Eine Doping-Geschichte in neun Episoden

Mark aus Erfurt, Lucky Luke, der Papst: über Irrungen und Wirrungen eines Skandals

Doping - Das Netzwerk des Erfurter Mediziners Mark Schmidt zeigt auf, wie widersprüchlich und ineffizient der Kampf ge- gen Doping ist – und dass wieder nicht die richtigen Lehren gezogen werden.

Erfurt/Seefeld Noch sind längst nicht alle Fragen zum neuesten Dopingskandal beantwortet. Fest steht nur, dass zum aufgeflogenen Erfurter Netzwerk mindestens 21 Athleten aus acht Nationen und fünf Sportarten gehört haben. Und dass es ein Fall voller Irrungen und Wirrungen ist. Wir haben einige Kuriositäten und Absurditäten aus diesem Sumpf zusammengetragen.

Wer sich über die Buchungsplattform Airbnb eine Unterkunft besorgt, der weiß, dass dies nicht völlig im Geheimen passiert. Weil alles, was im Internet abläuft, Spuren hinterlässt. Mark Schmidt war das egal. Der mutmaßliche Kopf des weltweit operierenden Dopingnetzwerkes fühlte sich so sicher, dass er sich ganz offensichtlich als „Mark aus Erfurt“ bei Airbnb registriert hat. Dieser User buchte jedenfalls im März 2018 ein Haus im schwedischen Falun und im Dezember 2018 eines im norwegischen Lillehammer – just zu der Zeit, als dort der Langlauf-Weltcup gastierte, in dem einige der Kunden von Mark Schmidt unterwegs waren. Dieser User kommentierte seine anschließende positive Bewertung der beiden Unterkünfte mit dem Hinweis, gerne mal wiederkommen zu wollen. Daraus wird vorerst aber nichts, wenn der Mieter, wonach alles aussieht, tatsächlich Mark Schmidt war. Denn der Sportmediziner sitzt in München in Untersuchungshaft, ihm drohen als Dopingdrahtzieher bis zu zehn Jahre Haft.

Der Leichtsinn, mit dem sich Schmidt im Internet bewegt und mit dem er sein Dopingnetzwerk geleitet zu haben scheint, zeigt eines ganz deutlich – wie unantastbar er zu sein glaubte. Und das, obwohl er nach seiner Zeit als Teamarzt beim dopingverseuchten Radrennstall Gerolsteiner vor zehn Jahren vom überführten Bernhard Kohl als Mitwisser und Unterstützer beschuldigt worden war. Trotzdem interessierte sich niemand für Schmidt und sein Tun, weder die Dopingfahnder noch die staatlichen Ermittler. Stattdessen baute der Mediziner in Erfurt sein betrügerisches Netzwerk auf, das seit 2011 Blutdoping anbietet. Und kurz darauf sogar noch einen Freifahrtschein erhielt.

Nachdem Schmidt 2013 im Prozess gegen den früheren Gerolsteiner-Profi Stefan Schumacher vor dem Stuttgarter Landgericht erneut als Mitwisser benannt worden war, erstattete Anti-Doping-Experte Werner Franke Anzeige gegen ihn – wegen des Verdachts auf Arzneimittelmissbrauch. Zwei Jahre später stellte die Staatsanwaltschaft Erfurt den Fall ein, laut ZDF mit der Begründung, es hätten sich „keine greifbaren Anhaltspunkte für ein bestehendes Dopingnetzwerk“ ergeben. Da hätten die Ermittler mal besser genauer hingeschaut.

Schmidt hatte ordentlich zu tun in Erfurt. Zum einen in dem Blutdoping-Labor, das er sich selbst in einer Garage eingerichtet hatte. Zum anderen in seiner Praxis, in der er neben seinen normalen Patienten auch viele Nachwuchsathleten betreute – für den Landessportbund Thüringen untersuchte er trotz seiner dopingbelasteten Vorgeschichte Radfahrer, Schwimmer und Gewichtheber im Alter zwischen 13 und 15 Jahren auf ihre Sporttauglichkeit. Talente von heute als Kunden von morgen? Beweise dafür gibt es bisher nicht, die nötigen Kontakte sehr wohl – und das frei Haus.

Lucky Luke ist der einsame, rast- und heimatlose Cowboy, der den Colt schneller zieht als sein Schatten. Er ist aber auch ein Comic-Held, der sich für Recht und Ordnung einsetzt. „Lucky Luke“ stand als Codename auf den Blutbeuteln des österreichischen Langläufers Johannes Dürr, die in der Garage in Erfurt im Tiefkühlschrank lagerten. Ein Widerspruch, der sinnbildlich steht für die Zerrissenheit eines Dopers, der wichtiger Kronzeuge und notorischer Lügner in einer Person ist. Dürr, erstmals erwischt während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, packte im Januar aus. Erst in der ARD, dann vor den Staatsanwälten. Seiner Aussage ist es zu verdanken, dass Mark Schmidt aufflog. Dürr gab sich geläutert, reumütig, und er tat so, als ob die Zeit der Lügen vorbei sei. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Während er gestand, wie alles war, dopte er weiter. Als Kunde des Arztes, den er den Ermittlern als Drahtzieher nannte. Die Begründung? Lässt den Konflikt erahnen, mit dem Doper wie Dürr leben: „Es gab den Menschen Johannes und den Leistungssportler Johannes. Die zweite Welt verläuft parallel. Im Dunkeln.“

