„Mammutaufgabe“: Wie Japan die Tokio-Spiele retten will

dpa Tokio. Zum zweiten Mal beginnt in Japans Hauptstadt Tokio der Countdown: In 365 Tagen sollen die Olympischen Spiele beginnen. Die für Freitag geplante Eröffnungsfeier soll am 23. Juli 2021 nachgeholt werden. Können die Spiele dann stattfinden? Japan will alles dafür tun.

Angehalten: Der Olympia-Countdown Uhr vor dem Zentralbahnhof in Tokio. Foto: Lars Nicolaysen/dpa

Angehalten: Der Olympia-Countdown Uhr vor dem Zentralbahnhof in Tokio. Foto: Lars Nicolaysen/dpa

Die Uhr tickt wieder. 365 Tage zeigte sie am Donnerstag am Tokioter Zentralbahnhof an. Nach der Verlegung der Olympischen Spiele beginnt der Countdown von vorne.

Wegen der anhaltenden Coronavirus-Pandemie ist es aber ein Wettlauf mit der Zeit. Die Sommerspiele hätten ursprünglich an diesem Freitag beginnen sollen. „Nur noch ein Jahr. Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns“, sagte Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees.

Das Bangen bei Olympia-Machern und Athleten, ob die Spiele am 23. Juli 2021 eröffnet werden können, geht weiter. Die Japaner haben aktuell andere Sorgen: Von Olympia-Fieber ist keine Spur mehr. Vor einem Jahr war es noch die brutale Sommerhitze, die den Olympia-Machern die größte Sorge bereitete - jetzt ist es die Corona-Krise. Am Donnerstag meldete Tokio erstmals mehr als 300 Neuinfektionen - ein Rekord, der die Aussichten weiter trübt.

Dennoch bleiben die Organisatoren der Tokio-Spiele zuversichtlich, die Probleme in den Griff zu bekommen. OK-Chef Yoshiro Mori gab zwar zu, dass bei einem Anhalten der aktuellen Lage Spiele nicht möglich wären, betonte aber: „Ich glaube nicht, dass diese Situation noch ein Jahr anhalten wird.“ Auch Bach bleibt optimistisch. Der IOC-Chef hofft auf ein „großes Comeback-Festival des Sports auf der internationalen Bühne“.

Während alle Welt angesichts der Pandemie zweifelt, ob die Spiele 2021 überhaupt stattfinden können, nutzen Japans Verantwortliche derzeit einen Teil der 43 Olympia-Wettkampfstätten als eine Art gigantisches Laboratorium: Vor Ort wollen sie testen, welche Maßnahmen zum Schutz von Athleten, Zuschauern und anderen Beteiligten vor dem Coronavirus ergriffen werden könnten. Experimente, wie sie noch kein Olympia-Gastgeber durchführen musste.

So wurden in der Saitama Super-Arena, wo Basketball gespielt werden soll, die Mixed-Zonen für Interviews der Medien mit Athleten umstrukturiert, berichtete der staatliche japanische Fernsehsender NHK. Dazu gehört die Installation von Trennscheiben aus Akryl zwischen Reportern und Athleten. Außerdem ist angedacht, die Sportler zum Training und zu den Wettkämpfen auf mehrere Busse zu verteilen, um Abstand halten zu können.

Zu den rund 400 Vorschlägen für mögliche Corona-Maßnahmen gehören auch bargeldloses Bezahlen an Verkaufsständen in der Arena, die Pflicht zum Tragen von Masken sowie eine Reihe von Verboten: Kein lautes Anfeuern der Mannschaften, keine lauten Durchhalteparolen, Gesänge sowie Umarmungen unter den Athleten selbst sowie Trink- und Essensverbote in den Umkleidekabinen. Im Olympischen Dorf, wo bis zu 11.000 olympische und 4400 paralympische Athleten unterkommen sollen, könnten ebenfalls Bewegungseinschränkungen eingeführt werden. Zumal die Athleten Zimmer, Cafeterias und Busse mit anderen teilen müssen.

Auch Japans wieder gestartete Baseball- und Fußballligen dienen als Experimentierfelder. So wie die Fans dieser Sportarten werden sich auch Olympia-Fans möglicherweise an neue Regeln anpassen müssen: Kein Skandieren, kein „High-Five“-Abklatschen, keine Umarmungen und keine Finger benutzen beim Pfeifen. Die Idee, Wettkämpfe ganz ohne Zuschauer abzuhalten, wies Mori zurück. Die Erwägung von Bach, nur eine reduzierte Zuschauerzahl in die Arenen zu lassen, ist für den OK-Präsidenten das absolute „Worst Case“-Szenario.

Ein Jahr vor den geplanten Spielen gibt es mehr Fragen als Antworten, auch zur Einreise ins Land. Olympia-Ministerin Seiko Hashimoto erklärte kürzlich, Japan erwäge Reiseerleichterungen für ausländische Olympia-Teilnehmer. Die Grenzen sind wegen Corona weiter geschlossen. Dabei will sich das eher verschlossene Japan mit der Ausrichtung der Spiele eigentlich als weltoffenes Land präsentieren. Müssten Athleten aus Übersee nach der Einreise erstmal in eine zweiwöchige Quarantäne, stellt sich die Frage nach geeigneten Unterkünften, die Anschluss an sichere Trainingseinrichtungen bieten. Konkretes zu all diesen Fragen wird es von Seiten der Olympia-Macher nicht vor diesem Herbst geben.

Gleiches gilt für die Frage der horrenden Zusatzkosten in Folge der Verschiebung der Spiele. Schätzungen gehen von zwei bis sechs Milliarden Dollar aus. So ist unklar, wie die Käufer der mehr als 41.000 Wohnungen, die aus den Unterkünften der Athleten im Olympischen Dorf entstehen sollen, entschädigt werden. Diese können nun erst ein Jahr später bezogen werden. Nach Informationen lokaler Medien wurden 940 der Wohnung verkauft, viele Verträge seien besiegelt.

Es gibt für die Organisatoren aber auch positive Nachrichten: Erstmals seit der Verschiebung der Spiele konnte laut örtlichen Medien wieder ein Vertrag mit einem neuen Sponsor abgeschlossen werden: Dem Betreiber des „Tokyo Sky Tree“, dem höchsten Fernsehturm der Welt, Tokios neues Wahrzeichen. Zugleich haben die Olympia-Macher damit begonnen, die Sponsoren um zusätzliche Mittel zwecks Deckung der Zusatzkosten wegen der Verlegung zu bitten.

Was aber, wenn die Spiele am Ende doch nicht 2021 stattfinden können? Rund die Hälfte der nationalen Sportverbände in Japan hoffen nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo, dass das IOC und Japans Olympia-Macher noch in diesem Jahr entscheiden, ob die Spiele 2021 abgehalten oder abgesagt werden. Eine nochmalige Verschiebung soll es nicht geben. Japans Organisatoren bevorzugten jedoch eine abschließende Entscheidung eher im Frühjahr nächsten Jahres, hieß es.

© dpa-infocom, dpa:200723-99-898244/3

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Erstellt:
23. Juli 2020, 13:02 Uhr

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