Ein Könner mit den Kugeln

Kai Steinhard von Backnangs Waldheim-Boulern will den Heimvorteil zum Titelgewinn nutzen

Im Schlepptau des Lebensgefährten seiner Mutter betrat Kai Steinhard vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal einen Boule-Platz. Nur zuzuschauen war nicht sein Ding, der Schüler aus Backnang schnappte sich lieber auch ein paar Kugeln. Es machte ihm Spaß, sein Talent zeigte sich schnell. Der 15-Jährige ist schon zweimaliger Landesmeister, bei den Titelkämpfen auf den Heimbahnen im Plattenwald soll heute der dritte Siegerpokal her.

Kai Steinhard ist als Spezialist fürs Legen dafür zuständig, die Metallkugeln möglichst nahe ans Ziel zu werfen oder sie so geschickt zu platzieren, dass die Rivalen Probleme haben. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Kai Steinhard ist als Spezialist fürs Legen dafür zuständig, die Metallkugeln möglichst nahe ans Ziel zu werfen oder sie so geschickt zu platzieren, dass die Rivalen Probleme haben. Foto: T. Sellmaier

Von Steffen Grün

Ein Dorfplatz mit Schatten spendenden Bäumen irgendwo in Frankreich, einige ältere Frauen und Männer mit sonnengegerbter Haut, die gemütlich ein paar Kugeln werfen und zwischendurch am Rotwein nippen und sich mit Käsehäppchen stärken. So weit das Klischee einer typischen Boule-Szenerie, das mit der Realität aber nicht immer etwas zu tun hat.

Schon alleine deshalb nicht, weil sich Pétanque – so die offizielle Bezeichnung für die Sportart, die umgangssprachlich Boule genannt wird – längst weit über die französischen Landesgrenzen hinaus verbreitet hat. Der Deutsche Pétanque-Verband beziffert die Zahl der organisierten Spieler zwischen Kiel und Konstanz auf über 12 500, eine der Anlaufstellen ist die Boule-Abteilung des Waldheimvereins.

Deren Mitglieder trainieren im Plattenwald tatsächlich unter Schatten spendenden Bäumen. Definitionssache ist, was ältere Frauen und Männer sind, sonst wird mit Klischees aufgeräumt. An Trainingsabenden wird konzentriert geübt. Mittendrin: Kai Steinhard, der für die Erste des Vereins in der Regionalliga zu den Kugeln greift und sich auf die Landesmeisterschaft in der Doublette und im Tireur vorbereitet. Er wirkt noch deutlich fixierter aufs Spiel als die Klubkollegen, die nicht direkt vor einem wichtigen Turnier stehen.

Paul Abraham, der Lebensgefährte seiner Mutter, der in der Bundesliga für Horb im Einsatz ist, habe ihn 2013 zum ersten Mal mit auf den Boule-Platz genommen, erinnert sich der 15-Jährige: „Ich habe sofort mitgespielt, es hat mir Spaß gemacht.“ Dass es nicht so leicht ist, wie es im ersten Moment aussieht, die Metallkugeln mit einem Gewicht von 650 bis 800 Gramm und einem Durchmesser von 7,05 bis 8 Zentimetern an der gewünschten Stelle zu platzieren, erkannte Kai Steinhard schnell. Er spürte allerdings auch sein Talent, „ich bin gleich im ersten Jahr deutscher Vizemeister in der Triplette geworden“. Bei den Cadets, also bei den 12- bis 14-Jährigen war das – inzwischen kamen zwei Landesmeistertitel in der Triplette der Juniors dazu, obwohl der mit seiner Familie in Aspach lebende Teenager eigentlich noch bei den Jüngeren hätte mitmischen dürfen.

