Vor der Fußball-EM der Frauen

Gleichberechtigung im Fußball lässt auf sich warten

Vor der Europameisterschaft der Frauen: In der Sportindustrie bleibt jenseits der Männerabteilungen wenig Raum. Ginge das anders?

Benachteiligt: Für Mädchen und Frauen bleibt nur ein Fußball zweiter Klasse, selbst wenn Sara Däbritz, Alexandra Popp und Giulia Gwinn (von links) hier freudig jubeln.

© Imago//Thomas Eisenhuth

Benachteiligt: Für Mädchen und Frauen bleibt nur ein Fußball zweiter Klasse, selbst wenn Sara Däbritz, Alexandra Popp und Giulia Gwinn (von links) hier freudig jubeln.

Von Ronny Blaschke

Unlängst kündigte der spanische Fußballverband an, dass sein Nationalteam der Frauen die gleiche Bezahlung erhält wie die Auswahl der Männer. Auch Bedingungen für Training, Reise und Unterkunft sollen angeglichen werden. Einen solchen Schritt hatten zuvor auch Verbände anderer Nationen angestoßen, zum Beispiel in Norwegen, England, Brasilien und den USA. Dort erhalten Spielerinnen nun die gleichen Prämien wie die Männer.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bleibt dahinter zurück. Sollte das deutsche Frauenteam die am 6. Juli beginnende Europameisterschaft in England gewinnen, würde jede Spielerin eine Prämie von 60 000 Euro erhalten. Das ist eine Steigerung, denn bei der vergangenen EM 2017 wären es nur 37 500 Euro gewesen. Und doch ist es vergleichsweise wenig. Die Nationalspieler um Manuel Neuer erhielten für ihren WM-Sieg 2014 jeweils 300 000 Euro.

Als Grund für das Gefälle nannte der frühere Nationalspieler und aktuelle DFB-Direktor Oliver Bierhoff die unterschiedlichen Einnahmen und Umsätze bei Frauen- und Männerturnieren. Der Verband werde allerdings Betreuerstäbe und Ausstattung auf ein ähnliches Niveau bringen. Die Frauen bereiten sich aktuell beim Partner Adidas in Herzogenaurach auf die EM vor – so wie ihre männlichen Kollegen vor wenigen Wochen während der Nations League.

Lohnniveau anheben

Als größter nationaler Sportfachverband der Welt mit millionenschweren Sponsorenverträgen könnte der DFB das Lohnniveau leicht angleichen, doch das sollte im Jahr 2022 nicht mehr als ein Minimalstandard sein. Die wiederkehrende Prämiendiskussion überdeckt die strukturelle Benachteiligung. Ob Trainingswesen, Medienaufmerksamkeit oder Führungspositionen: Für Mädchen und Frauen bleibt nur ein Fußball zweiter Klasse.

Es würde ohnehin nicht reichen, an der Spitze der Fußballpyramide Geld in den Markt zu pumpen, das legt eine Umfrage von FIF Pro nahe. Die internationale Profivereinigung hatte im Jahr 2017 weltweit 3600 Spitzenfußballerinnen befragt. Demnach lag das durchschnittliche Monatsgehalt bei 600 Dollar. Lediglich ein Prozent erhielt mehr als 8000 Dollar im Monat. Mehr als drei Viertel der Spielerinnen verknüpften ihren Leistungssport mit einem anderen Job oder mit einem Studium. Neunzig Prozent spielten mit dem Gedanken, ihre Karriere frühzeitig abzubrechen. Wegen fehlender Perspektiven. Überdies hat Corona den Alltag weiter erschwert. Schon vor der Pandemie ging der Zuschauerschnitt der Frauen-Bundesliga nicht über 1000 hinaus. Während der Covid-Beschränkungen brachen wichtige Ticketeinnahmen weg. Etliche Sponsoren reduzierten ihre Ausgaben. Darunter leiden Clubs, die einen Schwerpunkt auf Frauenfußball legen.

Bayern und Wolfsburg unter sich

Ein Beispiel ist der 1. FFC Turbine Potsdam, der Anfang des Jahrtausends sechsmal die deutsche Meisterschaft und zweimal die Champions League gewann. Am Rand der Sportmetropole Berlin ist Turbine auf kleine und mittelgroße Förderer angewiesen, auf Krankenkasse, Energieerzeuger, Immobilienwirtschaft. So kommt der Verein auf einen Etat von einer Million Euro, mit drei Angestellten in der Geschäftsstelle.

