Der Nürburgring: Von Mythen und Größenwahn

dpa Nürburg. Ahhh, der Nürburgring. Das Motorsport-Mekka in der Eifel elektrisiert die PS-Fans. Es ist aber auch ein Lehrstück in Sachen Fehlinvestitionen. Nach sieben Jahren kehrt die Formel 1 auf den Traditionskurs zurück. Wie haben das die Macher geschafft?

Die Motorsport-Königsklasse soll wieder langfristig auf den Nürburgring zurückkehren. Foto: Jens Büttner/dpa

Die Motorsport-Königsklasse soll wieder langfristig auf den Nürburgring zurückkehren. Foto: Jens Büttner/dpa

Irgendwann überholte der Größenwahn den Mythos der „Grünen Hölle“.

Von 2009 an sollte ein überdimensionierter Freizeitpark mit der angeblich schnellsten Achterbahn der Welt aus dem längst hochdefizitären Motorsport-Mekka Nürburgring einen Touristenmagneten auch für weniger PS-Begeisterte machen. In der Eifel. Mit Tennis-Idol Boris Becker als Botschafter. Der Nürburgring, der schon 1951 in den Formel-1-Kalender aufgenommen worden und als unbarmherzige Rennstrecke berühmt-berüchtigt war, wollte mit einem Geschäfts- und Vergnügungspark finanziell unabhängiger vom Motorsport werden. Es wurde zum Desaster, aber dazu später.

Nach sieben Jahren kehrt die Formel 1 nun in die Eifel zurück. Das Rennen wird nicht als Grand Prix von Deutschland tituliert, auch nicht als Grand Prix von Luxemburg oder Europa. So war das früher. Die Corona-Auflage nennt sich Grand Prix der Eifel. Lokalkolorit. Das klingt schon mal gut. Die Corona-Pandemie zwang die Formel-1-Bosse, sich Ausweichstrecken zu suchen. Brasilien, USA, Japan, um nur einige zu nennen, konnten kein Rennen in diesem Jahr ausrichten.

Da erinnerten sich Formel-1-Geschäftsführer Chase Carey & Co. an den Nürburgring, der 2013 letztmals einen Grand Prix ausgetragen hatte, aber schon längst unter rund 15 Millionen Startgebühr ächzte. Die Boom-Zeiten unter Michael Schumacher, nach dem ein eigener Abschnitt des Kurses benannt ist (Schumacher-S), waren da lange vorbei.

„Wir haben mit der Formel 1 einen Vertrag geschlossen, der das Risiko minimiert“, erklärte Nürburgring-Geschäftsführer Mirco Markfort der Deutschen Presse-Agentur vor dem Rennen am Sonntag (14.10 Uhr/RTL und Sky). „Das beinhaltet auch, im Worst Case ohne Zuschauer zu fahren. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise ist es ein guter Deal für uns.“

Bis zu 20.000 Zuschauer dürfen am Freitag, Samstag und Sonntag auf das Gelände. Ihr Gesundheits- und Hygienekonzept konnten die Macher am Nürburgring in den vergangenen Monaten bereits bei kleineren Events testen. Das fängt beim kontaktlosen Ticketkauf an, der nur online, personalisiert und platzgenau möglich ist. Das geht weiter mit klar ausgewiesenen Sitzplätzen in festgelegten Blöcken und setzt sich mit einer festen Parkzone für jede Tribüne fort. Maskenpflicht und Kontaktvermeidung sind das A und O.

Der Nürburgring war einmal ein Publikumsmagnet. Daran hat auch die Formel 1 ihren Anteil. Niki Lauda überlebte auf der legendären und hochgefährlichen Nordschleife, der „Grünen Hölle“, 1976 nur wie durch ein Wunder einen Feuer-Unfall. Erst 1984 kehrte die Formel 1 an den Ring zurück, allerdings auf einen entschärften Kurs.

„Wir haben immer gesagt, dass es ein Ziel ist, die Formel 1 dauerhaft wieder an den Nürburgring zu binden. Allerdings haben wir auch immer gesagt, dass es nur unter betriebswirtschaftlich sinnvollen Rahmenbedingungen passieren kann. Corona hat nun dafür gesorgt, dass es für uns eine günstige Gelegenheit gibt“, sagte Markfort. „Wir konzentrieren uns darauf, eine gute Performance zu zeigen, ein tolles Rennen mit Zuschauern auf den Tribünen und Emotionen sowie unter sicheren gesundheitlichen Bedingungen auszurichten. Damit versuchen wir, Werbung in eigener Sache zu machen.“

Mick Schumacher, der Sohn von Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher, wird am Freitag für Alfa Romeo sogar erstmals an einem Grand-Prix-Wochenende im Training fahren. Sebastian Vettel, 2013 im Red Bull noch letzter Sieger auf dem Ring, mittlerweile im Ferrari aber nur noch Hinterherfahrer, ist auch wieder dabei. „Ich bin sehr glücklich, in Deutschland vor Heimkulisse fahren zu können“, sagte Vettel. Und Weltmeister Lewis Hamilton könnte mit seinem 91. Karrieresieg am Sonntag sogar mit Rekordhalter Michael Schumacher gleichziehen. Der Rahmen passt.

Dass die Show stimmen muss, wissen sie auch auf dem Nürburgring. Und die ganz große Show sollte früher eigentlich ein Vergnügungspark an der Strecke liefern; Boris Becker sollte als Werbegesicht Touristen in die Eifel locken. Das klappte aber nicht.

Eine 330-Millionen-Euro-Privatfinanzierung des zu großen Ausbaus scheiterte. Die Steuerzahler mussten einspringen. 2012 ging die staatliche Nürburgring GmbH pleite. 2014 ging der Kurs, den das Land Rheinland-Pfalz mit fast einer halben Milliarde Euro subventioniert hat, für nur 77 Millionen Euro an den Autozulieferer Capricorn. 2014 stieg der russische Pharmaunternehmer Viktor Charitonin als Investor ein. Prozesse wegen Untreue und Betrug ergänzten die jüngere Chronologie des Nürburgring. Zuletzt musste sich der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) vor Gericht verantworten.

Markfort hat viele der Turbulenzen aus nächster Nähe mitbekommen. Von 2009 bis April 2015 hatte der Diplom-Betriebswirt schon für die Rennstrecke gearbeitet, ehe er 2016 Geschäftsführer wurde. Der Ring versucht zur Seriosität zurückzufinden und sich auf mehrere Standbeine zu stützen, um finanziell unabhängiger zu sein. Der Mythos Nordschleife mit all den PS-Dramen bleibt aber der Markenkern, Auto-Hersteller testen gerne auf der Strecke. Die Zeiten der Selbstüberschätzung sollen aber überwunden sein.

© dpa-infocom, dpa:201006-99-849995/4

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Erstellt:
7. Oktober 2020, 04:10 Uhr

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