Olympiastützpunkt Stuttgart

Laufbahnberater Herbert Wursthorn hört auf

Am 1. August 1988 wurde Herbert Wursthorn Laufbahnberater am Olympiastützpunkt Stuttgart, um Sportlern zum Sport eine Ausbildung zu vermitteln. Nun ist der 64-Jährige am Ende seines Weges angekommen.

Herbert Wursthorn stellte 2016 mit Birgit Jaeger-Gollwitzer den  neuen Sportzug am Wirtschaftsgymnasium der Cotta-Schule vor.

© Lichtgut/Max Kovalenko

Herbert Wursthorn stellte 2016 mit Birgit Jaeger-Gollwitzer den neuen Sportzug am Wirtschaftsgymnasium der Cotta-Schule vor.

Von Jürgen Kemmner

Herbert Wursthorn genießt es, auf seinem Bürostuhl im Olympiastützpunkt Stuttgart (OSP) zu sitzen und auf das begrünte Dach zu blicken. Allzu häufig konnte sich der 64-Jährige diesen Luxus nicht gönnen, als Laufbahnberater hatte der ehemalige Leichtathlet viel zu erledigen – den jungen Sportlerinnen und Sportlern Wege aufzeigen, wie sie den Spagat meistern, zu sportlichen Spitzenleistungen auch in der Ausbildung gleichermaßen Bestnoten abzuliefern. „Ich habe meinen beruflichen Lebensinhalt gefunden“, erzählt Herbert Wursthorn, „ich hatte eine erfüllte Zeit.“ Der Mann spricht in der Vergangenheit, denn Wursthorn wird am 22. Juni 65 Jahre alt, an diesem Mittwoch ist er in den letzten Arbeitstag gestartet. „Die Arbeit wird mir nicht fehlen, ich lasse gerne los“, betont der einstige 800-Meter-Läufer, „ich werde aber die Gespräche mit den Kollegen am Kaffeeautomat und auf dem Gang vermissen.“

Am 1. August 1988 trat Wursthorn den Dienst an, er erinnert sich noch daran, dass Stützpunktleiter Karl Link damit beschäftigt war, zu klären, ob er zu den Olympischen Spielen nach Seoul reisen würde oder nicht. Der einstige Bahnradfahrer hatte über Paul Schmidt, den Bundestrainer der Mittelstreckenläufer, erfahren, dass der einen ehemaligen Schützling kenne, der was vom Laufen verstehe und ein Psychologiestudium absolviert habe – so einen könne Link doch brauchen. Der OSP-Chef benötigte einen „Sozialberater für Stützpunktathleten“, und damit war Wursthorn engagiert, der zuvor beim Jugendamt Stuttgart als Psychologe arbeitete. „Der Begriff war sehr sperrig“, erzählt er, „wir haben den Laufbahnberater draus gemacht.“ Was nicht unproblematisch war. Zu Beginn seiner Zeit wurde Wursthorn oft gefragt, welchen Kunststoffbelag er für eine Laufbahn denn verkaufe. Die Anrufer vermuteten, dass der ehemalige Leichtathlet Berater für Laufbahnen in den Stadien sei.

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Wursthorn war jedenfalls in seinem Element. Er konnte die Aufgabe mit Inhalt füllen, wie er es für sinnvoll hielt. „Ich konnte mein eigenes Berufsfeld erfinden“, verdeutlicht er. Der Mann aus Würtingen auf der Schwäbischen Alb hatte bald die nötigen Werkzeuge, um jungen Sportlern eine persönliche duale Ausbildung Sport/Beruf anzubieten wie maßgeschneiderte Kleidung. Bald gab es in der Region Elitehochschulen und -schulen sowie Partnerschulen und Partnerbetriebe des Sports und sportfreundliche Arbeitgeber, so dass individuelle Pakete geschnürt werden konnten. Wursthorn war ein ebenso fleißiger wie begabter Netzwerker, aber auch in diesem Metier geschahen Vorfälle, die es eigentlich nicht gibt. Wursthorn erinnert sich an den Sportschützen André Link. Der junge Mann lebte bei Heilbronn und wurde zunächst an die Cotta-Schule in Stuttgart vermittelt, die auf seine Wettkampf- und Trainingszeiten Rücksicht nahm. Danach fand sich die Firma Herma aus Filderstadt, die dem Schützen ein duales Studium der Wirtschaftsinformatik ermöglichte, wobei auch die Hochschule einen Sonderweg freimachte. „Alle sind einen außergewöhnlichen Weg mitgegangen“, erzählt Wursthorn, „da habe selbst ich große Augen gemacht.“ Link schrammte bei Olympia 2016 in Rio knapp an Bronze vorbei, doch ein halbes Jahr vor Beendigung des Studiums warf der Schütze die Flinte ins Korn und begann eine Schreinerlehre. Einige Zeit später verabschiedete er sich aus dem Sport, weil aus seiner Sicht die körperliche Arbeit nicht mehr mit den nötigen Fähigkeiten eines Schützen vereinbar war. Immerhin: Wursthorn registrierte, dass sein System funktionierte.

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Und fast immer waren die Karrierepläne mit den Spitzensportlern kompatibel. Bahnrad-Olympiasieger Michael Klöckner, Wasserball-Star Heiko Nossek, Bogenschützin Sandra Dachse (geborene Wagner), Kugelstoßerin Christina Schwanitz, Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch und Mountainbiker Luca Schwarzbauer, um einige wenige zu nennen, hat der scheidende Laufbahnberater auf die richtigen Wege geführt – nun ist Wursthorn am Ziel, und damit hat das Planen sein Ende.

„Ich werde die Dinge auf mich zukommen lassen“, sagt der Mann von der Alb, der häufig auf dem Rennrad unterwegs sein und sich mehr mit den acht Enkeln beschäftigen will. Und vielleicht radelt Herbert Wursthorn auch gelegentlich nach Bad Cannstatt zum OSP, auf einen Plausch an der Kaffeemaschine oder auf dem Gang.

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Erstellt:
14. Juni 2022, 15:58 Uhr

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