Das Ziel für die Meisterschaften auf den Heimbahnen ist klar: „Ich will den Titel in der Doublette holen.“ Sein Partner ist Aaron Bales aus Tübingen, der schon bei den Triplette-Triumphen zum Team zählte. Die beiden ergänzen sich gut, weil sie unterschiedliche Stärken einbringen. „Ich sehe mich als Leger stärker“, erklärt Steinhard, der also die Aufgabe hat, die Kugeln möglichst nahe an die Zielkugel aus Holz (oft Schweinchen oder Sau genannt) zu werfen oder sie taktisch so zu platzieren, dass die Rivalen vor Probleme gestellt werden. Mit dem richtigen Schwung ist es längst nicht getan, „man muss die verschiedenen Bahnen lesen können, das hat mit der Platzbeschaffenheit zu tun“. Trocken oder nass, weich oder hart, sandig oder steinig, uneben oder eben, ein eventuelles Gefälle – viele Variablen sind zu beachten. „Ich gehe vorher aufs Ziel zu, schaue mir den Boden an und suche mir einen Donnée aus“, verrät Steinhard, also den Aufschlagspunkt. Seine Trefferquote beim Schießen müsse er dagegen erhöhen. Diesen Job, die noch besser gelegten Kugeln der Kontrahenten anzuvisieren und mit gezielten Schüssen zu entfernen, übernimmt deshalb Bales.

Ob der Lokalmatador im Tireur antritt, ist offen – bereits klar sind seine nächsten Ziele, vor allem beim Saisonhöhepunkt: „Ich will bei der deutschen Jugendmeisterschaft in der Triplette vorne dabei sein.“ 2019 peilt er den Sprung in den deutschen Jugendkader an, mit dem Waldheim-Team soll es der Aufstieg in die Baden-Württemberg-Liga sein. Bei den Fernzielen ist Kai Steinhard vorsichtig, der Übergang zu den Erwachsenen gilt als hohe Hürde. Von den Olympischen Spielen zu träumen, wie es viele Athleten tun, verbietet sich noch. Die Bouler, bisher nur bei den World Games aktiv, haben zwar ihre Aufnahme ab 2024 beantragt, doch die Chancen sind unklar. Dabei würde es optimal passen, denn die Sportwelt trifft sich in sechs Jahren in Paris. Erfüllt sich der Olympiatraum, werden die Bouler die Medaillen sicherlich nicht auf einem Dorfplatz ausspielen, sondern auf Luxusbahnen mitten in der Metropole.

Die Backnanger Waldheim-Bouler richten heute (9.30 bis etwa 20 Uhr) im Plattenwald die Landesmeisterschaften für Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren aus. Etwa 50 Teilnehmer kämpfen im Tireur und in der Doublette in drei verschiedenen Altersklassen um die Titel: Minimes (11 Jahre und jünger), Cadets (12 bis 14) und Juniors (15 bis 17). Zweiter Backnanger Starter neben Kai Steinhard ist David Lindenlaub.

Bezeichnungen, Historie, Spielarten und Regeln Info Pétanque, die offizielle Bezeichnung des Sports, ist in Deutschland nicht sehr geläufig. Benutzt wird eher das französische Wort für Kugel (Boule), zum Beispiel: „Wir gehen Boule spielen.“ Bekannt ist vielen auch das italienische Boccia, wobei das Spiel mit den bunten Dingern am Strand wenig mit echtem Boccia zu tun hat, das mit Holzkugeln nach komplizierten Regeln gespielt wird. Die Pétanque-Regeln sind einfach und deshalb weltweit verbreitet. Das erste Spiel gab es 1907 in La Ciotat, einem Vorort von Marseille. Französische Soldaten und Diplomaten brachten den Sport nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland, Reisen und Städtepartnerschaften taten ihr Übriges. Es gibt drei Spielarten: Triplette, Doublette und Tête-à-Tête (3 gegen 3, 2 gegen 2, 1 gegen 1 – mit 2, 3 und 3 Kugeln pro Spieler). Wer anfängt, wird ausgelost, und darf das Ziel (eine kleine Holzkugel) sowie die erste Metallkugel werfen. Es ist stets gefordert, die eigenen Kugeln näher am Ziel zu platzieren als der Gegner, dessen Exemplare auch mit gezielten Schüssen entfernt werden dürfen. Am Ende gibt es einen Punkt pro Kugel, die näher am Ziel liegt als die beste Kugel des Gegners. Das Team, das als erstes 13 Punkte aufweist, hat gewonnen. Tireur ist ein Schusswettbewerb, bei dem bestimmte Kugeln zu treffen sind, daneben liegende nicht berührt werden dürfen.

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Erstellt:
28. Juli 2018, 06:00 Uhr

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