Patrick Wiencek vom THW Kiel

„Immer mehr Spieler wollen sich in der Bundesliga nicht kaputtmachen“

Patrick Wiencek kämpft mit dem THW Kiel um die Champions-League-Krone. Vor dem Final Four in Köln spricht der Kreisläufer und Abwehrspezialist über die Chancen seines ersatzgeschwächten Teams und die Flucht von Stars ins Ausland.

Patrick Wiencek  vom THW Kiel ist ein durchsetzungsstarker Kreisläufer und knallharter Abwehrstratege.

© Baumann/Alexander Keppler

Patrick Wiencek vom THW Kiel ist ein durchsetzungsstarker Kreisläufer und knallharter Abwehrstratege.

Von Jürgen Frey

Patrick Wiencek trifft beim Final Four der Handball-Champions-League in Köln an diesem Samstag (18 Uhr) mit dem THW Kiel im Halbfinale auf den FC Barcelona. Davor stehen sich KC Veszprem (Ungarn) und KS Kielce (Polen) gegenüber. Wie schätzt der Kreisläufer und Abwehrstratege die Chancen ein?

Herr Wiencek, haben Sie noch genügend Sprit im Tank für den Saisonhöhepunkt?

Ein paar Wehwehchen kann ich nicht leugnen. Und ein bisschen urlaubsreif bin ich auch (lacht). Dass sich der Körper nach solch einer langen Saison meldet, ist ja völlig klar. Aber vor so einem Highlight wie dem Final Four lässt die Spannung natürlich nicht nach. Im Gegenteil: Man will in dieser tollen Halle, in dieser Wahnsinnsatmosphäre noch einmal alles raushauen.

Und trotz der großen Verletzungssorgen den Titel holen?

Dass uns nach Hendrik Pekeler mit Sander Sagosen auch ein zweiter Schlüsselspieler weggebrochen ist, ist logischerweise kein Vorteil. Das trifft uns sogar brutal hart. Wir sind diesmal sicher nicht der Favorit, sehen uns vielmehr in der Underdog-Rolle. Aber: Wir haben – wenn auch nicht in der Breite – immer noch eine Weltklasse-Truppe zusammen, die an einem guten Tag jedes Team der Welt schlagen kann.

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Pekeler erlitt einen Achillessehnenabriss, Sagosen einen Bruch im linken Sprunggelenk und einen Syndesmosebandriss. Sind dies Folgen der Überbelastung?

Verletzungen gehören im Sport dazu und gibt es immer wieder. Aber klar: Beide waren bei den Olympischen Spielen 2021 am Ball, Sander hat auch noch die EM im Januar gespielt. Man kann nicht alles auf die Belastung schieben, doch es werden eben immer mehr Spiele, dieser immer enger getaktete Spielplan geht an die Substanz. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich immer mehr Spieler nicht in der richtig harten, weil so ausgeglichenen und starken Bundesliga kaputtmachen wollen, sondern ins Ausland wechseln, um bei dem Gesamtprogramm ein, zwei oder drei Jahre länger durchhalten zu können.

Und sich auf Höhepunkte wie die Champions League konzentrieren können.

Ja, die Bundesliga ist zwar ohne Wenn und Aber die stärkste Liga der Welt. Du stehst in jedem Spiel vor einer Herausforderung, und es hat auch seinen Reiz, beim Tabellenfünften in Göppingen vor einer mega Kulisse bestehen zu müssen. Aber wenn du das ein paar Jahre erlebt hast, dann kannst du dich auch umorientieren.

„Mehr Wertschätzung für Topteams“

Dass aber immer mehr Superstars abwandern, kann nicht im Sinne der Bundesliga sein.

Sicher nicht. Aber dann sollte man den Topteams mehr Wertschätzung entgegenbringen. Unsere Gegner beim Final Four haben viel mehr Pausen, können sich deutlich besser vorbereiten. Im Ligabetrieb können sie Spieler schonen, manche Topkräfte machen Auswärtsreisen erst gar nicht. Das wäre bei uns vollkommen unvorstellbar, weil du immer 100 Prozent geben musst.

Was schlagen Sie vor?

Wenn ich da jetzt was sage, dann läuft das wieder rauf und runter. Aber es liegt ja in der Natur der Sache, dass eine kleinere Liga den Topteams sportlich helfen würde. Das würde vieles einfacher machen, aber eben auch wirtschaftliche Einschnitte bedeuten. Den Vereinen würden Einnahmeverluste aus weniger Heimspielen wehtun.

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Sie selbst haben durch Ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft die Konsequenzen gezogen.

Ja, ich war ja permanent unterwegs. Jetzt konnte ich meinen Körper etwas schonen, und ich merke auch, dass ich frischer bin.

Und wenn der absolute Notstand ausbricht und der Bundestrainer anruft?

Ich habe mich festgelegt, dazu stehe ich. Und ich bin mit meiner Entscheidung auch absolut im Reinen.

Vertrag bis 2023

Mit 33 Jahren dürften Sie im Verein noch ein paar Jährchen vor sich haben. Wie lange wollen Sie noch spielen?

