Löw: Neuer beginnt, ter Stegen erst gegen Nordiren

dpa Düsseldorf. Joachim Löw lässt an einem erfolgreichen Jahresabschluss und der EM-Qualifikation keine Zweifel aufkommen. Entgegen aller Gewohnheiten verrät er vor dem Weißrussland-Duell sogar fast seine ganze Startelf. Für den Sommer 2020 hat er für die Fans aber keine tolle Prognose.

Bundestrainer Joachim Löw legte fest, welcher Torhüter in welchem EM-Qualifikationsspiel spielen wird. Foto: Federico Gambarini/dpa

Bundestrainer Joachim Löw legte fest, welcher Torhüter in welchem EM-Qualifikationsspiel spielen wird. Foto: Federico Gambarini/dpa

Auf die Rechenaufgabe, an der Timo Werner und Joshua Kimmich scheiterten, hatte Joachim Löw schlicht und einfach keine Lust.

„Das war nicht das Thema, weil ich alles auf Weißrussland fokussiert habe. Wir müssen das Spiel machen, drei Punkte holen. Dann sieht man, wie die Konstellation ist“, sagte der Bundestrainer und forderte unmissverständlich einen Erfolg im vorletzten Länderspiel des Jahres am Samstag (20.45 Uhr/RTL). Ein Sieg im Borussia Park von Mönchengladbach würde der Fußball-Nationalmannschaft die EM-Teilnahme 2020 vorzeitig sichern, wenn zeitgleich Nordirland nicht gegen Holland gewinnt. Das wusste Löw im Gegensatz zu seinen Spielern.

Alle Eventualitäten im für viele verwirrenden Qualifikationsmodus, der auch ein K.o.-Duell mit Nordirland am Dienstag in Frankfurt noch möglich macht, spielen für Löw aber überhaupt keine Rolle. „Natürlich sind es noch zwei Schritte bis zur Tür, die uns zur EM bringt. Die Spiele, das ist unser Anspruch, die wollen wir gewinnen, um einen positiven Abschluss zu haben“, sagte Löw.

Für das Turnier im kommenden Sommer machte der DFB-Chefcoach eine ungewohnt verhaltene Prognose, an die sich die deutschen Fußball-Fans erst noch gewöhnen müssen. Von einem automatischen Titelanspruch sieht der Bundestrainer seine Mannschaft nach dem WM-Scheitern 2018 und der anhaltenden Umbauphase weit entfernt. „Wir gehören nicht zu den Topfavoriten“, sagte Löw sieben Monate vor Turnierstart.

Er verglich sein Team mit dem Talente-Ensemble aus dem WM-Jahr 2010 um die damals jungen Thomas Müller, Mesut Özil und Sami Khedira, das in Südafrika mit dem Halbfinal-Einzug für eine neue Aufbruchstimmung sorgte. Auf einen ähnlichen EM-Effekt hofft Löw nun für 2020. „Mit der Mannschaft ist einiges möglich, daran müssen wir arbeiten, daran müssen wir glauben“, sagte der 59-Jährige.

Ungewöhnlich große Einblicke gewährte Löw in seine Personalplanungen zum Ende des oft mühevollen Umbruchjahres. Im Tor wird am Samstag Kapitän Manuel Neuer stehen. Herausforderer Marc-André ter Stegen bekommt dann eine Bewährungschance im letzten Spiel gegen Nordirland in Frankfurt am Dienstag. Die Torhüter wurden von Löw schon am Freitagvormittag im Düsseldorfer Teamhotel entsprechend informiert.

„Wir stellen nicht nach Wohnzimmer oder Heimatort auf“, sagte Löw zu den Spekulationen, ter Stegen könne an alter Wirkungsstätte in Gladbach zum Einsatz kommen. Für Sentimentalitäten hat Löw keine Veranlassung. Zu kompliziert war für ihn das gesamte Jahr mit immer wieder neuen Verletzungsausfällen wie dem doppelten Kreuzband-Schock um Leroy Sané und Niklas Süle. „Das war ein ständiger Begleiter, dass wir bei allen Länderspielen die Mannschaft wechseln mussten. Das trägt nicht dazu bei, dass man die Konstanz mitbringt“, sagte Löw.

