Interesse an Präventionskonzepten steigt

Das Thema sexuelle Gewalt im Sport soll offensiv angegangen werden. Dies versucht der Sportkreis Rems-Murr, mit einer Veranstaltungsreihe den Mitgliedern der Vereine zu vermitteln. Eine davon hat bei der TSG Backnang stattgefunden.

Die Vereine sollen mit dem Thema sexuelle Gewalt im Sport nicht alleingelassen werden. Symbolfoto: Adobe Stock/Yekatseryna

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Die Vereine sollen mit dem Thema sexuelle Gewalt im Sport nicht alleingelassen werden. Symbolfoto: Adobe Stock/Yekatseryna

Von Simone Schneider-Seebeck

Gegen einen Trainer, angestellt beim Landessportverband Baden-Württemberg, sowie gegen weitere Personen aus dem Bereich des Leistungssports liegt der Verdacht sexueller Gewalt gegenüber Sportlerinnen vor. Der Verband hat umgehend Maßnahmen zur Aufklärung des Falls in die Wege geleitet und verurteilt jegliche Form von Gewalt. „Es ist jetzt wichtig, die Vorwürfe genau zu beleuchten, die rechtlichen Grundlagen zu klären und zu reagieren. Der organisierte Sport in Baden-Württemberg hat sich in seiner Erklärung zur Kindeswohlgefährdung, sexualisierten Gewalt und Missbrauch im Sport dazu verpflichtet, Menschen einen sicheren und positiven Schutz-, Lern- und Förderraum zu bieten. Dieses Versprechen werden wir einhalten“, bekräftigt Elvira Menzer-Haasis, die Präsidentin des Landessportverbands.

Doch nicht nur dieser Fall zeigt, dass die Problematik den Vereinen im Land bewusst und ihnen ein drängendes Anliegen ist, Trainer, Übungsleiter, Mitglieder, Eltern und auch Jugendliche zu sensibilisieren und auf das Thema aufmerksam zu machen. So bietet der Sportkreis Rems-Murr seit geraumer Zeit im gesamten Kreis hierzu entsprechende Veranstaltungen an wie beispielsweise kürzlich in Backnang. „Kindeswohlgefährdung – ein Thema, das auch mich betrifft“ – so lautet der Name dieser Veranstaltungsreihe, die insgesamt vier Module umfasst. Auf Nachfrage bestätigt Referent Matthias Reinmann von der Württembergischen Sportjugend, dass vor allem das Modul „Sensibilisierung“ stark nachgefragt würde. Aber auch das Interesse der Vereine an der Erstellung eines individuellen Präventions- und Schutzkonzepts steigt stetig. „Es gibt keine speziellen Auslöser“, betont er, warum mehr Seminare nachgefragt und durchgeführt würden, die sich dieser Thematik widmen.

Es soll Kultur des Hinsehens und der Aufmerksamkeit geschaffen werden.

Allerdings würden sich immer mehr Vereine bewusst, dass sie etwas zu Aufklärung und Sensibilisierung beitragen müssten. „Sexualisierte Gewalt ist kein Tabuthema mehr“, so Reinmann. Wenn früher ein Verdacht aufgekommen sei, hätte man das Thema das eine oder andere Mal gern unter den Teppich gekehrt. Doch schon längst habe eine Wende eingesetzt. Es werde offen mit diesem Thema umgegangen, daher stimme es nicht, dass nichts im Bereich Kinderschutz im Sportverein getan würde. Anfangsverdachte werden häufig offensiv kommuniziert. Auch die Befürchtung, dass solch ein offener Umgang mit dem Thema einem Verein schade, habe sich nicht bewahrheitet, im Gegenteil: „In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass es einem Verein durchaus positiv ausgelegt wird, wenn offensiv mit der Thematik umgegangen wird.“ Übergriffe beziehungsweise ein sexueller Missbrauch treten für gewöhnlich nicht von einem auf den anderen Tag auf. Es handele sich vielmehr um einen relativ lang andauernden und schleichenden (Anbahnungs-)Prozess. „Es muss eine Kultur des Hinsehens und der Aufmerksamkeit geschaffen werden“, fordert Matthias Reinmann. Wie oben erwähnt, ist ein weiteres, stark nachgefragtes Modul die „Erstellung eines Präventions- und Schutzkonzepts“. Dieses wird für alle Personenkreise empfohlen, besonders auch für Jugendliche, um ein entsprechendes und vor allem für Kinder und Jugendliche zielführendes Konzept gemeinsam entwickeln zu können.

