nachdem der damals 19-Jährige über den großen Teich ging, ist Schluss. Eingeweiht in seinen Plan waren nur Trainer Rick Carlisle, Mavericks-Besitzer Mark Cuban sowie seine Familie und Mentor Holger Geschwindner.

Es ist die große Nacht von Dirk Nowitzki. Seine letzte Nacht in Dallas im Trikot seiner Mavs. Die Stadt, die Fans, sie haben sich seit Monaten auf diesen Moment vorbereitet, an dem das Aushängeschild der texanischen Millionenmetropole abtritt. Fans, Mitspieler, Trainer, selbst Reporter tragen in der Nacht auf Mittwoch Shirts mit drei Zahlen, die Nowitzkis Karriere und seinen Stellenwert spiegeln. „41. 21. 1.“ – die Nummer 41 geht nach 21 Jahren bei nur einem Verein als die ewige Nummer eins von Bord. Noch nie hat es ein NBA-Profi länger bei nur einem Verein ausgehalten. Noch nie hat im schnelllebigen Milliardengeschäft des US-Sports ein Spieler eine Heimat gefunden, die 8350 Kilometer vom Elternhaus entfernt ist.

Vor seinen Abschiedsworten hatte Nowitzki für 48 Minuten die Zeit noch einmal zurück gedreht. 30 Punkte in 32 Minuten Spielzeit beim souveränen Heimsieg – wären seine nachlassende Athletik und mehrere Tränenausbrüche während der Partie nicht zu offensichtlich gewesen, man hätte sich in einer Zeitkapsel gewähnt. „Danke an die Phoenix Suns, dass ich noch mal ein paar Körbe werfen durfte“, sagt Nowitzki hinterher in gewohnt lässiger Manier. Es ist diese humorvolle, diese bescheidene Art, die ihn weltweit zu einem der beliebtesten Sportlern seiner Generation aufsteigen ließ.

Den Hype um seine Person nimmt er zwar seit Jahren zur Kenntnis – so richtig etwas damit anfangen, konnte der Würzburger nie. „Ich kann ganz gut Bälle in einen Korb werfen“, sagte er einst über sein außergewöhnliches Talent. „Aber andere Leute können andere Dinge bestimmt besser als ich Basketball. Und für die interessiert sich kein Mensch.“ Sich selbst nicht zu wichtig nehmen, den Teamerfolg über alles andere zu stellen – das sind die Dinge, die ihn neben seinen unglaublichen Fähigkeiten zu einem der größten Basketballer werden ließen. 2,13 Meter ist er groß, aber er begegnete allen Menschen stets auf Augenhöhe. Er verdiente Millionen und schwebte in anderen Sphären, verlor aber nie die Bodenhaftung.

Als die Mavericks 2009 die sicher geglaubte Meisterschaft verspielen, nimmt er es auf seine Kappe. Als es die Verantwortlichen verpassen, die Meistermannschaft von 2011 zusammenzuhalten, will er nicht etwa den Verein verlassen, sondern nimmt über Jahre Gehaltseinbußen in Kauf, um seinem Club die Chance zu geben, wieder eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen. Aufgegangen ist der Plan des Managements nach der Meisterschaft freilich nie – ein öffentliches Klagen Nowitzkis gab es genauso wenig. Stattdessen arbeitet er Jahr für Jahr mit Privattrainer Geschwindner an seinem beinahe perfekten Wurfbild, um auch bei nachlassender Athletik ein Faktor zu bleiben. Immer stand er treu an der Seite von Kumpel und Teambesitzer Mark Cuban, der übrigens noch im November davon ausging, dass Nowitzki für eine weitere Saison zu den Mavericks zurückkehrt.