Gesucht wird für Samstag noch ein Verteidiger neben dem unerwartet zum Abwehrchef aufgestiegenen Bank-Weltmeister von 2014, Matthias Ginter. Leverkusens Jonathan Tah soll spielen, sofern seine muskulären Probleme im Hüftbereich kein Hindernis mehr darstellen. Ansonsten kommt der junge Freiburger Robin Koch zu seinem zweiten Länderspieleinsatz, da der Berliner Niklas Stark nach seinem Nasenbeinbruch noch kein Kandidat für die Startformation ist. Emre Can als Aushilfs-Innenverteidiger ist nach seinem Platzverweis in Estland erst gegen Nordirland wieder spielberechtigt.

Auf der linken Abwehrseite bekommt der Dortmunder Nico Schulz den Vorzug vor dem Kölner Jonas Hector, bestätigte Löw. Im Mittelfeld spielt Ilkay Gündogan neben Joshua Kimmich und Toni Kroos. Für die Angriffsreihe deutete Löw einen Einsatz von Timo Werner und Julian Brandt neben dem bei ihm grundsätzlich gesetzten Bayern-Stürmer Serge Gnabry an.

„Man kann nicht erwarten, dass man den Gegner aus dem Stadion schießt“, sagte Löw. Aber: „Klar ist, wenn wir unsere Stärken voll einbringen, dann werden wir das Spiel gewinnen. Ich glaube, dass die Mannschaft ein druckvolles Spiel macht, das ist die Vorgabe. Wenn wir die Chancen nutzen, werden wir das Spiel gewinnen, mit den eigenen Stärken“, postulierte der Bundestrainer.

„Es ist ein bisschen ein Nachteil, dass ein Großteil der eingespielten Mannschaft nicht da ist“, merkte Werner an. „Wir müssen so schnell wie möglich zusammenfinden.“ Rhythmus und Richtung soll besonder Routinier Kroos diktieren, forderte DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Löw bezeichnete der Real-Madrid-Star erneut als seinen wichtigen Stabilisator, der im Juni eine Erholungspause bekam und im Oktober verletzt fehlte.

Den größten Karrieresprung im Herbst 2019 hat der neue Abwehr-Boss Ginter gemacht, der bislang in der öffentlichen Wahrnehmung immer unter dem Radar blieb. „Bei uns ist er länger dabei. Manchmal hat man das Gefühl, er wird ein bisschen unterschätzt, wenn er bei uns gespielt hat“, sagte Löw über den Gladbacher.

Der 25-Jährige, der 2014 Weltmeister wurde, 2016 Olympia-Silber holte und 2017 den Confed-Cup gewann, will sich der neuen Herausforderung stellen. „Ich will mich weiterentwickeln und vorankommen, auch außerhalb vom Platz“, sagte er am Freitag auf dem DFB-Pressepodium. Für Offensivkollege Werner hatte er auch noch einen Trost für den Rechenfehler im Qualifikations-Regelwerk parat: „Um den Timo mache ich mir keine Sorgen. Der soll Tore schießen, dass wir gewinnen.“

Die voraussichtlichen Mannschaften:

Deutschland: Neuer (Bayern München/33 Jahre/91 Länderspiele) - Klostermann (RB Leipzig/23/6), Ginter (Borussia Mönchengladbach 25/28), Koch (SC Freiburg/23/1), Schulz (Borussia Dortmund/26/9) - Kimmich (Bayern München/24/46) - Gündogan (Manchester City/29/35), Kroos (Real Madrid/29/94) - Brandt (Borussia Dortmund/23/29), Gnabry (Bayern München/24/11), Werner (RB Leipzig/23/28)

Weißrussland: Gutor (Dynamo Brest/30/15) - Weretilo (Dinamo Brest/31/19), Martynowitsch (FK Krasnodar/32/69), Naumow (Schetissu Taldyqorghan/30/5), Poljakow (Ural Jekaterinburg/28/40) - Majewskij (FK Astana/31/32), Jablonski (BATE Borrissow/24/4) - Kowalew (Schachtjor Salihorsk/26/15), Dragun (BATE Borissow/31/63), Stassewitsch (BATE Borissow/34/51) - Laptew (Dinamo Brest/29/21)

Schiedsrichter: Grinfeld (Israel)

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Erstellt:
15. November 2019, 14:53 Uhr

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