Turbine Potsdam hat seit 2012 keine Meisterschaft mehr gewonnen. Seitdem haben der VfL Wolfsburg und der FC Bayern die Titel unter sich ausgemacht. Auch in anderen Ländern Europas bestimmen Clubs, die erfolgreich im Männerfußball sind, die erste Liga der Frauen. In England ist es der FC Chelsea, in Spanien der FC Barcelona, in Frankreich Olympique Lyon. In Deutschland hat sich der siebenmalige Meister der Frauen-Bundesliga, der 1. FFC Frankfurt, vor zwei Jahren Eintracht Frankfurt angeschlossen.

In Deutschland hat sich der DFB lange auf seinen Erfolgen ausgeruht. Das Frauennationalteam gewann zweimal die Weltmeisterschaft und achtmal die Europameisterschaft. Als Gastgeberinnen der WM 2011 freuten sie sich über beachtliche Fernsehquoten und Sponsoring-Einnahmen. Doch zwischen großen Turnieren blieb die Aufmerksamkeit gering. Der gemeinnützige DFB konnte sich noch nicht dazu durchringen, die Frauen-Bundesliga in eine eigene Organisation auszulagern. So wie bei den Männern, wo sich die Deutsche Fußball-Liga (DFL) als selbstbewusste Interessenvertretung etabliert hat.

In der Sportindustrie bleibt jenseits des Männerfußballs wenig Raum, das spüren Handball, Leichtathletik oder andere olympische Sportarten. Wer gegen diese Konkurrenz eine lukrative Marke aufbauen will, braucht Geduld, Geld und einen größeren Stab an Mitarbeitenden. Die englische Football Association (FA) vermarktet ihre Frauenliga seit 2010 als Women’s Super League, in enger Partnerschaft mit einer britischen Bank. Der Verband hat ein Marketingkonzept erstellt und eine regelmäßige Fernsehpräsenz gesichert. Fußballerinnen, so die Regel in England, müssen von ihrem Sport leben können. Ähnlich ist die Lage in Spanien, wo die großen Clubs in sozialen Medien zunehmend für ihre Frauenteams werben. Die erste Liga dort gewann ein Energieunternehmen als Hauptsponsor und verkaufte ihre Fernsehrechte für drei Millionen Euro pro Saison. Der Zuschauerschnitt liegt weit unter dem der Männer, aber immer wieder führen Kampagne zu Rekorden. Im April verfolgten in der Champions League der Frauen im Camp Nou fast 92 000 Menschen das Heimspiel des FC Barcelona gegen Wolfsburg.

53 000 Leute in Liverpool

Solche Bestmarken hätte es schon vor langer Zeit geben können. Bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war der Fußball bei vielen Frauen beliebt. In Frankreich, Deutschland oder Polen entstanden Wettbewerbe. In England hatte jede größere Gemeinde ein eigenes Frauenteam. 1920 verfolgten 53 000 Zuschauer ein Spiel in Liverpool. Der englische Fußballverband hatte jedoch die Sorge, dass die Aufmerksamkeit für die Männerspiele abnehmen würde, und so verbot er den organisierten Spielbetrieb für Frauen 1921. Der DFB tat es ihm 1955 gleich. Jahrzehnte sollten vergehen, bis die großen Verbände ein ernsthaftes Interesse für Frauenfußball entwickelten.

Und manche reagieren auch in der Gegenwart nur auf öffentlichen Druck. Deutsche Spitzenclubs wie Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 haben erst vor Kurzem eine Abteilung für Mädchen und Frauen gegründet. Auch der VfB Stuttgart hat 2021 eine Frauenabteilung gegründet – zum ersten Mal in 130 Jahren Vereinsgeschichte. Der VfB will mit mehreren Teams in den Spielbetrieb einsteigen und mit seinem Partner VfB Obertürkheim ein Netzwerk für Talente knüpfen. Die Stuttgarter betonen gerne, damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Tatsächlich ist dieser späte Aufbruch eine Blamage für die wohlhabende Industrieregion.