Ausgerichtet hat die TSG Backnang 1846 den Workshop zur Sensibilisierung in der Hagenbachhalle, unter Federführung der stellvertretenden Sportkreispräsidentin Yvonne Benz. 15 Teilnehmer aus verschiedenen Vereinen sowie Vertreter des Sportkreises waren zusammengekommen. In drei Gruppen, aufgeteilt in die Bereiche Allgemeines, Opfer und Täter, wurden unterschiedliche Fragestellungen und Behauptungen diskutiert und bearbeitet, jeder Teilnehmer konnte sich hierbei aktiv einbringen. Im Anschluss wurden die Gruppenergebnisse vorgestellt und gemeinsam besprochen. „Es war kein Vortrag, so wie man das eigentlich erwartet hätte“, lobt Claudia Krimmer von der TSG Backnang und ergänzt: „Für einen Sonntagmorgen wurde dieses schwierige Thema durch diese Art der Präsentation gut erarbeitet.“

Als Beispiel wurde etwa folgende Behauptung in den Raum gestellt: „Menschen mit pädophilen Neigungen sind Einzelgänger und pflegen kaum soziale Kontakte.“ Falsch. Sie seien bestens integriert und genießen häufig ein hohes Ansehen. Doch was ist sexualisierte Gewalt? Bei Reinmanns Vortrag wird diese in drei Stufen aufgegliedert. Zunächst die Grenzverletzung, dazu gehört etwa das Berühren intimer Stellen während einer Hilfestellung. Oft kann das unabsichtlich geschehen, eine Grenzverletzung sollte jedoch auf jeden Fall angesprochen werden. Kommt sie häufiger vor und missachtet die Person die Abwehrversuche des Betroffenen, ist das Verhalten als sexueller Übergriff zu werten. Die letzte Stufe ist der Missbrauch.

Wie viele Kinder und Jugendliche davon betroffen sind, könne nur schwer beurteilt werden, die Dunkelziffer wird jedoch als sehr hoch eingeschätzt. Häufig sind Verhaltensänderungen die Folge. Doch gibt es keine eindeutigen und allgemein gültigen Symptome, die explizit auf einen Missbrauch hinweisen. Auch andere Faktoren können Auslöser für Verhaltensänderungen sein. Dennoch sollten solche Auffälligkeiten keinesfalls unter den Tisch fallen, denn „unabhängig davon ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Kind Hilfe benötigt“, wie Referent Reinmann ausführt.

Auch der Turngau sensibilisiert

Ursprünglich waren vom Sportkreis Rems-Murr noch zwei weitere Veranstaltungen „Kindeswohlgefährdung – ein Thema, das auch mich angeht“ geplant, am 17. November in Kernen, am 1. Dezember unter Federführung von Bürgermeister Reinhold Sczuka in Althütte. Doch aufgrund des Teil-Lockdowns werden diese voraussichtlich ins kommende Jahr verschoben.

Auch der Turngau Rems-Murr hatte diese sensible Thematik als Tagesordnungspunkt für den nächsten Jugendturntag geplant, der jedoch ebenfalls abgesagt wurde. „Die Turnerinnen und Turner wollen sich dem Thema stellen“, so Turngau-Präsidentin Gislind Gruber-Seibold aus Murrhardt. Auch wenn es aktuell im Turngau keinen Fall dazu gebe, sei es gut, dass mit diesem Thema offen umgegangen werde. „Es muss unser aller Aufgabe sein, noch genauer darauf zu achten und zu sensibilisieren.“

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Erstellt:
3. November 2020, 06:00 Uhr

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