Frischzellenkur für den FC Bayern

Nach dem souveränen Erfolg gegen hilflose Hannoveraner keimt in München die Hoffnung, den BVB noch einholen zu können

Ganz zufrieden sind sie beim FC Bayern nicht. Noch liegt der Rekordmeister neun Punkte hinter Borussia Dortmund. Beim 4:0 in Hannover läuft vieles rund, weil Trainer Kovac etwas gewagt hat.

Hannover Hinterher war fast alles wie immer. Als Manuel Neuer das Stadion des Gegners verließ, sahen seine Stutzen noch so sauber aus, als habe er nicht mitgespielt. Das übliche Prozedere mit den Interviews und dem Autogrammeschreiben spulten die Profis des FC Bayern München innerhalb von nur einer Stunde ab. „Es war ein brutales Tempo“, sagte Verteidiger Joshua Kimmich. Er meinte damit das, was sein Team rund um den sehenswerten 4:0(2:0)-Sieg bei Hannover 96 gezeigt hatte. Ein extrem junge Anfangself hatte angedeutet, wie die Zukunft eines besseren FC Bayern aussehen könnte. „Das war unsere bisher beste Saisonleistung“, meinte Cheftrainer Nico Kovac. Er verteilte kübelweise Lob. Für ihn ist wichtig, dass eine Art Update des FC Bayern in Sicht kommt, mit dessen Hilfe Borussia Dortmund wieder eingefangen werden könnte.

Die Art und Weise dieses Sieges war bemerkenswert demütigend. 32:3 Torschütze, 14:0 Ecken in einem Auswärtsspiel. Mit solchen Daten sagt man dem Gegner, dass es nett war, mit wie viel Gastfreundschaft er sein Stadion für eine Degradierung zur Verfügung gestellt hat. „Das war Bayern München, wie man es kennt. Es hat sich auf dem Platz beschissen angefühlt“, gestand Hannovers Mittelfeldspieler Pirmin Schwegler. Nach 68 Sekunden hatte Kimmich das erste Tor erzielt. Dass nur noch drei weitere Treffer von David Alaba (29.), Serge Gnabry (53.) und Robert Lewandowski (62.) folgten, war eine freundliche Geste zur Adventszeit, blieb aber auch so mancher Nachlässigkeit geschuldet. Sekunden vor dem Schlusspfiff verfehlt Lewandowski das Tor aus nächster Nähe. In diesem fast lustigen Moment wurden die 49 000 Zuschauer daran erinnert, dass acht oder neun Gegentore für Hannover 96 im Bereich des Machbaren gewesen sind.

Für den neuen jungen Schwung, den Bayern München für eine Aufholjagd gegenüber Tabellenführer Borussia Dortmund benötigen wird, waren neben Kimmich vor allem Serge Gnabry auf der rechten Außenbahn und Kingsley Coman links im Mittelfeld neben dem agilen Leon Goretzka verantwortlich. Um den starken Thiago als Ballverteiler herum gab es etwas sehr Virtuoses zu bestaunen. Kovac wollte sich seinen Mut zu personellen Veränderungen eigentlich verkneifen, um mehr Konstanz zu ermöglichen. Aber eine halbe Woche nach dem 3:3 in der Champions League bei Ajax Amsterdam fand er es dann doch gerechtfertigt, einen Stammspieler wie Jérôme Boateng auf die Ersatzbank zu setzen und einen Routinier wie Franck Ribéry gleich daheim zu lassen.

Der Mut von Kovac wurde mit etwas belohnt, das der FC Bayern in dieser Saison bisher eher selten gezeigt hat. Angriffslust über 90 Minuten, Torchancen im Minutentakt, und das alles im extrem hohen Tempo: Es bleibt festzuhalten, dass es noch Hoffnung auf einen spannenden Titelkampf geben könnte. Was genau an dieser Münchener Mannschaft als alt oder jung einzustufen ist, wird sich noch zeigen. Der Spanier Thiago ist 27 Jahre alt und war in Hannover einer der schnellsten und besten Spieler. Um ihn als Ballverteiler im Mittelfeld herum hatte sich ein munteres Treiben entwickelt. Vor ­allem Gnabry und Coman nutzten ihre ­Freiräume schneller, als es der Gegner hätte erahnen können.

„Wir waren chancenlos. Da gibt es nicht viel zu analysieren“, sagte André Breitenreiter. Die Körperhaltung, mit der der Trainer von Hannover 96 seinen kleinen Rollkoffer aus dem Stadion zog, war dicht an einer Gesamtkapitulation. Am zweiten Spieltag der Saison hatte Breitenreiters Mannschaft das Glück, einem noch im Aufbau befindlichen Ensemble von Borussia Dortmund zu begegnen und ihm ein 0:0 abzutrotzen. Von einem solchen Teilerfolg waren die Niedersachsen im Duell mit einem möglichen FC Bayern der Zukunft um Lichtjahre entfernt. In München wird nun wieder gehofft, ein wenig getönt und mit Blick auf die Tabelle gerechnet. „Bei neun Punkten Rückstand ist die Tür noch ein bisschen offen“, meinte der an diesem Tag alles überragende Kimmich.

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Erstellt:
17. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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