Die Geschichte, dass ein damaliger Bundesminister die Dopingmittel für Radstar Jan Ullrich im Diplomatenkoffer zu den Olympischen Spielen 2000 nach Sydney transportiert hat, hält sich hartnäckig. Das Problem der Logistik gibt es auch heute noch, erst recht, wenn Doper zu Wettkämpfen fliegen, vor denen sie sich noch einen oder zwei Blutbeutel zuführen wollen. Die Lösung von Mark Schmidt und seinen Helfern: Sie machten die Athleten, wie die Staatsanwaltschaft München ermittelt hat, zu Kurieren ihres eigenen Blutes. Vor dem Flug nach Südkorea zu den Olympischen Winterspielen 2018 wurde den Dopern ein Liter samt Thrombosemittel zugeführt, nach der Landung wieder abgenommen und gelagert. Das gesundheitliche Risiko? Wurde bewusst in Kauf genommen. „Das ist irre, die um 20 Prozent erhöhte Blutmenge muss im Körper ja irgendwohin“, sagt Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel, „das waren Menschenversuche.“

Manchmal spricht Peter Schröcksnadel, der Boss des Österreichischen Ski-Verbandes (ÖSV), Sätze für die Ewigkeit. Sein Land, sagte Schröcksnadel nach dem Betrugsskandal während der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin, sei zu klein, „um gutes Doping zu machen“. Ob deshalb immer wieder österreichische Athleten auffliegen, zuletzt Langläufer Max Hauke sogar auf frischer Tat, mit der Kanüle im Arm? Und noch eine Frage: Warum werden nun nicht wenigstens die richtigen Lehren aus den vielen Dopingfällen gezogen? Stattdessen überlässt der ÖSV seine Langläufer künftig sich selbst – ohne Kader- und Trainerstrukturen und damit außerhalb jeglicher Kontrolle. Zugleich lobt der Österreichische Leichtathletik-Verband (ÖLV) vier Wochen nach dem Skandal von Seefeld exorbitante Prämien aus. Jeder Läufer, Werfer oder Springer aus der Alpenrepublik, der 2020 in Tokio Olympiasieger wird, erhält 205 000 Euro! „Bisher haben die Prämien gefehlt“, sagt ÖLV-Sportdirektor Gregor Högler, „wir wollen Sportgeschichte schreiben, also müssen wir den Athleten etwas bieten.“ Und sei es nur die klare Botschaft, dass sich Doping richtig lohnen kann.

Bei ihren Auftritten in diversen TV-Sportsendungen wirkten Max Hauke und Dominik Baldauf, die in Seefeld überführten österreichischen Langläufer, wie ferngesteuert – ihr Anwalt saß stets neben ihnen. Sie sagten, logisch, möglichst wenig, um sich selbst nicht noch mehr zu belasten. Bereitwillig Auskunft gaben sie nur über ihre beruflichen Wünsche. Hauke will Medizin studieren und als Arzt wirken, Baldauf Polizist werden. Die Realität schreibt eben die schönsten Geschichten.

Die katholische Kirche, keine Frage, hat genügend eigene Probleme. Und dennoch fand Papst Franziskus Zeit und Muße, Dopern auch von allerhöchster Stelle ins Gewissen zu reden. Sport vermittle zwar „die positiven Werte des Lebens“, sagte der Papst, „wenn er jedoch zum Eigenzweck wird und die Person zum Werkzeug im Dienst anderer Interessen, beispielsweise Prestige und Profit, dann kommt es zu Verwirrungen, die den Sport beschmutzen.“ Klar, dass sich auch ein anderes Oberhaupt zu Wort gemeldet hat. Thomas Bach, der Herr der Ringe, forderte vier Wochen nach der WM in Seefeld, in den Skandal verwickelte Athleten, Hintermänner und Helfer gnadenlos zu sanktionieren. „Die Justiz“, meinte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), „sollte ein Exempel statuieren und schnell harte Strafen verhängen, damit es einen Abschreckungseffekt hat.“ Dass er selbst es war, der in seiner Zeit als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) mit allen Mitteln versuchte, die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes in Deutschland zu verhindern, das solche harten Strafen ja erst ermöglicht, sagte Bach nicht.

Sportverbände und Anti-Doping-Agenturen rühmen sich stets für die hohe Anzahl an Dopingtests. Über die Effizienz sprechen sie lieber nicht. Als Kunden von Schmidt aufgeflogen sind bisher die Langläufer Baldauf, Hauke, Dürr (Österreich), Andrus Veerpalu, Karl Tammjärv, Algo Kärp (Estland) und Alexej Poltoranin (Kasachstan), dazu die Radprofis Stefan Denifl und Georg Preidler (Österreich). Keiner hatte zuvor einen positiven Dopingtest. Keiner gilt als Einzeltäter. Und keiner ist eine Star. Weshalb die Frage ist, wer die anderen Betrüger betreut? „Jedes Land“, sagt Ex-Dopingdealer Stefan Matschiner, „hat mindestens einen Mark Schmidt.“ Weshalb weiter niemand auf die Selbstreinigungskräfte des Sports hoffen sollte. Sondern lieber auf weitere Kronzeugen und hartnäckige Staatsanwälte.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:20 Uhr

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