Mit dem Schwert zu sich selbst finden

Die Judoabteilung des TV Murrhardt bietet eine besondere japanische Kampfkunstart: Iaidō, der Kampf mit dem Samuraischwert. Was erst mal brutal klingen und aussehen mag, ist im Kern jedoch nur die Suche nach dem Einklang der Kämpfer mit dem eigenen Geist und Körper.

Hubert Wiedemann (von links), sein Sohn Alexander, Lina Widmann und Trainer Gerald Bauer trainieren einmal in der Woche den Kampf mit dem Katana, dem Schwert der Samurai, in der Sporthalle der Bodelschwinghschule in Murrhardt. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Hubert Wiedemann (von links), sein Sohn Alexander, Lina Widmann und Trainer Gerald Bauer trainieren einmal in der Woche den Kampf mit dem Katana, dem Schwert der Samurai, in der Sporthalle der Bodelschwinghschule in Murrhardt. Foto: Stefan Bossow

Von Carolin Aichholz

Japanische Kampfsportarten trumpfen mit ihrer Vielfältigkeit auf. Vom klassischen Judo über Aikido und Jiu-Jitsu gibt es viele unterschiedliche Richtungen, die sich in ihren Techniken an der traditionellen Kampfkunst der Samuraikrieger bedient haben. Selten sieht man jedoch Iaidō, eine Kampfkunst, zu der auch ein Schwert gehört. Iaidō gehört zur Judoabteilung des Turnvereins Murrhardt. Die Sportler tragen den weißen Judoanzug (Keikogi) sowie den schwarzen Hosenrock (Hakama), der auch beim Aikido zu sehen ist. Das Samuraischwert Katana wird nah am Bauchnabel an einem Gürtel getragen, der ebenfalls traditionell geknotet wird. „Durch die Nähe des Schwerts zu unserem Körper zeigen wir, dass wir friedlich sind, und das unterscheidet uns von anderen Kampfsportarten mit dem Schwert. Die tragen das Schwert weiter vorne, um es sofort ziehen zu können“, erklärt Gerald Bauer. Mittlerweile sind er und seine Schüler meistens nur noch zu dritt oder zu viert im Unterricht. „Dabei wäre das sicher eine Sportart, die viele Menschen anspricht“, findet Iaidōschüler Alexander Wiedemann. Er und sein Vater Hubert sind erst seit einem halben Jahr Teil der Gruppe, allerdings schon lange Mitglieder der Judoabteilung. „Iaidō ist hier nur sehr unbekannt.“ Trainer Gerald Bauer betont, dass klassische Kampfsportler die Sportart eher meiden. „Wir kämpfen nicht gegen Gegner. Es ist auch im Wesentlichen kein Kontaktsport.“ Mit dem Schwert kämpfen, aber ohne Gegner? Wie soll das denn gehen?

Bestimmte Grundschritte werden in Abwandlungen bis zur Perfektion geübt

„Wir trainieren eher unsere mentale Stärke als unsere kämpferischen Fähigkeiten“, erklärt Gerald Bauer. Iaidō richtet sich nach der Zen-Philosophie. Man kämpft nicht gegen einen echten Gegner, sondern man „spiegelt“ sich selbst. Die eigenen Ausführungen sollen verbessert und die Persönlichkeit soll weiterentwickelt werden. „Das Ziel ist die Perfektion. Die ist zwar nur sehr schwer zu erreichen, aber der Weg dorthin macht den Sport aus“, sagt Bauer.

Darum werden bestimmte Grundschritte eingeübt und in Abwandlungen immer wieder wiederholt. „Dadurch wollen wir in einen meditativen Zustand kommen und zu uns selbst finden“, erläutert Gerald Bauer. Man stellt sich bestimmte Kampfsituationen vor, die es zu lösen gilt, denn der wahre Kampf beginnt im Kopf. Nur selten wird zu zweit gegeneinander gekämpft.

Die Traditionen spielen eine große Rolle im Iaidōunterricht. „Wir begrüßen uns gegenseitig und auch unser Schwert. Am Ende der Stunde bedanken wir uns beim Schwert, dass es uns nicht verletzt hat“, sagt Gerald Bauer. Die verwendeten Katanas sind Übungsgeräte, darum sind die Klingen nicht scharf. Alternativ übt die Gruppe auch mit Holzschwertern, die in ihrer Form ebenfalls einem gebogenen Samuraischwert nachempfunden sind. Denn das Tragen, Ziehen und Einstecken des Schwerts in die Scheide folgt vorgegebenen Bewegungsabläufen.

Etwas brutal erscheint dem nicht eingeweihten Beobachter die Anweisung „das Blut abzuschütteln“, denn Blut fließt in Murrhardt in der Regel keins. „Außer man stupft sich versehentlich an der doch recht spitzen Klinge des Übungsschwerts“, sagt Gerald Bauer. Das passiere dem routinierten Iaidōka jedoch nur sehr selten. Dennoch wird die Schwertbewegung, welche die Klinge vom Blut des Gegners befreien soll, bis heute unter der Bezeichnung trainiert.

Viele Bewegungen des Aikido oder Jiu-Jitsu, die eigentlich ohne Waffen stattfinden, stammen noch aus der alten Technik der Schwertkämpfe der Samurai und wurden lediglich fürs Kämpfen ohne Waffen abgewandelt oder angepasst. Den Kampf mit dem Schwert bezeichnet Gerald Bauer darum als ursprünglichste Kampfsportart. Für ihn persönlich spielen Wettkämpfe oder Prüfungen dabei keine Rolle: „Das wäre für mich nur symbolisch, mir geht es hauptsächlich um meine eigene Weiterentwicklung.“ Ganz im Sinn der Zen-Philosophie.

Iaidō – „Weg des Schwertziehens“

Bedeutung Wörtlich bedeutet es „der Weg des Ganz-dabei-Seins“. Sowohl körperlich als auch geistig muss der Kämpfer schnell reagieren können. Darum wird die mentale Stärke als kampfentscheidend angesehen. Bereits beim Ziehen des Schwerts kann es zudem als Waffe eingesetzt werden und der erste Schnitt damit bereits bedeutsam sein.

Ziel Durch eine exakte und sichere Ausführung der Schwerttechniken soll die Einheit von Körper, Geist und Schwert entwickelt werden. Es wird gelehrt, dass die Meisterschaft erreicht wäre, wenn man eine Situation beherrscht – ohne das Schwert zu ziehen. Das erfordert die Entwicklung einer starken Persönlichkeit durch langjährige Übung. Darum kämpfen die Senseis (Meister) nicht mehr selbst.

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Erstellt:
14. März 2024, 11:00 Uhr

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