Zunächst einmal läuft mein Vertrag beim THW noch bis 2023. Dann schau ich mal.

Gibt’s eine Chance, Sie in den Süden zu holen?

Ich bin gerne im Süden, um Urlaub zu machen (lacht). Diesen Sommer zum Beispiel in Österreich. Aber auch wenn ich aus dem Ruhrgebiet stamme, sind meine Familie und ich inzwischen richtige Nordlichter geworden.

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Sie gelten als unerbittlich und knallhart auf dem Feld, außerhalb als sehr sanftmütiger Typ.

Das trifft es eigentlich haargenau. Jedoch bin ich im Alter ruhiger geworden – vor allem auf dem Handballfeld. Zumindest verletze ich nicht mehr so viele Gegenspieler wie zu Jugendzeiten.

Ihr Teamkollege Pekeler hat im Gegensatz zu Ihnen seine Nationalmannschaftskarriere nur unterbrochen. Kehrt er zur Heim-EM 2024 zurück?

Ich will mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, das ist schließlich Pekes Sache.

Sie beide bildeten den weltbesten Innenblock. Wie soll das in der Nationalmannschaft kompensiert werden?

Wir haben in Johannes Golla einen Weltklasse-Abwehrstrategen fürs Zentrum mit Herz und Leidenschaft. Bundestrainer Alfred Gislason wird mindestens einen zweiten finden. Tim Zechel vom HC Erlangen hat schon bewiesen, dass er es kann. Auch Simon Ernst oder Julian Köster. Leider hat sich Sebastian Heymann einen Kreuzbandriss zugezogen.

„Mir gefällt Nicolaus“

Wie schätzen Sie die Entwicklung des erst 18-jährigen Abwehrspezialisten Fynn Nicolaus vom TVB Stuttgart ein?

Ich habe ein paar Spiele von ihm gesehen, er ist ein Toptalent. Mir gefällt seine Aggressivität. Und was für einen so jungen Spieler eben ganz entscheidend ist: Er bekommt in Stuttgart die nötige Spielpraxis. Je früher einer zum Stammspieler reift, umso besser ist das für die Entwicklung.

Wann trauen Sie der Nationalmannschaft den nächsten Titel zu?

Warum soll das nicht schon bei der WM 2023 in Polen und Schweden der Fall sein? Wenn Corona nicht dazwischen gekommen wäre, hätte ich dem Team schon bei der EM 2022 noch mehr zugetraut. Wenn die Mannschaft so zusammenbleibt, Alfred Gislason weiter in Ruhe arbeiten kann, dann werden wir viel Freude haben. Spätestens bei der Heim-EM 2024 ist dann wirklich alles möglich.

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Sie selbst haben den EM-Titel 2016 und die Olympia-Teilnahme 2021 verletzungsbedingt verpasst. Wie sehr ärgert Sie das?

Bei dem Triumph 2016 nicht dabei zu sein, war schon hart. Mir fehlt so ein Titel mit der A-Nationalmannschaft, aber ich habe viele andere schöne Dinge erlebt.

Was wollen Sie denn noch erleben?

Mit dem THW noch mal deutscher Meister zu werden, steht immer ganz oben auf der Liste. Mein ehemaliger Mitspieler Thierry Omeyer hat immer gesagt: Nicht einmal einen Titel zu gewinnen ist die Kunst, sondern ihn immer wieder zu holen.

2020 waren Sie Champions-League-Sieger.

Dann werde ich alles dafür tun, es am Wochenende in Köln wieder zu werden. Wie gesagt: Im Sport ist alles möglich.

Info

Zur Person Patrick Wiencek wurde am 22. März 1989 in Duisburg geboren. Nach Stationen bei HSG Düsseldorf, Bergischer HC, TuSEM Essen, VfL Gummersbach wechselte er 2012 zum THW Kiel. Er absolvierte 156 Länderspiele (319 Tore). Erfolge im Verein: Deutscher Meister 2013, 2014, 2015, 2020 und 2021, DHB-Pokal: 2013, 2017, 2019 und 2022, DHB-Supercup: 2012, 2014, 2020 und 2021, EHF-Pokal: 2019, Pokal der Pokalsieger: 2001. Nationalmannschaft: Juniorenweltmeister 2009, Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2016, 4. Platz bei der WM 2019.

Privates Wiencek ist gelernter Anlagenmechaniker. Er ist verheiratet mit Fabiane. Das Paar hat zwei Kinder (Paul/4 und Lotta/7). Der 2,01 Meter große Kreisläufer ist ein ausgesprochener Familienmensch und leidenschaftlicher Hand- und Heimwerker.

Final Four Samstag, 18. Juni, 15.15 Uhr: Halbfinale KC Veszprem – KS Kielce und um 18 Uhr: THW Kiel – FC Barcelona. Sonntag, 19. Juni, 15.15 Uhr: Spiel um Platz drei und um 18 Uhr Finale. Die Spiele sind nur im Streamingdienst DAZN zu sehen. (jüf)

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Erstellt:
16. Juni 2022, 14:02 Uhr
Aktualisiert:
16. Juni 2022, 14:03 Uhr

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