Länderspiel Ungarn gegen Deutschland

Kommt es in Budapest zum großen Knall?

Schwulenfeindliche Gesänge, verbotene Regenbogen und Leon Goretzkas Jubel: Bei der EM 2021 gab es in München rund ums Spiel gegen Ungarn etliche Vorfälle. Nun tritt die DFB-Elf zum brisanten Duell in Budapest an.

Der Torjubel des Jahres 2021: Leon Goretzka und sein Herz nach dem Ausgleich gegen Ungarn.

© imago//Frank Hoermann

Der Torjubel des Jahres 2021: Leon Goretzka und sein Herz nach dem Ausgleich gegen Ungarn.

Von Marco Seliger

Ein Jahr danach ist wenig überraschend kein Regenbogen zu sehen in Budapest. Weder auf Fahnen, noch auf Plakaten, und auch der Himmel grüßt angesichts des Sommerwetters nur in Blau und Weiß. Ein Unwetter samt eines hinterher grau hinterlegten bunten Bogens über der Stadt ist bis zum Spiel an diesem Samstag gegen die DFB-Elf (20.45 Uhr/RTL) nicht angesagt. 67 215 Zuschauer werden da sein in der Puskas-Arena – benannt nach dem legendären Ferenc Puskas, dem größten ungarischen Kicker der Geschichte, für den das deutsche WM-Wunder von Bern 1954 als bester Fußballer seiner Zeit mit der besten Nationalelf dieser Zeit zum Albtraum wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine von damals, als es Fernsehbilder, wenn überhaupt, nur in Schwarz und Weiß gegeben hat.

Die Geschichte an diesem Samstag ist eine bunte, allerdings eine mit einigen Schwarzen Petern. Es geht um den Regenbogen und seine Symbolik der Vielfalt, die, so ist das zu erwarten, von nicht wenigen Farbenblinden am Abend in der Puskas-Arena wieder verachtet wird. So wie das im Sommer 2021 bei der EM gewesen ist. Diese Geschichte braucht es in der Vorschau auf das Spiel der DFB-Elf in der Nations League – denn wer die politische und symbolische Strahlkraft der Partie in Ungarns Hauptstadt nun irgendwie greifen will, der kommt nicht auf die Ereignisse von vor einem knappen Jahr herum.

Bühne frei also für Nationalspieler Leon Goretzka.

84 Minuten sind gespielt am verregneten Abend des 23. Juni 2021, als beide Teams im letzten Vorrundenspiel der EM in München aufeinandertreffen. Die Ungarn führen 2:1. Leon Goretzka schießt, Leon Goretzka trifft zum Ausgleich – und verhindert so das Aus. Was folgt, ist der Torjubel des Jahres. Der Mittelfeldmann vereint Daumen und Zeigefinger zu einem Herzen vor der Brust und läuft in Richtung des ungarischen Mobs hinter dem Tor. Seine Botschaft: Seht her, Liebe lässt sich nicht verbieten! So, wie es die ungarische Regierung vorher getan hat.

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So hatte der Ministerpräsident Viktor Orbán ein Gesetz verabschiedet, das Homosexualität in seinem Land mit Pädophilie gleichsetzt. Als Reaktion darauf wollte die Stadt München das Stadion zum letzten EM-Vorrundenspiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben erstrahlen lassen. Das lehnte die Europäische Fußball-Union Uefa ab: mit der höchst fragwürdigen Begründung, dies sei ein unzulässiges politisches Zeichen gegen ein bestimmtes Land. Leon Goretzka protestierte daraufhin schon vor dem Spiel. Und mit ihm eine überwältigende bunte Mehrheit.

Homophobe Gesänge

Der mitgereiste ungarische Mob dagegen blieb während der EM-Partie in München bei sich. Nicht wenige Anhänger sangen unablässig „Deutschland, Deutschland, homosexuell“. Ähnliche Lieder hatten sie schon vorher bei ihren Gruppenspielen in Budapest gegen Portugal und Frankreich gesungen. Männer mit nackten Oberkörpern präsentierten ihre Bäuche und ihr homophobes Sangesgut hinter dem Tor und vorher beim Aufmarsch zum Stadion: Das war das Bild, das haften blieb mit Blick auf die Ungarn bei der EM – nach der sich nichts gebessert hat. Politisch nicht. Und auf den Rängen nicht.

Denn ein Teil der ungarischen Fans steht weiter für die reaktionären Kräfte der Welt – zu deren Kernkompetenz nicht nur der Fachbereich Homophobie zählt.

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Zu beobachten war das am vergangenen Samstag, als die englische Elf in der Nations League in Budapest gastierte und, wie es bei ihr üblich ist, vor dem Anpfiff auf die Knie ging, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Es gab daraufhin Pfiffe von den Rängen – wo überwiegend Kinder saßen. Denn der ungarische Verband, der wegen der rassistischen und homophoben Gesänge seiner Fans im Jahr 2021 vom Weltverband Fifa mit Geisterspielen belegt worden war, hatte sich auf Artikel 73 der Disziplinarordnung berufen, wonach dieses Verbot nicht für Heranwachsende gelte. Also wurden Kinder bis zum 14. Lebensjahr kostenlos eingeladen.

Nach den Pfiffen gegen England sah sich die Uefa dann heftiger Kritik ausgesetzt. So merkte das Antidiskriminierungsnetzwerk Fare an, dass es nicht das erste Mal gewesen sei, dass Kinder im Stadion das gleiche rassistische Verhalten wie Erwachsene zeigten. Wie der Vater, so der Sohn – in Budapest bekam die alte Redensart eine neue Dimension.

Symbol mit Strahlkraft

Am vergangenen Dienstag dann, drei Tage nach den Ereignissen in Ungarns Hauptstadt, kniete die DFB-Elf in einem symbolische Akt der Unterstützung gemeinsam mit den Engländern vor dem Duell auf dem Rasen der Münchner Arena – die nun außen in Regenbogenfarben leuchtete. Mit einem Jahr Verspätung also bekam das Symbol für freie Liebe seine Strahlkraft am selben Ort.

Ob die Deutschen nun in Budapest vor dem Spiel am Samstag wieder niederknien? Diesmal sei eine solche Aktion nicht geplant, sagte der DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Auch Leon Goretzka äußerte sich defensiv, was mögliche Botschaften angeht. Im Grunde sagte er in einigen Sätzen dazu: nichts.

Fest steht nur eins: Es wird spannend zu beobachten sein, wie die deutsche Elf in der Puskas-Arena empfangen wird. Und wie der eine oder andere Spieler darauf reagiert.

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Erstellt:
10. Juni 2022, 17:38 Uhr

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