Haarscharf an Olympia vorbeigesegelt
Nur wenige Zentimeter fehlten dem Backnanger Peter Adolff, um 1972 das Ticket zum weltgrößten Sportereignis zu ergattern
„Es waren nur Zentimeter.“ Peter Adolff erinnert sich noch genau an die knappe Entscheidung und verdeutlicht mit Daumen und Zeigefinger den Abstand . Fast 50 Jahre ist es her, als der Spross der bekannten Unternehmerfamilie nur haarscharf das Ticket zu den Olympischen Spielen 1972 verpasste. Um Haaresbreite verpasste es der Mann, der in zwei Tagen 85 Jahre alt wird, erster Backnanger Starter beim weltweit größten Sportereignis zu sein.

In den Sechzigern und Siebzigern als Segler erfolgreich auf allen Weltmeeren unterwegs: Der Backnanger Peter Adolff (links).Fotos: privat
Von Uwe Flegel
Wer sich mit Backnanger Geschichte befasst, der kommt am Namen Adolff nicht vorbei. Gut 150 Jahre prägte die Familie und ihr von Johann Friedrich Adolff begründetes Unternehmen das Leben an der Murr mit. Wer etwas genauer hinschaut, der merkt schnell, dass außer Garnen, Tuch und anderen Stoffen eines auch dazugehörte: der Sport. Nicht nur, weil die Brüder Hans, Werner und Martin Adolff Anfang der Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts entscheidend daran beteiligt waren, dass der Skisport ins nach Backnang kam. Oder weil beispielsweise in den Fünfzigern mit Fußball-Nationalspieler Werner Kohlmeyer (1. FC Kaiserslautern) einer der Helden des Wunders von Bern 1954 bei den Adolff-Sportfesten auf dem Adolff-Sportplatz in die Sandgrube hüpfte oder beim Hochsprung vorne dabei war. Auch nicht nur, weil mit Peter Adolffs Onkel Hans ein gebürtiger Backnanger Ende der Fünfziger sowie Ende der Sechziger Präsident und mit dem Unternehmen ein wichtiger Sponsor des FCK war. Zur Sportgeschichte der Familie gehört auch Kurt Adolff, der 1953 erster deutscher Ferrari-Pilot in einem Formel-1-Rennen war.
Und es gehört Dr. Peter Adolff dazu, der ein erfolgreicher Segler war. Wobei der promovierte Jurist, der auf ein erfolgreiches Berufsleben als Geschäftsführer, Gesellschafter Vorstandsmitglied sowie Aufsichtsrat bei Konzernen wie Wacker Chemie, RWE, Bilfinger und Berger, Kaufhof sowie über Jahrzehnte vor allem bei der Allianz sowie Bosch blickt, seine Leidenschaft für den Sport nicht nur auf dem Wasser auslebte. Im Skifahren zum Beispiel zählte er im Werdenfelser Land zu den Schnellsten, die auf den damaligen Holzbrettern die Pisten hinunterrasten. Sein größter Erfolg: Bei der Studenten-Weltmeisterschaft 1955 in der Hohen Tatra wurde der damals 21-Jährige zweimal Achter (Slalom und Kombination) und zweimal Zwölfter (Abfahrt und Riesenslalom). „Ein Mordserlebnis, diese Begegnungen mit Menschen aus aller Welt“, erinnert sich Peter Adolff, der sportlich als Leichtathlet, im Tischtennis, Fußball sowie Tennis ohnehin vielseitig war.
Von fünf Kampfrichtern
entscheiden drei
gegen den Schwaben
17 Jahre später wäre es dem gebürtigen Stuttgarter fast gelungen, als Segler gar Teil des weltweit größten Sportereignisses zu sein. Im Ausscheidungsrennen gegen Norbert Wagner ging es darum, wer bei den Olympischen Spielen 1972 in München und Kiel (Segelwettbewerbe) in der Solingklasse für Deutschland segelt. „Es waren Zentimeter“, erinnert sich der Schwabe und erzählt, dass von den fünf Kampfrichtern „die zwei Bayern mich, die drei Kieler dagegen meinen Kontrahenten, hauchdünn vorn gesehen haben.“ Heute noch ist zu spüren, ist an Daumen und Finger zu sehen, wie gern er bei Olympia dabei gewesen wäre. Der Mann, den das Handelsblatt vor fünf Jahren als „graue Eminenz der deutschen Wirtschaft“ bezeichnet hat, und über den die Frankfurter Allgemeine 1993 schrieb: „Er strahlt unauffällige schwäbische Solidität aus und bleibt lieber im Hintergrund.“ Im Wettkampf hielt er sich aber nicht immer zurück. Vor allem im Segeln war er vorne dran. Bei fünf Weltmeisterschaften vertrat er Deutschland mit dem Starboot (1960 Rio de Janeiro, 1963 Cascais, 1967 Kopenhagen) oder in der Soling-Klasse (1971 Oyster Bay bei New York, 1979 Poole in England).
Die Frage, wie ein Backnanger zum Segeln kommt, hat der Jurist vorhergesehen, kann er die Grundkenntnisse ja nicht auf der Murr oder dem Ebnisee erworben haben: „1944 ist meine Mutter mit uns wegen des Kriegs in unser Sommerhäuschen am Starnberger See gezogen. Auch weil mein Vater bei der Armee in Russland war.“ Dort vor den Toren Münchens waren Martin Adolff und sein Bruder Paul Mitglied beim Bayerischen Yacht-Club. Und als Paul Adolff 1943 bei einem Einsatz als Fallschirmjäger bei Catania (Sizilien) starb, vererbte er seine Jolle seinem ältesten Neffen. Der fand erst nach und nach Gefallen am Segeln. Dann kaufte er sich zwei Fachbücher von Manfred Curry („heute noch die beste Segelliteratur, die ich kenne“) und lernte.
An der Leidenschaft fürs Segeln änderte sich nichts, als es nach dem Abitur 1952 in Starnberg wieder ins Schwabenland ging. Vor dem Studium galt es dort erst einmal, eine Lehre als Betriebselektriker im Familienunternehmen zu absolvieren. Zwei Jahre, die das spätere Führungsmitglied in Weltkonzernen nicht missen mag, lernte er da doch auch die Seite der Arbeitnehmer kennen. Und: „Ich hatte einen tollen Obermeister, den Herrn Hägele. Er hat mich neutral, streng und gut behandelt.“ Überhaupt denkt er gern an seine zweite Zeit am Murrufer zurück. Die endete 1972 mit dem Wechsel zur Wacker Chemie nach München. Vergessen hat der Vater eines Sohnes und einer Tochter die alte Heimat nicht: „Meine Frau und ich kommen immer gerne nach Backnang.“ Zurück in die Stadt, der nicht viel fehlte und sie hätte 1972 fast einen Olympioniken im Segeln in ihren Reihen gehabt.


Auch mit fast 85 Jahren findet Peter Adolff bei Mächtigen und Wichtigen wie Henry Kissinger (Mitte) und Günther Oettinger immer noch ein Ohr.