Falsch gedacht. Sowohl für Nowitzki als auch für die Mavericks beginnt am heutigen Donnerstag eine ganz neue Zeitrechnung. Spuren hinterlassen hat „Dirkules“ über die NBA hinaus. Mit Titeln, mit Rekorden, aber eben auch außerhalb des Spielfeldes. Er ist der erste Europäer, der zum wertvollsten Spieler der Saison (MVP) gewählt wurde, und der erste Spieler vom „alten Kontinent“, der im All-Star-Spiel der NBA zur Startformation gehören durfte. Galten Europäer in den USA bis vor einigen Jahren noch als zu weich und nicht abgebrüht genug, ist es Nowitzkis Verdienst, dass man Luka Doncic, einem20-jährigen Slowenenim Trikot der Mavericks, heute zutraut, einen NBA-Club in eine glorreiche Zukunft zu führen.

Im Allzeit-Punkteranking der Liga liegt der Deutsche auf Rang sechs. Beinahe in Vergessenheit geraten der dritte Platz bei der Basketball-WM 2002 und die Silbermedaille bei der Euro 2005. Jeweils mit deutschen Mannschaften, die ohne ihn nicht konkurrenzfähig gewesen wären. Zudem in einer Phase, in der Länderspiele bei den Verantwortlichen der NBA eher als Hindernis, denn als wertvolle Ergänzung zum Ligaalltag wahrgenommen wurden. Wertvollster Spieler war bei beiden Turnieren natürlich der Franke, der sich als Fahnenträger bei den Spielen 2008 in Peking auch seinen Olympia-Traum erfüllen durfte. Und wer im September 2015 bei Nowitzkis emotionaler Verabschiedung aus der Nationalmannschaft in Berlin dabei war, dürfte heute noch Gänsehaut bekommen. Dass er zudem als einziger Mannschaftssportler der Geschichte, den Titel des Sportler des Jahres verliehen bekam, unterstreicht seinen Stellenwert in der deutschen Heimat.

Nun also endet diese Karriere, die 1998 in San Antonio begann, als sich ein 19-jähriger Zweitligaspieler auf die Zettel der US-amerikanischen Scouts spielte. Bei einem Spiel der angehenden Liga-Neulinge führte er die Weltauswahl gegen die besten US-amerikanischen College-Spieler zum Sieg. 33 Punkte, 14 Rebounds stehen für Nowitzki zu Buche. Ein Rekord, der über ein Jahrzehnt Bestand haben sollte. Sein damaliger Gegner Al Harington sagt: „Einen großen weißen Spieler mit seinen Fähigkeiten hatte von uns noch nie jemand gesehen.“

Bei der Verabschiedung sagt sein langjähriger Trainer Rick Carlisle unter Tränen: „Du spielst das Spiel, wie es gespielt werden sollte.“ Aus „Liebe zum Spiel“, mit dem Selbstverständnis „der bestmögliche Mitspieler zu sein“. Mavericks Teambesitzer Cuban verspricht ihm eine Statue unmittelbar vor dem American-Airlines-Center.

Daneben steht mit Tränen in den Augen Nowitzki. US-amerikanischer Pathos trifft auf die fränkische Bodenständigkeit. Oder wie sein ehemaliger Nationaltrainer Dirk Bauermann unterstreicht: „Er hat gezeigt, dass Weltstar-Sein durchaus zu hundert Prozent damit verbunden sein kann, menschlich geerdet zu bleiben, menschlich trotz größter sportlicher Erfolge die allerhöchste Qualität zu haben.“ Nowitzki sei „ein Leitbild für junge Menschen, Leuchtturm, Orientierungshilfe, das ist schwer mit Worten zu fassen.“ Auch deshalb steht er auf einer Stufe mit Beckenbauer, Graf oder Schumacher.

„The House that Dirk built“ – das Haus, das Dirk aufgebaut hatte. So nennt der Hallensprecher die Heimat der Mavericks, die in der Nacht auf Mittwoch zum letzten Mal auch die Heimat des deutschen Superstars war. Abschließend schnappt sich der viel gepriesene das Mikrofon und sagt: „Was ein unglaublicher Ritt. Es war mir eine Ehre.“

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Erstellt:
11. April 2019, 03:12 Uhr

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