Ein unbequemer Baumeister

Der neue Sportdirektor des VfB Stuttgart heißt Sven Mislintat – er soll das Team zukunftssicher machen

Personalie - Sven Mislintat hat sich bei Borussia Dortmund und beim FC Arsenal einen exzellenten Ruf erarbeitet. Er verfügt über besondere Qualitäten, wenn es um die Beurteilung von Spielern geht.

Stuttgart Wenn das Erscheinungsbild den Ernst der Lage widerspiegeln sollte, dann hatte Sven Mislintat am Donnerstag das passende Outfit gewählt. Per Flieger war er angereist, in Echterdingen kam er an, kurz danach lief der neue Sportdirektor beim VfB Stuttgart ein – die langen Haare streng nach hinten gebunden, das braune Hemd zugeknöpft bis oben hin. „Unser gemeinsamer Fokus“, ließ er mitteilen, nachdem er einen Vertrag über zwei Jahre unterschrieben hatte, „liegt in den nächsten Wochen auf dem Kampf um den Klassenverbleib.“ Doch allein deshalb ist Sven Mislintat nicht nach Stuttgart gekommen. Der Mann gilt als Diamantenauge.

Vermutlich zucken sie beim VfB bei solchen Beinamen zusammen. Michael Reschke kam schließlich im August 2017 mit dem Ruf des Perlentauchers vom FC Bayern. Vor der laufenden Saison bastelte der forsche Rheinländer einen Kader, der das gesicherte Mittelfeld der Bundesliga problemlos erreichen sollte. Es kam anders. Der VfB steht auf dem Relegationsplatz, Reschke musste gehen, der neue Sportvorstand heißt Thomas Hitzlsperger. Der Unterstützung suchte – und einen Topmann von sich und dem VfB überzeugen konnte. „Mit seinem Wissen, seinem Netzwerk und seiner Art, Fußball zu denken, passt er perfekt zu uns“, lobt Hitzlsperger den Neuen. Zu Recht?

„Ja“, sagen alle, die je mit Mislintat zu tun hatten. Als akribischer Arbeiter gilt der studierte Sportwissenschaftler, als bestens vernetzt ebenso, als Reisender in Sachen Scouting, als genauer Beobachter und schlauer Deuter von Daten über Kicker aus aller Welt. Mislintat, so ein weiteres Urteil aus der Branche, kenne wirklich jeden Spieler. Was es auch heißt: Der Typ hat seinen eigenen Kopf.

Als Fußballer schaffte es der Familienvater aus Kamen bis in die Oberliga. Schon früh entwickelte er ein Faible für datenbezogene Spiel- und Spieleranalysen, 2006 heuerte er dann bei Borussia Dortmund an. Scout, Chefscout, Leiter Profifußball – und eine lange Liste an Transfers, die dem BVB vor allem in der Jürgen-Klopp-Ära nicht nur sportliche Erfolge (zwei Meisterschaften, ein Pokalsieg, das Champions-League-Finale) bescherten, sondern auch jede Menge Geld. Die Wertsteigerung der von Mislintat entdeckten Profis bis zu deren Weiterverkauf war teilweise exorbitant. Dessen Ruf irgendwann exzellent.

Robert Lewandowski, Shinji Kagawa, Pierre-Emerick Aubameyang, Ousmane Dembélé – diese Bilanz beeindruckte Ende 2017 auch Arsène Wenger. Der französische Teammanager holte Mislintat als Chef der Scoutingabteilung zum FC Arsenal nach London – und zahlte eine siebenstellige Ablösesumme. Dass dieses Kapitel nach 14 Monaten endete, lag unter anderem am Weggang Wengers – und am neuen Coach Unay Emery, der einen eigenen Sportdirektor mitbrachte. Seit zwei Monaten war Mislintat ohne Job. Dass ihn sein neues ­Engagement ausgerechnet zum kriselnden VfB führt, überrascht.

„Ich bin im Umfeld von Traditionsclubs aufgewachsen“, begründet der Westfale die Wahl, „diese Atmosphäre ist mir sehr wichtig.“ Mislintat berichtet zudem von „außerordentlich guten Gesprächen“ mit Präsident Wolfgang Dietrich und Thomas Hitzlsperger, der sagt: „Mein Ziel ist es, ein starkes Team aufzubauen, das mutig und leidenschaftlich die vor uns liegenden Aufgaben angeht.“ An Mut fehlt es dem Neuen mit Sicherheit nicht.

Mislintat scheut klare Worte nicht, hat kein Problem, anzuecken. In Dortmund legte er sich einst mit Thomas Tuchel an – es ging um die Einschätzung eines potenziellen Neuzugangs. Mislintat kämpfte vehement für seine Überzeugung – und wird das wieder tun. Auf eine detaillierte Datenbasis bei der Spielersuche legt er zudem Wert, aber ebenso auf einen persönlichen Eindruck. Keinen Spieler, den er empfiehlt, hat er nicht selbst gesehen. Genauso akribisch geht er seine neue Aufgabe an.

Bereits am Donnerstag führte er erste Gespräche mit VfB-Mitarbeitern, blieb vorerst in Stuttgart und wird in den kommenden Tagen sein Büro beziehen – obwohl sein Vertrag erst ab Mai gilt. „Natürlich geht der Blick auf die Planungen für die neue Saison“, sagt Mislintat, der verhindern will, was Reschke passierte: dass beste Referenzen nicht helfen, in Stuttgart sportlichen Erfolg zu verstetigen.

Wie neue Spieler, so wird Mislintat auch seinen neuen Club gescannt haben. Zudem hatte er jede Menge Möglichkeiten, sich zu informieren. Als der Westfale 2011 die Prüfung zum Fußballlehrer ablegte, waren auch die Ex-VfB-Trainer Thomas Schneider, Marc Kienle und Tayfun Korkut sowie der aktuelle Chefcoach Markus Weinzierl („Er hat eine gute Idee vom Fußball und ist ein guter Typ“) Lehrgangsteilnehmer.

Schneider, Kienle und Korkut wurden in Stuttgart jeweils entlassen, wie es bei Markus Weinzierl nach dieser Saison weitergeht, ist offen. Sven Mislintat dagegen will beim VfB eine Erfolgsgeschichte schreiben – als entschlossener und, wenn es sein muss, auch unbequemer Baumeister.

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Erstellt:
12. April 2019, 03:14 Uhr

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