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Leroy Sané könnte das DFB-Team lange prägen

Nationalelf - Vor der WM wurde Stürmer Leroy Sané aussortiert, jetzt ist der 23-Jährige eine der Schlüsselfiguren des Umbruchs. Er verkörpert, was beim DFB lange verpönt war und jetzt gefragt ist: Individualität.

Wolfsburg Über die Auswahl seiner Garderobe muss sich Leroy Sané am Dienstag keine Gedanken machen. Schriftlich festgehalten wird bei Treffen der deutschen Fußball-Nationalelf allmorgendlich der Dresscode – in diesem Fall: hellgrauer Hoodie mit Baumwollanteil (unverbindliche Preisempfehlung 89,95 Euro) und dunkelgraue Jogginghose im Relax-Schnitt (59,95 Euro). Für Nationalspieler natürlich kostenlos.

Vor der Anreise nach Wolfsburg am Tag zuvor durfte Sané noch selbstständig entscheiden. Heraus kam eine handbemalte Lammfell-Lederjacke zum Preis von 4500 Euro, die der Stürmer stilsicher mit einem 18 000 Euro teuren Rucksack aus Nerzleder kombinierte. Wie es dazu kam? Ganz einfach: „Ich habe morgens in den Kleiderschrank geschaut und mir gedacht: Das möchte ich gerne tragen.“

Ein echtes Statement.

Seht her, hier kommt ein Superstar.

Leroy Sané (23) vom englischen Tabellenzweiten und Champions-League-Viertelfinalisten Manchester City ist bereits ein Star der Premier League. Jetzt will er auch in der DFB-Auswahl einer werden. Die Aussichten könnten besser nicht sein. Joachim Löw hat den großen Umbruch ausgerufen, Sané gehört dabei zu den Schlüsselfiguren. „Er kann in der Nationalmannschaft dauerhaft zu einem extrem wichtigen Faktor werden“, sagt der Bundestrainer.

Mit einiger Verspätung soll sie im ersten Länderspiel des Jahres 2019 an diesem Mittwoch in Wolfsburg gegen Serbien (20.45 Uhr/RTL) also endgültig losgehen: die große Karriere von Leroy Sané im Trikot mit dem Bundesadler. Als Topstürmer gilt der frühere Schalker schon lange – erstaunlicherweise wurde er von Löw vor der WM 2018 trotzdem aussortiert. Eine Entscheidung, die der Bundestrainer bitter bereut haben dürfte, als er in Russland dem ermüdenden Ballgeschiebe seiner Mannschaft zusehen musste, das zum blamable Aus nach der Vorrunde führte.

Löw hat Lehren gezogen. Er will den Stil seiner Mannschaft verändern. Das deutsche Spiel benötige „mehr Tempo, mehr Entschlossenheit, mehr Dynamik, mehr Torgefahr“. Allesamt Eigenschaften, die im DFB-Team keiner so komplett verkörpert wie Leroy Sané. „Er ist jetzt schon ein unglaublicher Spieler“, sagt Pep Guardiola, sein Trainer in Manchester, „und er könnte ein noch unglaublicherer werden.“

Schon jetzt wird Sanés Marktwert auf 100 Millionen Euro taxiert. Er ist vor Toni Kroos und Torwart Marc-André ter Stegen (jeweils 80 Millionen) der mit Abstand wertvollste Spieler im deutschen Kader. In der vergangenen Saison wurde der Tempodribbler zum besten Nachwuchsspieler der Premier League gewählt. Bei 14 Toren und 17 Vorlagen in 38 Pflichtspielen liegt in dieser Spielzeit seine Zwischenbilanz. Die jüngste Gala: vier Scorerpunkte beim 7:0-Sieg gegen Schalke 04 in der Champions League, dem der nächste Ritterschlag durch Guardiola folgte: „Es ist niemand auf der Welt mit diesen Qualitäten zu finden.“

Seit Monaten laufen Verhandlungen über eine vorzeitige Verlängerung des bis 2021 laufenden Vertrags. Bei einer Einigung könnte Sané noch viel mehr verdienen als die 28 Millionen Euro, die ihm 2016 für die ersten drei Vertragsjahre garantiert wurden. Dennoch zögern seine Eltern, der frühere Bundesligaprofi Souleyman Sané und die ehemalige Weltklasse-Sportgymnastin Regina Weber-Sané, die als Berater fungieren. Sie wissen: Ihre Verhandlungsposition wird noch besser, wenn der Sohnemann auch noch in der DFB-Mannschaft durchstartet.

Mit der Weltmeister-Dämmerung ist das Feld bereitet. Verständnis äußerte Sané zuletzt für den Ausschluss von Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller („Der Trainer hat einen Plan, das müssen alle akzeptieren“). Wohl auch deshalb, weil es genau diese Spieler waren, die sich in der Vergangenheit gerne über Sanés Einstellung und Eigensinn mokierten.

Ein Führungsspieler, der das große Ganze im Blick hat und die Mitspieler mitreißt, dürfte Sané nie werden. Für diese Rollen sind im verjüngten DFB-Team andere vorgesehen: Joshua Kimmich (24) vor allem und sein Bayern-Kollege Niklas Süle (23), Weltstar Toni Kroos (29), solange er noch dabei ist, auch Marco Reus (29), sofern er vor Verletzungen verschont bleibt. Als Kapitän von Borussia Dortmund ist er zuletzt sichtbar zu einem Anführer gereift.

Leroy Sané hingegen verkörpert etwas, was in den Auswahlmannschaften des DFB lange Zeit eher verpönt war, nach den jüngsten Negativerlebnissen jetzt aber wieder sehr gefragt ist: Individualität. Es gehört zu den Lehren im deutschen Fußball, junge Kicker nicht mehr in ein enges taktisches Korsett zu zwängen, sondern ihnen neue Freiheiten zu geben. „Wir brauchen wieder mehr Bolzplatzmentalität“, sagte vor ein paar Wochen DFB-Direktor Oliver Bierhoff, „mehr Platz für Individualität.“

Grünes Licht also für Leroy Sané, auch weiterhin die wildesten Klamotten über seinen Tattoos zu tragen. Ein besonders eindrucksvolles ziert seinen gesamten Rücken: Es zeigt ihn selbst beim Torjubel.

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Erstellt:
20. März 2019, 03:04 Uhr

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