Im milliardenschweren Männerfußball sollte die DFL die Frauenförderung zur Bedingung für eine Bundesligalizenz machen. Nachwuchszentren, Partnerschaften mit Schulen oder Marketingabteilungen sollten ihren Fokus stärker auf die weibliche Hälfte des Fußballs lenken. Doch das reicht nicht aus. Laut dem Antidiskriminierungsnetzwerk FARE werden weniger als vier Prozent der Führungspositionen im europäischen Fußball von Frauen besetzt. Im DFB-Präsidium sind von 15 Mitgliedern fünf weiblich. Im DFL-Präsidium sitzt eine Frau: Donata Hopfen, seit Kurzem auch Geschäftsführerin. Und auch jenseits von Verbänden und Vereinen werden Sponsoren, Sportartikelhersteller oder Fußballmedien in der Regel von Männern geprägt. Laut der Sporthochschule Köln kommen nur in 15 Prozent der Sportberichterstattung Frauen vor. Auch zahlreiche Werbeaktionen für den Frauenfußball wurden – bewusst oder unbewusst – auf ein heterosexuelles Männerpublikum ausgerichtet. Zur heimischen Frauen-WM 2011 lautete der Slogan: „20elf von seiner schönsten Seite“. Ein Spielzeughersteller brachte eine Fußball-Barbie auf den Markt. Für ein Kosmetikunternehmen posierten Spielerinnen in engen Abendkleidern, ergänzt mit Internettipps für Make-up und Haarpflege. Und immer wieder lassen sich Fußballerinnen im „Playboy“ ablichten.

Muss es der „Playboy“ sein?

Diese Reproduktion veralteter Geschlechterbilder dürfte einer von vielen Gründen sein, warum sich Frauen weniger im Fußball engagieren. An der Basis hatten sich vor der Pandemie zwar mehr Frauen für eine C-Lizenz als Trainerin bemüht, also für die unterste Kategorie im Kinder- und Jugendfußball. Aber schon eine Stufe höher, an der Schwelle zum Leistungssport, sinkt der weibliche Anteil. Das liegt nicht an fehlender Bereitschaft der Frauen, sondern an verkrusteten Netzwerken, in denen Männer die Entscheidungen für Fortbildungen, Spielpläne und Schiedsrichter-Ansetzungen treffen.

Weiter oben sind ehemalige Nationalspielerinnen selten dazu bereit, ihren Jahresurlaub für mehrwöchige Trainerkurse aufzubringen. Selbst in der Frauen-Bundesliga werden die Teams in der Regel von Männern trainiert. Mit wenigen Ausnahmen: Die ehemalige Bundesligaspielerin Carmen Roth übernahm als Trainerin 2017 das Frauenteam von Werder Bremen. Zwei Jahre später hörte sie auf eigenen Wunsch auf und nahm ihren Job bei einer Versicherung wieder auf. So gehen den Mädchen an der Basis sichtbare Vorbilder verloren.

Alibi im Präsidium

Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) haben die Pflicht, ihre Führungskräfteseminare und ihre Mentorinnen-Workshops für Frauen auszubauen. Zumindest der DFB sträubt sich gegen eine verbindliche Frauenquote für seine Gremien. Anders als der Fußballverband in Norwegen, der bereits in den neunziger Jahren eine solche Quote eingeführt hatte. Dort sollen mindestens zwei Frauen dem Präsidium angehören, damit sich eine allein nicht als Alibi fühlt. Längst ist das Präsidium zur Hälfte mit Frauen besetzt. Von solchen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt. Doch jenseits der DFB-Strukturen geht es schneller voran. Ein Netzwerk um die frühere Hamburger Fußballfunktionärin Katja Kraus verlangt den Verbänden Reformen ab. Die Wanderausstellung „Fan.Tastic Females“ stellt unter anderem weibliche Ultras vor. Und das Bündnis F_in, Frauen im Fußball, informiert über sexualisierte Gewalt in den Fankurven. Diese Initiativen werden dazu führen, dass sich der DFB weiterhin öffnet. Auch wenn die Schritte im Verband ziemlich klein sind.

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Erstellt:
1. Juli 2022, 15:32 Uhr
Aktualisiert:
1. Juli 2022, 22:16 Uhr

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